Virtuelle Netzwerke

NFV: Komplex aber flexibel

06.02.2017
Von 
Martin Klapdor ist als Senior Solutions Architect beim Business-Assurance-Anbieter Netscout in der CTO Organisation für mobile Daten- und Sprachdienste sowie für Virtualisierung verantwortlich.
Die digitale Transformation zwingt TK-Anbieter und Netzbetreiber in einen Zwei-Fronten-Krieg: Fallenden Preisen stehen zunehmende mobile Datennutzung und hohe Qualitätsansprüche gegenüber. NFV kann eine mächtige Waffe für Telcos sein – wenn sie richtig angewandt wird.
Geringere Betriebskosten, schnellere Bereitstellung von Diensten - das verspricht die Virtualisierung von Netzfunktionen.
Geringere Betriebskosten, schnellere Bereitstellung von Diensten - das verspricht die Virtualisierung von Netzfunktionen.
Foto: Vintage Tone - shutterstock.com

Betriebskosten senken und gleichzeitig Dienste schneller erbringen – das ist die Herausforderung, der sich Netzbetreiber stellen müssen. Over-the-Top-Dienste wie WhatsApp graben ihnen die früher üppigen Einnahmen aus Telefonie und SMS ab. Zugleich wächst das IP-basierte Mobile Computing und verlangt nach mehr Netzwerkkapazität.

Die Situation des Wandels ist nicht neu. Erste Konfrontationen mit dem technischen Fortschritt gab es etwa beim Umstieg von 2G auf 3G und letztendlich auf LTE. Potenzial, die technischen Marktveränderungen erfolgreich anzugehen, sehen Netzbetreiber vor allem in der Virtualisierung von Netzwerkfunktionen (Network Function Virtualization, NFV). Diese verspricht eine deutliche Flexibilisierung der Servicebereitstellung, sinkende Betriebskosten und Chancen für neue Geschäftsmodelle.

Virtuelle Netze sind ein zweischneidiges Schwert

Durch NFV können Netzbetreiber ihre IT-Infrastruktur bedarfsgerecht aufrüsten. Das Prinzip ist nicht neu: Virtualisierung erlaubt es, die Unternehmens-IT zunehmend Software-gestützt zu betreiben und Funktionen wie etwa Storage oder Server per Software statt dedizierter Hardware zu steuern. Übertragen auf den Netzwerkbereich bedeutet dies: Funktionen von Netzwerkknoten werden virtualisiert, etwa Session Border Controller, Firewalls oder Verschlüsselung. Die Netzwerkumgebung wird agiler, die Netze schneller anpassbar und neue Services lassen sich innerhalb weniger Minuten anstatt Tage in Betrieb nehmen.

Noch ergänzt NFV die physischen Netze lediglich.
Noch ergänzt NFV die physischen Netze lediglich.
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Doch mehr Agilität bedeutet auch eine höhere Komplexität beim Betrieb und der Instandhaltung von Netzwerken. Denn mit zusätzlichen Diensten wird auch ein Serviceausfall wahrscheinlicher. Der verschärfte Wettbewerbsdruck unter den Anbietern verlangt von Mobilitätsdiensten, ständig verfügbar zu sein. Die Konkurrenz ist nur wenige Klicks entfernt, Angebote und Preise unterscheiden sich in der Regel kaum. Die Servicequalität wird zum zentralen Verkaufsargument. Und damit steigt das Risiko, Nutzer zu verärgern, wenn sie nicht wie gewohnt auf Anwendungen zugreifen können. Umso erfolgskritischer ist es, Probleme und Fehler schnell zu erkennen und zu beheben, bevor die Servicequalität leidet.

Einführung von NFV: hoher Einsatz und hohe Gewinne

Die vorausschauende Qualitätssicherung ist jedoch in virtualisierten Umgebungen nicht so einfach wie bei physischen Netzwerken. Hier ist der höhere Grad an Komplexität maßgeblich, da einige der virtuellen Funktionen in einem NFV-fähigen Netzwerk kritisch sind für die Servicequalität – beispielsweise Authentifizierungsservices, Routing- und Switching-Funktionen oder Domain-Name-Services. Werden diese Aspekte vernachlässigt, steigt das Risiko von Beeinträchtigungen beim Endnutzer stark an.

Zusätzliche Komplexität entsteht, wenn man sich die Roadmap der Netzbetreiber anschaut. Zwar steht NFV als Technologie mit hohem Potenzial auf der Watchlist der Betreiber und wurde bereits vereinzelt umgesetzt. Noch lösen sie aber physische Netzwerke nicht ab, sondern ergänzen diese lediglich. Das bedeutet für Administratoren, dass sie gleich zwei Systeme im Blick behalten und zugleich die noch lückenhaften Funktionen von NFV testen und weiterentwickeln müssen. Und das alles fehlerfrei, mit konstant bester Servicequalität für die Nutzer. Eine Operation am offenen Herzen, wenn man so will. In dieser Situation sollten Netzbetreiber stets in der Lage sein, die Leistung ihrer Netzwerke kontinuierlich zu überwachen und bei Bedarf anzupassen. Dadurch sinkt die Gefahr schlechter Nutzererfahrungen.

Ein zusätzlicher Vorteil der Netzwerküberwachung: Gewonnene Daten können für Predictive Analytics genutzt werden. Dies erlaubt es, die Netzwerkautomatisierung voranzutreiben. So können Trends, Muster und Nutzerverhalten ausgewertet, Ressourcen angepasst und die Servicebereitstellung optimiert werden. Denkt man einen Schritt weiter, sind auch neue Geschäftsmodelle denkbar, die anhand der Nutzerdaten personalisierte Angebote unterbreiten. Die Übernahme von Time Warner durch AT&T in den USA zeigt, dass Telekommunikationsanbieter noch lange nicht bereit sind, zur „dummen“ Leitung degradiert zu werden.