Deutschland im Verzug

Mittelstand trödelt bei Digitalisierung

10.03.2015
High-Tech-Standort Deutschland im Verzug: Viele Mittelständler hadern mit der Digitalisierung oder verkennen noch ihre Bedeutung. Das könnte sich schon bald rächen, fürchten Experten.

Der digitale Umbruch bringt die deutsche Wirtschaft unter Zugzwang: Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse müssen umgekrempelt und die Beziehungen zu Kunden und Zulieferern neu justiert werden. Doch vor allem viele Mittelständler reagieren noch zu behäbig auf die Herausforderungen, mahnen Experten. Dabei ist Eile geboten, um den Anschluss nicht zu verpassen.

Beispiele wie der Fahrdienst-Anbieter Uber oder der Zimmer-Vermittler AirBnB machen deutlich, wie rasant sich viele Märkte wandeln. Eben noch fühlte sich manches Unternehmen sicher und gut aufgestellt in seiner Nische mit angestammten Produkten und Dienstleistungen, doch praktisch über Nacht drängen neue Konkurrenten auf den Markt, "und das aus Ecken, aus denen man es gar nicht erwartet hat", sagt Nikolay Kolev, Partner beim Beratungsunternehmen Deloitte Digital.

Betroffen sind fast alle Firmengrößen und Branchen - nach Einzelhandel und Medienwirtschaft auch die Automobilindustrie mit ihren Zulieferern, Lebensmittelhersteller, aber auch Banken, Versicherungen und andere Wirtschaftszweige. "Die Digitalisierung wird vor keiner Branche haltmachen", sagt Maximilian Hille vom IT-Beratungsunternehmen Crisp Research.

Der wohl größte Investitionsbedarf zeichnet sich bei Industrieunternehmen ab, die ihre Produktion vernetzen, Lieferketten umstellen und eine ganz neue Kundenkommunikation betreiben müssen. Für Unsicherheit sorgen dabei Themen wie die IT-Sicherheit, aber auch rechtliche Fragen, wie etwa eine kürzlich veröffentlichte Befragung des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages ergab.

Mit der Aufrüstung der firmeneigenen IT-Infrastruktur alleine ist es also nicht getan, hat auch Deloitte-Experte Kolev festgestellt. Nötig sind digitale Strategien, die von Management, Aufsichtsräten und Gesellschaftern mitgetragen werden müssen. "Sie müssen verstehen, dass der Aufbau neuer Geschäftsmodelle Teil ihrer DNA werden muss."

Diesen Weg ist beispielsweise die Hain GmbH aus Offenbach am Main gegangen: Das Unternehmen vertreibt nicht nur Kopierer, Drucker und Faxgeräte, sondern bietet seit einigen Jahren auch digitale Büromanagement-Lösungen, etwa fürs Rechnungswesen der Kunden. Damit habe man auch auf den Preisverfall bei den Geräten reagiert, sagt Geschäftsführer Maurizio Pittello. Das zweite Standbein steuere mittlerweile die Hälfte zum Gesamtumsatz des Unternehmens mit 23 Beschäftigten bei.

Doch so weit sind viele Firmen nicht einmal ansatzweise, wie nicht nur der Präsident des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, beklagt: Jeweils rund ein Fünftel der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland sei nicht mit einer eigenen Website im Internet vertreten und nicht in sozialen Netzwerken aktiv, sechs von zehn mittelständischen Händlern betreiben keinen Onlineshop. Ohoven hält das für eine sträfliche Nachlässigkeit, die sich auch im internationalen Wettbewerb rächen könnte: "Nur wer sich als Unternehmer frühzeitig neuen Herausforderungen stellt, wer sie als Chance begreift, kann auf Dauer am Markt bestehen."

Die Gründe sind dabei vielfältig: Der Konjunkturmotor in Deutschland läuft derzeit rund, das schafft vermeintlich wenig Handlungsdruck. Aber auch die Altersstruktur der Unternehmer spielt eine Rolle: Der Firmen-Patriarch mit Mitte Sechzig tut sich tendenziell schwerer mit neuen Technologien als der junge Startup-Unternehmer, der mit dem Internet aufgewachsen ist.

Gerade ältere Mittelständler stehen vor der Frage, ob und wie viel IT-Personal sie aufbauen und wie viel Geld sie insgesamt in die Hand nehmen müssen, um dem Megatrend gerecht werden zu können. Dabei kann eine erfolgreiche Digitalisierung mittel- bis langfristig helfen, massiv Kosten zu sparen, sagt Experte Hille. Ängstliches oder gar stures Abwarten nach dem Motto "Das haben wir doch schon immer so gemacht" jedenfalls hilft nicht - schließlich geht es darum, die Unternehmen fit für die Zukunft zu machen. (dpa/tc)