Kompetenzen bündeln: Digital Partnering

Mittelstand braucht digitale Partnerschaften

20.12.2019
Von   IDG ExpertenNetzwerk

Konrad Krafft ist Gründer und Geschäftsführer des Beratungs- und Softwarehauses doubleSlash Net-Business GmbH. Er hat Allgemeine Informatik mit Schwerpunkt Künstliche Intelligenz studiert und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Entwicklung digitaler Services, insbesondere im Bereich von Unternehmensprozessen und Softwareprodukten. Als Experte befasst er sich mit der Industrialisierung von Software-Entwicklung und neuen digitalen Geschäftsmodellen.

Bislang wird die Digitalisierung von großen Unternehmen dominiert, die sich eigene Digitalteams "leisten" können. Für den Mittelstand sind viele Hürden schlicht zu hoch. Digitale Partnerschaften können Abhilfe schaffen.

Jörg Zeuners Bestandsaufnahme ist klar: "Die künftige Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstands hängt in erheblichem Umfang davon ab, dass ihm die Digitalisierung gelingt und moderne, zukunftsfähige Geschäftsmodelle entstehen. Unsere aktuelle Analyse zeigt, dass sich hier zwar einiges in die richtige Richtung bewegt. Allerdings bleiben einige Baustellen," so der Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe im Frühjahr 2019 nach einer repräsentativen Analyse von KfW Research.

Digital Partnering im Mittelstand
Digital Partnering im Mittelstand
Foto: doubleSlash

Zu den Digitalisierungshemmnissen im Mittelstand zählen laut Zeuner fehlende IT-Kompetenzen der Arbeitnehmer, aber auch Probleme bei der Anpassung der Unternehmens- und Arbeitsorganisation.

Mindset als Hürde

Letztere dürften nicht zuletzt auf die Hürden im sogenannten "Mindset" zurückzuführen sein, die die von Cisco und zehn mittelständischen IT-Unternehmen 2017 vorgelegte Studie "Psychologie der Digitalisierung" offen legt. Danach sehen mehr als drei von vier Entscheidern im Mittelstand die Digitalisierung als rationale "Pflichtveranstaltung". Für fast die Hälfte stellt sie ein Wagnis dar, und fast jeder dritte Entscheider verbindet mit der Digitalisierung negative Gefühle und erlebt sie als große Herausforderung. Das spricht nicht gerade für Wagemut und Lust auf Neues. Ohne die aber wird die Digitalisierung zum Rohrkrepierer.

An dieser eher risikofokussierten Grundeinstellung hat sich nach unserer Erfahrung bis heute nicht allzu viel verändert. Doch ängstliches Abwarten hilft nicht. Denn mit jedem Tag, an dem ein Mittelständler die digitale Transformation nicht aktiv angeht, wächst der Zeitdruck. Schließlich bauen praktisch alle großen Unternehmen seit Jahren ihre Digitalisierungskompetenz auf und treiben mit digital getriebenen Produkten und Geschäftsmodellen die Transformation der Märkte voran.

So zählten 62 Prozent der im Jahr 2018 von der Digitalberatung Etventure und dem Marktforschungsinstitut GfK befragten deutschen Großunternehmen die digitale Transformation zu ihren drei wichtigsten Unternehmenszielen. Zwar ist dieser Wert in der jüngsten Umfrage von 2019 auf 54 Prozent gesunken, als Hauptgrund dafür nennen die befragten Unternehmen aber keineswegs veränderte Prioritäten. Vielmehr geben 76 Prozent zu Protokoll, das Problem sei der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern mit Digital-Know-how. Ein Mangel, der den Mittelstand noch härter trifft.

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Neu denken und vernetzen

In unserer Zeit komplexer Verflechtungen, hohen Wettbewerbsdrucks und extrem schneller, disruptiver Veränderungen, sind zwei Faktoren erfolgskritisch:

  • die Fähigkeit neu zu denken und

  • die Vernetzung unterschiedlicher Kompetenzen, kurz: Teamgeist.

Ad eins: Wer Geschäftsmodelle entwickeln will, die bis vor wenigen Jahren nicht denkbar waren, muss überkommene Routinen und Hierarchien über Bord werfen und braucht gänzlich neue Denkansätze. "Die Digitale Transformation", so Etventure-Geschäftsführer Philipp Depiereux "bedeutet vor allem ein Kulturwandel im Arbeiten und im Mindset, weg vom perfektionistischen 'Ingenieursdenken', weg vom Fokus auf das Produkt, hin zum Kunden."

Ad zwei: Der Kenianer Eliud Kipchoge hätte die Marathon-Schallmauer von zwei Stunden nicht durchbrechen können, ohne seinen "Wunderschuh", ohne die akribisch ermittelte Ideallinie und den Spezialasphalt im Prater. Seinen Leistung verdankt der Spitzensportler dem optimalen Zusammenwirken von Experten in vielen Spezialdisziplinen. Das Team macht den Erfolg.

Wenn zwei Teams das gleiche Ziel haben, ist nahezu alles möglich.
Wenn zwei Teams das gleiche Ziel haben, ist nahezu alles möglich.
Foto: Viesinsh - shutterstock.com

Technik und Psychologie

Im Wesentlichen haben wir es bei der Digitalisierung mit zwei Handlungsfeldern zu tun: dem technischen, Software-getriebenen, und dem psychologischen - genauer: dem Denken in neuen, teamorientierten Arbeitsstrukturen und am Kundennutzen ausgerichteten Geschäftsmodellen.

Im Zentrum des technischen Handlungsfeldes steht vor allem IT-Knowhow. Denn: Wo auch immer die Kernkompetenzen eines Unternehmens liegen - will es mit Erfolg auf der Digitalisierungswelle reiten, ist Software-Kompetenz gefragt. Ohne Software läuft heute keine Maschine, ist kein moderner Geschäftsprozess möglich. Und oft sind es auf Software basierende Services oder Leistungsmerkmale, die im Wettbewerb den entscheidenden Unterschied machen.

Und auch das zweite Handlungsfeld, in dem es um neues Denken, neue Geschäfts- oder Vermarktungsmodelle geht, lebt von Digitalisierungs-Knowhow - kombiniert mit dem Wissen um digitale Vermarktungsstrategien und dafür geeigneten IT-Lösungen.

Wie geht man nun als Mittelständler sinnvoll vor, um die digitale Transformation auf beiden Gebieten schnell einzuleiten und nachhaltig zu gestalten? Und das angesichts fehlender Spezialisten im eigenen Unternehmen, die über das erforderliche Wissen verfügen - siehe oben.

Selbst machen oder einkaufen

Im Grunde gibt es drei Möglichkeiten:

  • Die erforderlichen Kompetenzen selbst aufbauen,

  • sie einkaufen, oder

  • sich Kompetenz zum Beispiel in Form eines Joint Venture an Bord zu holen.

Nach unserer Erfahrung wollen die meisten mittelständischen Unternehmen Knowhow, das sie für ihre Zukunftsfähigkeit als notwendig erachten, selbst aufbauen. Das ist sicher langfristig strategisch sinnvoll. Dies alleine zu tun, kann allerdings hohe Risiken bergen, kann teuer werden und viel Zeit kosten. Diese Zeit haben viele Mittelständler nicht mehr. Denn auch die "time-to-market" ist längst zum kritischen Erfolgsfaktor geworden. Ganz zu schweigen vom Risiko, sein digitales Projekt in den Sand zu setzen. Selbst wenn man auf dem Markt Spezialisten findet, mit denen sich ein Digitalteam aufbauen lässt - das Risiko, dass das Team nicht richtig performt oder das Projekt aus anderen Gründen nicht zum Fliegen bringt, ist kaum einschätzbar.

Digital Partnering

Das Gebot der Stunde für den Mittelstand kann "Digital Partnering" sein. Dabei holt sich das Unternehmen Digitalisierungspartner ins Haus - mit im Wesentlichen drei Optionen:

  • um ein bestimmtes Produkt schnell zu digitalisieren und marktreif zu machen,

  • um mithilfe des externen Partners digitales Knowhow selbst aufzubauen,

  • mit dem Ziel einer langfristigen Unternehmenspartnerschaft.

Welche Option auch immer im Raum steht, der Digitalpartner sollte nachweislich Kompetenzen auf beiden Handlungsfeldern haben: der rein technischen Digitalisierung und dem Entwickeln neuer Geschäfts- und Vermarktungsmodelle.

Unter Umständen empfiehlt es sich, den neuen Partner zunächst mit einem überschaubaren Projekt zu betrauen, etwa der Entwicklung eines Pay-per-Use-Modells, der Digitalisierung eines begrenzten Geschäftsprozesses oder der Verlängerung der Wertschöpfungskette eines Hardware-Produkts mittels Software Add-On.

Dabei lässt sich relativ schnell feststellen, ob der Partner sich gut in die Kultur des Unternehmens einfügt, ob die jeweiligen Wertegerüste zueinander passen und ob "die Chemie" stimmt. Und natürlich auch, ob die Kompetenzen und der kreative Input des Partners den eigenen Anforderungen und Erwartungen entsprechen. Denn nur dann kann ein Digitalisierungsprojekt am Ende erfolgreich und womöglich der Start in eine langfristige Unternehmenspartnerschaft sein - ob als firmentechnisch getrennte Partner oder gar in einer eigenen gemeinsamen Ausgründung.
In der Regel wirkt sich ein solcher Ansatz auch positiv auf die Risiken aus, die sich durch das Einbinden eines kompetenten Digitalpartners auf mehrere Schultern verteilen und dadurch verringern lassen.

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Steht im Fokus, das Knowhow langfristig selbst aufzubauen, sollten die folgenden Fragen abgewägt werden:

  • Wieviel will ich selbst machen, wieviel soll der Digitalisierungspartner umsetzen?

  • Wie schnell will ich mit dem neuen Produkt im Markt sein beziehungsweise meine digitale Strategie ausrollen?

  • Wieviel Risiko in Zeit und Geld bin ich bereit und in der Lage, einzugehen?

Eventuell empfiehlt sich eine klassische PoC-Strategie mit hohem Trial-and-Erro-Anteil.

Ein wesentlicher Punkt, wenn ein Unternehmen Digitalisierungs-Neuland betritt, ist: Neue Produkte oder Dienstleistungen müssen absolut stabil laufen, ehe sie in den Markt gehen. Man erinnere sich an die frühen PCs der 1990er-Jahre.

Damals gehörte es fast schon zum guten Ton für einen Rechner, ab und zu "einzufrieren" oder in irgendeiner Form den Dienst zu versagen.
Damals gehörte es fast schon zum guten Ton für einen Rechner, ab und zu "einzufrieren" oder in irgendeiner Form den Dienst zu versagen.

Heute, in Zeiten extrem stabiler Soft- und Hardware-Produkte, nimmt der Anwender solche Bugs übel. Der Markterfolg ist dahin. Allein um hier die erforderliche Sicherheit zu gewährleisten, kann es sinnvoll sein, einen erfahrenen Digitalpartner einzubinden.

Fest steht: Die digitale Transformation erfordert Agilität, also die Fähigkeit, mit stetig sich verändernden Rahmenbedingungen flexibel umzugehen, schnell, vorausschauend und proaktiv zu handeln. Sie braucht Teamgeist und Vertrauen, denn dies sind die Voraussetzungen, um interdisziplinäre Kompetenzen miteinander zu vernetzen und die Teammitglieder auf gemeinsame Ziele einzuschwören. Digitale Partnerschaften können dem Mittelstand helfen, die Hürden zu nehmen, schnell einzusteigen und die notwendige Geschwindigkeit und Schlagkraft zu entwickeln.