Knapp sieben von zehn deutschen Unternehmen (69 Prozent) hatten 2019 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Schwierigkeiten, offene Stellen in der IT zu besetzen. Der Automobilkonzern BMW sorgt vor: Schon 2018 etablierte das Unternehmen eine Initiative namens Back2Code. Deren Ziel ist es, interne Mitarbeiter zu Software-Entwicklern auszubilden. Dass BMW dieses Programm in die Group-IT-Strategie einband, unterstreicht dessen hohe Priorität. Der Konzern ist überzeugt: "Die Kompetenz der Mitarbeiter entscheidet über Erfolg und Misserfolg des digitalen Wandels." Mit dem Programm bewarb sich BMW beim DIGITAL LEADER AWARD und erreichte einen Platz unter den Finalisten der Kategorie STRATEGY.
Das Unternehmen will diese Trainings nicht als alleiniges IT-Thema verstanden wissen. Vielmehr steckt ein langfristiger Change-Prozess dahinter, der auch Business und Personal-Management einbezieht. Manager und Mitarbeiter auf allen Hierarchie-Stufen müssen mitziehen. Die Gesamtverantwortung für diese strategische Initiative übernimmt Michael Muchitsch (BMW Group, IT Governance Fahrzeugentwicklungsprozess und Unternehmensqualität), selbst Diplom-Informatiker.
Im Jahr 2019 gab die Initiative Gas: binnen dreieinhalb Monaten entwarf und pilotierte BMW sein internes Befähigungsprogramm. Dessen Teilnehmer drücken zwölf Wochen lang die Schulbank, in Vollzeit. Sie lernen, produktive Software-Lösungen zu entwickeln. Mittlere Manager und agile Rollen wie etwa Agile Master und Product Owner durchlaufen ein eigenes dreiwöchiges Training namens "Campus Compact". BMW will dadurch die Entscheidungskompetenz fördern und Multiplikatoren für den Change gewinnen.
Der Automobilhersteller operiert dabei mit einem Technologie Stack, der Komponenten aus Software-Entwicklung (DIE, Software Repositories, GIT, CI/CD), zur Qualitätssicherung (Unit Testing, Integration Testing, Load Testing) sowie Umsetzung und den Betrieb der Software-Lösungen umfasst. Dieser Stack und die definierten Kompetenzprofile der Mitarbeiter geben die Inhalte und den Lehrplan der Qualifizierungsmaßnahmen vor.
Dabei darf das "Back" ("Zurück") nicht täuschen: Back2Code eignet sich nicht nur für Kollegen, die früher schon einmal Software entwickelt haben, sondern auch für komplette Neueinsteiger. BMW bespricht mit jedem Teilnehmer einzeln, wie seine Entwicklung aussehen kann und welche Kompetenzen er aufbaut.
BMW bezeichnet die Initative als "ambitioniert"
Das Unternehmen bezeichnet die Ziele selbst als "ambitioniert". Sowohl der Zeitaufwand als auch der Umfang des Trainings seien "herausfordernd". Um die Lernenden bei der Stange zu halten und Interessenten zu motivieren, kommuniziert der Konzern Success Stories beispielsweise auf YouTube, Facebook und LinkedIn. Wer das Programm durchlaufen hat, bekommt ein Zertifikat und wird auf einer Graduation-Veranstaltung gebührend gefeiert.
"Als Informatiker freut es mich, dass wir wieder mehr Software entwickeln, zum Beispiel Lösungen für Virtual Reality in der Fahrzeugentwicklung oder autonome Transportsysteme in den Werken", sagt Muchitsch in einem kurzen Image-Film. BMW nutzt Back2Code gezielt, um sich nach außen als "Digital Company" zu positionieren.
Und nicht zuletzt dienen solche Kommunikationsmaßnahmen auch als Argumentation für die Investitionen in dieses Projekt. Ende 2020 werden 160 Teilnehmer die Programme durchlaufen haben. Die ersten Rückmeldungen sind vielversprechend: Rund 90 Prozent der bisherigen Absolventen setzen die erlernten Fähigkeiten um und arbeiten als Software Engineer.
Im Rückblick bewerten sie den Campus als sehr nützlich für ihre Entwicklung. Dabei halten 75 Prozent die Dauer der Qualifikationsmaßnahme für angemessen, die verbleibenden 25 Prozent hätten gern noch länger Unterricht genommen. BMW hat bereits angefangen, Back2Code auf Unternehmensbereiche außerhalb der IT auszuweiten.
Der Automobilkonzern hat mit Back2Code noch einiges vor: die Campus-Programme sollen für die internationalen Standorte dezentralisiert und unter anderem im Hinblick auf die Group-Cloud-Strategie weiterentwickelt werden. Außerdem sollen sie mit dem BMW-Group-Ausbildungsprogramm vernetzt werden.
Mit Externen "auf Augenhöhe"
Der Mehrwehrt zeigt sich für das Unternehmen bereits jetzt. Die internen Teams ermöglichen das selbstständige Bereitstellen oder Erweitern von Software. So haben die Absolventen einen Service in der Vertriebsabteilung schon im Januar produktiv eingesetzt. Vorteile sieht BMW vor allem beim Prototyping: gemeinsam mit den Fachbereichen werden Lösungen schneller erprobt, ein Use Case dafür ist das Validieren von Stücklisten. Dort brauchte das Unternehmen lediglich wenige Wochen.
Die Weiterqualifizierung wirkt auch nach außen. In der Zusammenarbeit mit externen Entwicklungspartner und Lieferanten diskutiere man aktuelle technische Lösungsansätze jetzt "auf Augenhöhe", so der Konzern. Das schlage sich nicht nur in besseren Ergebnissen nieder, sondern auch ein mehr Transparenz bei der Abschätzung von Aufwänden. "Die Digitalisierung hat die IT in den letzten Jahren deutlich verändert", erklärt das Team hinter Back2Code. Mit den Qualifizierungsmaßnahmen will BMW die Ampeln auf "Grün" schalten für mehr Tempo und Veränderungsfähigkeit.
BMW | Lowcode
Use Case: Qualifizierung interner Mitarbeiter, darunter auch Quereinsteiger
Einordnung: strategisch bedeutsames Change-Projekt
Maßnahmen: Back2Code Campus für angehende Entwickler (zwölf Wochen), Back2Code Campus Compact für das mittlere Management (drei Wochen)
Teilnehmer: voraussichtlich 160 bis Ende 2020