Die rasante Verbreitung von Smartphones und Tablets wird im Jahr 2016 über eine Milliarde Nutzer weltweit vernetzen. Zugleich schafft sie völlig neue Möglichkeiten der Wertschöpfung. Der Nutzen wird dabei weit über den mobilen Zugriff auf Daten und Informationen hinausreichen: Die Kombination von intelligenten Endgeräten, neuen mobilen Applikationen, moderner Datenanalyse sowie von Technologie-affinen Endbenutzern schafft die Voraussetzung für komplett neue Geschäftsmodelle.
Höchste Zeit also, dass die CIOs anfangen umzudenken. Im Fokus der IT-Strategie steht dann nicht mehr die möglichst effiziente Transaktion im Rahmen eines geschlossenen linearen Geschäftsprozesses, sondern die differenzierungsfähige Interaktion mit Menschen - Kunden oder Partner - im Kontext einer offenen und dynamischen Wertschöpfungskette. Aber wie mit der steigenden Komplexität umgehen? Schließlich wachsen die IT-Budgets nicht gerade in den Himmel.
Was ist ein System of Record?
Nach einer Forrester-Umfrage vom Anfang dieses Jahres bezeichnet fast die Hälfte aller IT-Entscheider in Deutschland - beinahe doppelt so viele wie im Vorjahr - Investitionen in mobile Lösungen rund um Smartphones und Tablets als eine Top-Priorität. Dabei ist Mobilität nur die sichtbare Manifestation einer weit maßgeblicheren Verschiebung der CIO-Prioritäten.
Bisher konzentrierten sich die Bemühungen des CIO auf die "Systems of Record", wie der Erfolgsautor Geoffrey Moore sie treffend bezeichnet. Mit diesem Begriff bzeichnet er die ERP-Systeme, Datenbanken und RZ-Infrastrukturen, in denen große Datenmengen und Trankaktionen möglichst effizient verwaltet werden. Die zugrundeliegenden Geschäftsprozesse verlaufen in der Regel linear - wie etwa die Schadensabwicklung einer Versicherung oder die Gehaltsabrechnung im Personalwesen - und unterliegen völlig der Kontrolle eines Unternehmens.
Künftig sollten sich die CIOs hingegen auf die "Systems of Engagement" konzentrieren, welche die Interaktion und Kollaboration mit Menschen in den Vordergrund stellen. Um es klar zu sagen: Es geht hier nicht einfach um die Entwicklung mobiler Apps auf der Basis eines existierenden Geschäftsprozesses, etwa eines Hotelbuchungssystems. Ein System of Engagement ist vielmehr eine komplett neue Lösungen, bei der über die Verknüpfung eines intelligenten mobilen Endgeräts mit sozialen Netzwerktechnologien und moderner Datenanalyse sowie auf der Basis von Cloud Computing dem Nutzer eine neuartige Dienstleistung angeboten werden kann.
Um beim gewählten Beispiel zu bleiben: Erst wenn das mobile Frontend über die reine Hotelbuchung hinaus dem Kunden zusätzliche Dienste, etwa die automatische Zimmerschlüsselvergabe beim Betreten der Hotellobby, eine Tischreservierung oder besondere Concierge-Services anbieten kann, handelt es sich tatsächlich um ein System of Engagement.
Entscheidend aus Sicht der Unternehmen ist, dass diese Lösungen nicht mehr im Kontext eines geschlossenen Geschäftsprozesses funktionieren. Vielmehr lässt sich die Wertschöpfung nur über die Öffnung des Prozesses gegenüber einem Ökosystem erreichen, das Kunden, Partner und Mitarbeiter erfasst. Die Kunden steuern die kontinuierliche Verbesserung der Dienstleistung, indem Sie Daten zu ihrem Bewegungs- und Verhaltensmuster freigeben.
Was schon gang und gäbe ist
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Angebote wie der intelligente Laufschuh von Adidas liefern dem Kunden zusätzlichen Nutzen durch die Datenanalyse des individuellen Bewegungsmusters und durch die Einbettung in ein mobiles Fitnessprogramm auf dem Smartphone.
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Der Kunde, der seine intelligente Miele-Waschmaschine (die wiederum an intelligente Stromnetze angeschlossen ist) über sein iPhone fernsteuert, erhält dZugriff auf die verknüpften Dienstleistungen zweier völlig verschiedener Anbieter.
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Automobilhersteller wie Audi oder BMW öffnen ihre Produktentwicklungs-Strategien gegenüber neuen Partnern, beispielsweise Apple, um etwa durch die Integration der iPhone-Sprachsteuerung "Siri" zusätzliche Dienste im ihren Autos anbieten zu können.
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Und wenn die Piloten der Lufthansa die Flugroutenplanung über ein iPad abwickeln, verändert das nicht nur den internen Arbeitsablauf, sondern integriert auch Daten und Informationen einer Reihe externer Partner und Dienstleister.
Für den Endbenutzer - egal ob Kunde, Partner oder Mitarbeiter - wird durch solche Systeme der Zugriff auf Informationen und Dienstleistungen erleichtert. Und die Benutzerfreundlichkeit gilt als wesentliches Erfolgskriterium.
Beispiel Deutsche Bank
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Vor etwa zwei Jahren kündigte die Deutsche Bank an, ihre Kernbankensysteme zu konsolidieren und auf SAP-Basis umzustellen.
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Erklärtes Ziel war, nicht nur Geschäftsprozesse und Dienstleistungen effizienter zu gestalten; gleichzeitig sollte dieser Schritt die Bank auch in die Lage versetzen, ihren Kunden neue Dienstleistungen und Produkte schneller anzubieten.
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Hermann-Josef Lamberti, damals noch Chief Operating Officer der Deutschen Bank, bezeichnete die IT nicht nur als Kostenfaktor, sondern als "wichtigen Wachstumstreiber für unser Geschäft".
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Die Bank brachte gleichzeitig eine Reihe von innovativen Lösungen auf den Weg, beispielsweise die "VorsorgeApp" für das iPad, mit der im Kundengespräch oder persönliche Vorsorgebedarf des Kunden schnell und einfach darstellbar ist.
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Weitere Produktinnovationen werden im Rahmen der Zukunftsfilliale Q110 in Berlin erprobt und den Kunden näher gebracht.
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So gehen Rationalisierung und Industrialisierung der "Systems of Records" einher mit Investitionen in neue "Systems of Engagement" - zwei kritische Bestandteile einer Gesamtstrategie, ausgerichtet auf langfristige Wertschöpfung für das Unternehmen.
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Von separaten Technologiestrategien für die interne IT und die Geschäftsbereiche redet bei der Deutschen Bank inzwischen niemand mehr.
Doch aus Sicht des CIOs nimmt dadurch die Komplexität der Systeme und der zugrunde liegenden Steuerungsprozesse zu. Dabei kämpfen die meisten IT-Abteilungen zunächst einmal mit der Tatsache, dass die existierenden Systeme auf einfache Transaktionen ausgerichtet sind, nicht auf dynamische Interaktion. Umgekehrte Datenströme zum automatischen Erfassen von Nutzungsdaten sind in den meisten Prozessketten nicht vorgesehen. Die riesigen Datenmengen, die durch die ständige Interaktion gesammelt und analysiert werden müssen, überfordern die Datenbanken und RZ-Landschaften. Hinzu kommen interne Steuerungsprozesse und Entwicklungsmodelle, die eine schnelle Reaktion auf die sich rasch verändernden Marktbedingungen unmöglich machen.
Und am Ende steht die Frage: Wer bezahlt das eigentlich? In vielen Fällen werden erste Gehversuche und Pilotprojekte direkt vom Business finanziert und gesteuert. Das führt allerdings gern mal zum Wildwuchs vieler kleiner Insellösungen und nicht selten zu einer Schatten-IT-Infrastruktur.
- Die Zukunft der IT-Organisation
Mobility, ByoD, Big Data, Social Media und Cloud sind Paradigmen, die heute als Anforderungen aus dem Management und den Fachabteilungen auf IT-Organisationen einstürmen. - Milind Govekar, Gartner:
Manchmal werden IT-Verantwortliche sogar für die Kaffeemaschine verantwortlich gemacht. - Peter Burghardt TechConsult:
"IT-Verantwortliche haben sich durch ihre scheinbar einzigartige Kompetenz im Unternehmen eine Art ‚Unentbehrlichkeit‘ aufgebaut." - Rüdiger Gleba, Continental AG:
Rüdiger Gleba, Continental AG: und wie kriege ich jetzt die Verbindung hin zu den etablierten Lösungen?" - Matthias Ziegler von Accenture meint:
"Sobald Systeme integriert werden müssen, führt an der IT kein Weg vorbei." - Metasonic fragte ...
... im Auftrag der Software Initiative Deutschland e.V, warum Fachabteilungen sich an Cloud-Service-Provider wenden. - Andreas Zilch von Experton fühlt ...
... sich bei der Debatte um Fachabteilungen contra IT-Organisationen an frühere Zeiten erinnert: "Heutzutage passiert das, was ich Client-Server 2.0 nenne." - IDC fragte Unternehmen,
welche Vorkehrungen diese treffen, um Sicherheitsrisiken beim Einsatz von mobilen Geräten zu minimieren. - Bei der Frage,
wo eigentlich in Zeiten von Cloud die Firmendaten lagern, wurde in einer Varonis-Studie auch große Ahnungslosigkeit offenbar. - IDC befragte Unternehmen,
welche Strategie diese verfolgen, wenn sie sich dem Thema Cloud Computing widmen. Fazit: Cloud-Aktivitäten werden stark genutzt. - Matthias Kunisch,
Geschäftsführer des SaaS-Anbieters Forcont Business Technology GmbH, meint, die IT unterstütze das Business nicht nur, sie mache es in Teilen überhaupt erst möglich. - Axel Oppermann von Experton ...
... prägt den Begriff vom "disruptive Wettbewerbsfaktor des 21. Jahrhunderts". Disruptive Entwicklungen könnten bestehende Wertesysteme unterbrechen. - In einer Big-Data-Studie von BT ...
... wurde unter anderem erforscht, wie Massendaten entstehen und woher sie kommen. Zentrale Treiber für das Datenwachstum von außen sind: (siehe Grafik) - Auch in Unternehmen wachsen ...
... die Datenberge ständig. Grund hierfür sind: (siehe Grafik) - Carlo Velten, Senior Advisor bei der Experton Group:
"Die Herausforderungen des Datenwachstums müssen zuerst auf der Infrastrukturseite gemeistert werden." - Die BT-Studie ...
... zu Beweggründen, eine ByoD-Strategie zu verfolgen, ergibt deutliche Ergebnisse: Firmen versprechen sich u.a. Wettbewerbsvorteile, eine höhere Produktivität und eine verbesserte Flexibilität. - Erhard Klein, CIO von Winterhalter,
hat Bedenken wegen ByoD. Er sieht den "mündigen Mitarbeiter" noch nicht: ""Der User klickt doch auf alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist." - Social Media in deutschen Unternehmen:
Nach einer Bitkom-Untersuchung haben hierzulande vor allem kleine und mittelständische Unternehmen Nachholbedarf. - Udo Nadolski von Harvey Nash:
"Mobilität und Social Media zusammen sind Haupttreiber für die Umwälzungen von Organisationen." - Kaspersky Lab hat ...
... im Juli 2012 untersucht, welche Smartphone-Plattformen durch Malware am meisten gefährdet sind. Das Ergebnis ist eindeutig. - Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn meint,
dass kleine und mittelständische Unternehmen die Möglichkeiten von Social Media nicht konsequent nutzen. - Peter Ratzer, Deloitte:
"Mobility, Cloud, Social Media sind neue Anforderungen." - Arne Josefsberg, ServiceNow:
"CIOs von morgen sollten auch an den ganz großen Tischen im Unternehmen sitzen."
Nötig ist ein neues Miteinander
Dabei geht es langfristig gar nicht um die Frage, wer was bezahlt und wer für welche Systeme er verantwortlich ist. Der Veränderung von Systems of Record zu Systems of Engagement bedeutet nämlich auch, dass die Grenzen zwischen Unternehmens-IT und Produktentwicklung zunehmend verschwimmen. Gefordert ist ein neues Miteinander von IT- und Business-Abteilungen. Dabei stehen drei Fragen im Vordergrund, die von beiden Seiten gemeinsam bearbeitet und beantwortet werden müssen:
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Wie wirken sich die neuen Systems of Engagement auf wichtige Wertschöpfungsketten innerhalb des Unternehmens aus, beispielsweise auf Innovation, Entwicklung, Beschaffung, Marketing, Vertrieb, Kundendienst und Unternehmensführung?
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Welche Rahmenbedingungen und Investitionen sind nötig, um existierende Prozesse und Systems of Record auf mehr betriebliche Flexibilität und kontinuierliche Interaktion mit Kunden, Partnern und Mitarbeitern auszurichten?
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Wie können neue Technologien (etwa Cloud Computing, Big Data, soziale Netzwerke und intelligente mobile Endgeräte), effektiv und verantwortungsvoll eingeführt sowie verwaltet werden, damit die Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens langfristig wettbewerbsfähig und innovativ bleiben?
Planung und Ausführung zu diesem Veränderungsprozess werden nur gelingen, wenn IT- und Business-Abteilungen ein gemeinsames Verständnis von Informations-Management, Kontrolle und Governance entwickeln. Letztendlich ist es das Ziel, die unternehmerische Wertschöpfung durch die neuen Systems of Engagement in den Vordergrund zu rücken. (qua)