Continental AG

Mit Big Data zu neuen Mobilitätsdiensten

18.07.2018
Von 
Wolfgang Herrmann ist IT-Fachjournalist und Editorial Lead des Wettbewerbs „CIO des Jahres“. Der langjährige Editorial Manager des CIO-Magazins war unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO sowie Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Continental-CIO Christian Eigler setzt auf dezentrale Strukturen und treibt den digitalen Wandel auf verschiedenen Ebenen voran. Eine Schlüsselrolle spielt das Thema Big Data Analytics.
Das automatisierte Fahren gehört neben neuen Mobilitätsdienstleistungen zu den großen Wachstumsfeldern der Continental AG. Die IT spielt dabei eine zentrale Rolle.
Das automatisierte Fahren gehört neben neuen Mobilitätsdienstleistungen zu den großen Wachstumsfeldern der Continental AG. Die IT spielt dabei eine zentrale Rolle.
Foto: Continental AG

Bis 1998 hat Continental eigentlich nur "Gummi und Plastik" produziert, blickt Christian Eigler zurück, seit Januar 2016 Corporate CIO des Konzerns. Mit dem Einstieg ins Automotive-Business vollzog sich ein grundlegender Wandel. Das Geschäft mit Automobiltechnik und -zubehör ist heute größer als das klassische Reifengeschäft, das Continental in der Rubber Group gebündelt hat.

Das 1871 gegründete Unternehmen mit Hauptsitz in Hannover steckt längst im nächsten Umbruch, ausgelöst durch die disruptiven Veränderungen in der Automobilbranche. Wachstumschancen sieht der Konzern heute unter anderem in Mobilitätsdienstleistungen und im Bereich automatisiertes Fahren. Die IT spielt dabei eine zentrale Rolle. "Früher war IT bei Continental ein reiner Kostenfaktor", erinnert sich Eigler. Seit gut drei Jahren sei die Wahrnehmung eine andere. "Die IT darf jetzt auf der Hauptbühne auftreten."

Mit dem digitalen Wandel stiegen allerdings auch die Erwartungen an die IT-Verantwortlichen. Continental habe sich bewusst gegen die Position eines zentralen Digitalchefs entschieden, so Eigler. Stattdessen setze man auf viele engagierte Köpfe, die die Digitalisierung in ihren Bereichen vorantrieben. Dieses dezentrale Modell passe besser zur Konzernstruktur. Die ersten Auswirkungen des Wandels zeigten sich, als Continental begann, klassische Produkte mit Software anzureichern. Für den gelernten Betriebswirt Eigler steckt dahinter aber noch kein digitaler Wandel, sondern eher eine klassische Produktentwicklung. Digitalisierung beginnt aus seiner Sicht mit dem Begriff Servitization: "Wir sammeln produktnah Daten und generieren daraus Services."

Die Unternehmens- und IT-Fakten der Continental AG.
Die Unternehmens- und IT-Fakten der Continental AG.
Foto: Continental AG

Continental sei für diese Aufgabe gut aufgestellt, denn: "Im Internet der Dinge sind wir diejenigen, die die Dinge machen. Und die erzeugen wiederum einen kontinuierlichen Datenstrom." Ein Beispiel dafür ist der "konnektierte Reifen", der mit Hilfe von Sensoren Daten erfasst und an das Backend schickt. Daraus lassen sich Datenservices entwickeln, die beispielsweise für Flottenbetreiber interessant sein können.

Einen Schritt weiter gehen die "Mobility Services", an denen die Niedersachsen arbeiten. Eigler: "Dahinter verbergen sich ganz neue Geschäftsmodelle, die sich fast ausschließlich auf Daten beziehen." Hinzu kommen nach innen gerichtete Initiativen im Bereich "Smart Factory". Hier dreht sich alles um Effizienz, sprich: um optimierte Prozesse in Fertigung und Logistik.

Eine Schlüsselrolle für die digitale Transformation des Konzerns spielt das Thema Big Data Analytics, berichtet der CIO. Neben geschulten Fachanwendern brauche man dafür auch hochspezialisierte Analytics-Experten und Data Scientists, die auf dem Markt schwer zu finden seien. Continental bilde solche Fachkräfte deshalb auch selbst aus.

Eine jüngere Initiative in diesem Kontext heißt "Self Service Analytics". Continental will damit Mitarbeiter ohne tiefe IT-Kenntnisse in die Lage versetzen, Big-Data-Analysen anzustoßen und zu nutzen. Der Weg dorthin führe nicht über eine zentrale Spezialabteilung, erläutert Arne Beckhaus, Head of Big Data & Digital Transformation in der Division Chassis & Safety. Vielmehr gehe es darum, "das Analytics-Wissen zu den Nutzern zu bringen und so einen Mehrwert für das Business zu schaffen".

Self Service Analytics

Beckhaus und seine Kollegen haben sich die Nöte der Fachanwender angehört und beispielsweise erfahren, dass es im Bereich Supply Chain noch viele manuelle Datenanalyseprozesse gibt. Mit Hilfe von Analytics-Systemen könnten Mitarbeiter etwa schneller auf veränderte Lagerbestände reagieren und Lieferengpässe vermeiden.

Zielgruppe des Projekts Self Service Analytics sind Anwender, die keine Softwareentwickler sind und sich nicht mit Programmiersprachen wie Python oder komplexen Frameworks wie Spark beschäftigen wollen. "Diese Umgebungen sind für die meisten Kollegen viel zu kryptisch", sagt Beckhaus. Er setzt stattdessen auf die Open-Source-Analytics-Plattform KNIME. Nutzer arbeiten dabei nicht mit klassischem Programmcode, sondern mit visuellen Modellen. Diese lassen sich ähnlich wie im BPM-Tool Aris relativ einfach mit wenigen Mausklicks erstellen. Mit dieser Art von "Visual Analytics" können Fachanwender auch anspruchsvolle Analytics-Methoden nutzen, ohne eine Skript- oder Programmiersprache zu erlernen.

"Wichtig ist dann nicht mehr das technische Know-how, sondern das Domänenwissen", betont Beckhaus. Bis zum Frühjahr 2018 hat Continental bereits rund 300 Mitarbeiter im Umgang mit KNIME geschult. Sie kommen aus so unterschiedlichen Bereichen wie Personal, Controlling, IT oder Logistik. Das Trainingsprogramm sei an konkreten Anwendungsbeispielen aus dem Unternehmen ausgerichtet. Gut die Hälfte der Absolventen nutze das Tool bereits in der täglichen Arbeit.

Cloud Computing und Data Lake

Zur technischen Basis der Analytics-Initiativen sowie der gesamten Konzern-IT gehören die "Continental.cloud" und der "Continental.datalake". Eigler hat dazu eine hybride Cloud-Infrastruktur aufgebaut, die IT-Dienste von AWS und Microsoft ebenso einbezieht wie Private-Cloud-Ressourcen. Im östlichen Wirtschaftsraum will der CIO künftig auch Infrastrukturdienste des chinesischen Cloud-Providers Alibaba nutzen. Wo und wie die einzelnen Dienste gehostet werden, ist aus Eiglers Sicht nicht die entscheidende Frage. Vielmehr komme es darauf an, dass alle Cloud-Dienste nahtlos in die bestehenden Prozesse eingebunden seien: "Die Public Cloud muss sich aus Nutzersicht genauso verhalten wie die interne IT."

Continental CIO Christian Eigler: "Nicht nur Ingenieure, sondern wirklich jeder im Unternehmen, der eine Idee hat, kann mit der Continental.cloud und dem Continental.datalake arbeiten."
Continental CIO Christian Eigler: "Nicht nur Ingenieure, sondern wirklich jeder im Unternehmen, der eine Idee hat, kann mit der Continental.cloud und dem Continental.datalake arbeiten."
Foto: Continental

Hybrid ausgelegt ist auch der Continental.datalake, der unter anderem auf Cloud-Ressourcen zurückgreift. Er stellt Mitarbeitern Daten aus unterschiedlichsten Quellen zur Verfügung und soll einen besonders einfachen Zugriff ermöglichen. Mitarbeiter könnten die "Analytics Self Service Platform" nutzen, ohne erst umständlich einen Antrag zu stellen, betont Eigler: "Einfach registrieren und fertig. Nicht nur Ingenieure, sondern wirklich jeder im Unternehmen, der eine Idee hat, kann mit der Continental.cloud und dem Continental.datalake arbeiten."

Mobility-Services aus der Cloud

Auf der Plattform will Continental künftig verstärkt Mobility-Services entwickeln und bereitstellen. Zu den ersten konkreten Beispielen gehört die App "Park­pocket", die Continental 2017 mit der Übernahme des gleichnamigen Münchner Startups erworben hat. Nutzer können damit unter anderem Parkplätze in der Stadt finden und Parkkosten kalkulieren.

Mit "OTAkeys" offerieren die Hannoveraner zudem einen digitalen Fahrzeugschlüssel, der über das Smartphone des Nutzers bereitgestellt wird. Als "einmaliger digitaler Wegwerfschlüssel" eignet sich der Dienst beispielsweise für Car-Sharing-Fahrzeuge, klassische Mietwagen oder auch Flottenfahrzeuge von Unternehmen. Auch OTAKeys wird über die Continental.cloud bereitgestellt und betrieben.

Für die schöne neue Servicewelt bedarf es auch auf der Prozessebene grundlegender Veränderungen. Eigler setzt auf einen DevOps-Ansatz. Entwicklungs- und IT-Betriebsteams arbeiten dabei Hand in Hand: "Wir entwickeln Dinge gemeinsam. Die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Bereichen verschwimmen."

Dabei spielten auch agile Entwicklungsmethoden eine Rolle, allerdings nicht flächendeckend, sondern nur dort, wo ein Nutzen klar erkennbar sei. Auf dieser Basis entständen neue Mobility-Services grundsätzlich "Cloud-native", sagt Eigler. Die Dienste würden komplett in der Cloud entwickelt und später im Betrieb auch dort bereitgestellt und supportet. Die kontrovers diskutierte "Bimodal IT" hält er für den falschen Ansatz: "Zwei unterschiedliche Einheiten in einem Unternehmen? Das ist Quatsch." Die IT-Organisation müsse als Ganzes schneller und agiler werden.

Unternehmenskultur entscheidet

Erfolgsentscheidend für den digitalen Wandel sind für den IT-Chef am Ende weniger technische oder organisatorische Faktoren, sondern die passende Unternehmenskultur. Schon vor gut acht Jahren habe Continental eine Kulturinitiative angestoßen, die auf Kernwerten wie Vertrauen und Verbundenheit basiere. Als Enabler der digitalen Transformation betrachte man das Thema Menschen und Kultur heute in vier Handlungsfeldern: Diversity (Geschlecht, Alter, Kultur), Flexibility (zum Beispiel bezüglich des Arbeitsorts), lebenslanges Lernen sowie Leadership.

Zur Kultur gehört auch das Thema Innovation-Management, das auf verschiedenen Konzernebenen verankert ist. So gibt es etwa ein internes Ideen-Management für neue Mobilitätsdienste im Geschäftsbereich "Intelligent Transportation Systems". Im Oktober 2017 stellten die Niedersachsen das Startup-Programm "co-pace" vor. Sie wollen damit eigenen Mitarbeitern, aber auch Externen die Chance eröffnen, neue Geschäftskonzepte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Dazu stellt der Konzern neben Fachwissen und Beratung auch finanzielle Mittel bereit. Zum Programm gehört eine Art Inkubator, der als Brutkasten für neue Ideen von Mitarbeitern agieren soll.

Geht es um technische Innovationen, will Eigler auch die Potenziale der künstlichen Intelligenz (KI) nutzen. Continental baue dazu eigene Kompetenzen auf. Neben Nutzungsmöglichkeiten im Bereich autonomes Fahren oder Predictive Maintenance teste man insbesondere den KI-Einsatz in der vernetzten Fertigung, sprich Industrie 4.0. Continental unterhält dazu zwei Pilotfabriken.

Automatisierung in Verbindung mit KI-Techniken spiele auch in der IT selbst eine wichtige Rolle, so der CIO. So analysiere man beispielsweise Logfiles mit Hilfe intelligenter Systeme. Anhand der Ergebnisse ließen sich bestimmte Ereignisse vorhersagen, die in der Vergangenheit häufig zu Problemen und mehrstündigem Arbeitsaufwand führten. Eiglers Team experimentiert zudem mit Chatbots, die sich etwa im IT-Service-Desk oder in anderen Servicebereichen einsetzen lassen.