Bereits im Jahr 2035 soll die Stromversorgung nahezu vollständig durch erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff erfolgen und so Energieversorgung und Klimaschutz sicherstellen. Deshalb soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch in Deutschland von heute gut 40 Prozent bis 2030 auf 80 Prozent verdoppelt werden. Hierfür sind im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 215 Gigawatt installierter Photovoltaik-Leistung im Jahr 2030 vorgesehen.
"Das bedeutet, dass wir den jährlichen Ausbau von gut sieben Gigawatt im Jahr 2022 auf 22 Gigawatt verdreifachen müssen", erklärt dazu Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Dieser starke Ausbau sei sinnvoll, weil Photovoltaik einer der günstigsten Energieträger ist und somit zu den wichtigsten Stromerzeugungsquellen der Zukunft gehört.
An der Entschlusskraft der rot-grün-gelben Bundesregierung, diesen Weg der Energiewende temporeich weiterzugehen, hat auch die jüngste Haushaltslücke durch das "60-Milliarden-Euro-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts wenig geändert. Gespart und neu eingenommen werden soll an anderen Stellen im Bundeshaushalt.
Doch dem Erfolg der Energiewende liegen weitere große Felsblöcke im Weg, die es schnell und mit innovativen Ansätzen auszuräumen gilt. Allen voran sind da der Fachkräftemangel und die häufig noch viel zu analogen Strukturen in der Energiewirtschaft genannt. Doch umgekehrt muss klar sein: Nur mit den richtigen Fachleuten und vor allem smarten digitalen Lösungen ist die Klimaneutralität Deutschlands bis zur Mitte dieses Jahrhunderts überhaupt ein realistisches Ziel.
Mancher altgediente Energie-Tanker am Markt tut sich mit dem Tempo und den neuen Fragestellungen indes erkennbar schwer. Die wesentlichen Marktveränderungen erfolgen durch pfiffige und wendige Schnellboote - als Beispiel dafür hier drei Clean-Energy-Tech-Unternehmen aus Deutschland, die 2024 durchstarten könnten.
envelio: Digitaler Zwilling für die Energiewende
Auf den ersten Blick scheint es nur ein Thema für Juristinnen und Juristen zu sein: die neue Regelung beim Paragrafen 14a des Energiewirtschaftsgesetzes, kurz EnWG, zum 1. Januar 2024. Dahinter verbirgt sich jedoch ein Wandel, der weitreichende Folgen für die deutschen Energienetze haben wird. An der Steuerung von Verbrauchern und Erzeugern kommen die Netzbetreiber nicht vorbei: Sie müssen ihre Netze digitalisieren.
Darüber hinaus sind sich Energieexperten einig, dass im Zuge der Energiewende vor allem die Flexibilisierung der Netze eine wichtige Maßnahme ist, um Netzengpässe zu vermeiden. Insbesondere die Integration von Millionen von erneuerbaren Energiequellen sowie Wärmepumpen und Ladestationen für Elektrofahrzeuge stellt die bestehenden Energienetze vor enorme Herausforderungen: Bis zu zehnmal mehr Netzanschlüsse müssen jährlich realisiert werden, was die bestehende Netzinfrastruktur überfordert.
Angesichts dieser Herausforderungen liegt die Lösung in der Intelligenz und Automatisierung der Netze. Nur so können die bestehenden Netze effizienter genutzt und an die Anforderungen einer modernen, nachhaltigen Energieversorgung angepasst werden.
Profitieren vom Trend zur smarten Steuerung der Energienetze wird definitiv das Kölner Unternehmen envelio. Es wurde im Jahr 2017 als Spin-off der RWTH Aachen gegründet und stellt Software für Netzbetreiber zur Verfügung. Mit seiner Intelligent Grid Platform ermöglicht das Unternehmen einen transparenten Einblick in die tatsächlichen Vorgänge im Netz. Ein digitaler Zwilling eröffnet dabei den Netzbetreibern die Möglichkeit, Prozesse durch Automatisierung sowie Digitalisierung zu optimieren, Schwachstellen im Netz zu beheben und Netzanschlüsse automatisiert abzuwickeln.
metiundo: Nachhaltige Energiewende im Immobiliensektor
Auf dem Weltklimagipfel in Glasgow im Jahr 2021 standen vor allem Immobilien im Fokus. Und das mit gutem Grund: Gebäude und Immobilien sind nach Schätzungen für fast 40 Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen sowie für etwa die Hälfte der geförderten Rohstoffe verantwortlich.
Nach Schätzungen dürfte sich der weltweite Bestand an Gebäuden bis 2050 verdoppeln. Dann werden fast 70 Prozent der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten leben. Gerade ältere Häuser, in deren Keller noch überholte Öl- oder Gasheizungen bollern, oder durch deren Fenster und Türen es wie Hechtsuppe zieht, gehören auf den energetischen Prüfstand - auch in Deutschland. Die CO2-Emissionen im Immobiliensektor müssen zügig gesenkt werden. Aber was nicht gemessen wird, kann auch nicht reduziert werden.
Um dieses Problem kümmert sich das Berliner Startup metiundo. Das 2021 gegründete Unternehmen beschäftigt 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bietet nach eigenen Worten Immobilieneigentümerinnen und -eigentümern "eine umfassende Lösung für die Transparenz und Optimierung ihres Energie- und Wasserverbrauchs". Dafür stellt metiundo Energie- und Wasserverbrauchsdaten live bereit und ermöglicht so eine wirksame Reduzierung des Kohlendioxid-Fußabdrucks von Immobilien. Seit August 2023 sind Enpulse und Viega als Investoren am Startup beteiligt.
Der digitale Keller ist bei diesem Geschäftsmodell die Tür zur digitalen Welt: Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer erhalten alle Energie- (Strom, Gas, Wärme) und Wasser-Live-Daten ihres Immobilienportfolios. Für diese Dienstleistung bezahlen sie eine jährliche Gebühr.
nue: "Low-Code/No-Code" für die Energiewirtschaft
Es ist ja nicht so, dass die Player in der Energiewirtschaft hierzulande nicht verstanden hätten, wie wichtig die Digitalisierung bestehender Geschäftsmodelle und Prozesse ist. Nur: Wie umsetzen, wenn es landesweit einen eklatanten Mangel an IT-Fachkräften gibt, der sich in den kommenden Jahren noch dramatisch verschärfen dürfte?
Ein Teil der Lösung dafür könnte im "low" oder "no code" liegen. Kurz gesagt ist die Idee dahinter, dass auch Nicht-Programmier-Cracks mit entsprechenden Tools und auf spezialisierten Plattformen smarte Anwendungen umsetzen können. Möglich machen das Startups wie das Berliner Unternehmen nue. Von einer Firma, die seit der Gründung 2022 an der Wattstraße in Berlin-Mitte ihren Sitz hat, ist nichts anderes zu erwarten als ein Fokus auf die Energiewirtschaft: nue stellt digitale Tools für die neue Energiewirtschaft bereit.
Mit dem ersten Produkt "certflow" bringt nue Fachplanerinnen und Fachplaner, Installationsbetriebe und Zertifizierungsstellen auf einer Webplattform zusammen und vereinfacht den Zertifizierungsprozess der Anlagenzertifizierung für neue Photovoltaikanlagen in einer Leistungsklasse von 135 bis 950 Kilowatt. Das Startup hilft dabei, schnell die benötigten Daten und Informationen für jeden Schritt der Anlagenzertifizierung zusammenzustellen, zu bewerten und übersichtlich zu dokumentieren. Das Credo des Unternehmens verbindet die beiden Megatrends Personal und Digitalisierung in der Energiewirtschaft: "Es fehlen die Fachkräfte, also bleibt uns nur, die Prozesse zeitlich zu verschlanken", sagt CEO Jelena Mrvelj. (mb)