Big Data in der Personalarbeit

Mit Analytics gegen Entlassungen

08.09.2016
Von 
Rob Enderle ist Geschäftsführer der Enderle Group und arbeitet dort als Principal Analyst. Zuvor war er als Senior Research Fellow bei Forrester Research und der Giga Information Group tätig. Bei IBM hatte er zudem lange Jahre verschiedene Positionen inne - unter anderem im Auditing, in der Wettbewerbsanalyse, im Marketing, der Buchhaltung und im Security-Bereich.
Wer Analytics weise einsetzt, kann sich Kündigungen künftig sparen. Ein Kommentar von Ex-Forrester-Analyst und Ex-IBM'er Rob Enderle.

Zu sagen, dass ich kein Freund von Massenentlassungen bin, wäre untertrieben. Meistens werden sie furchtbar umgesetzt und richten erheblichen Schaden an - sowohl für das Image des Unternehmens als auch des Vorstands. Nicht zuletzt setzen sie eine Abwärtsspirale in Gang, aus der sich das Unternehmen nie mehr befreien wird. Und warum? Weil die Folgen einer Kündigung nie mit in die Kündigungsentscheidung einfließen. Das einzige, was zählt, sind Kostenersparnisse - die hier errechneten Werte verblassen regelrecht gegenüber dem Kollateralschaden, der aber weder gemessen noch berücksichtigt wird.

Wer Data Analytics richtig einsetzt, kann das ändern - weil er in der Lage ist, alle Konsequenzen eines Entlassungsvorgangs zu messen. Dadurch besteht eine gute Chance, dass Massenkündigungen - zumindest in der Form, wie sie heutzutage von statten gehen - obsolet werden.

Weniger Entlassungen dank Big Data Analytics? Eine durchaus machbare Idee.
Weniger Entlassungen dank Big Data Analytics? Eine durchaus machbare Idee.
Foto: Sergey Nivens - shutterstock.com

Das Problem mit den Entlassungen

Das große Problem mit Entlassungen ist, dass sie sich ausschließlich auf die Symptome beziehen, nie auf das eigentliche Problem. Der Trigger für eine Kündigung ist beispielsweise ein schlechtes Geschäftsergebnis, das wiederum in externen Ereignissen oder schlechten internen Entscheidungen begründet liegt - für beides können die Mitarbeiter in der Regel nichts. Wenn ein Unternehmen schlechte Entscheidungen trifft oder von den negativen Marktentwicklungen überrascht wird, wäre es der beste Weg, herauszufinden, warum das Unternehmen überhaupt in die Krise geraten ist und den Auslöser zu bekämpfen. Im nächsten Schritt sollten kleinere Veränderungen in der Belegschaft vorgenommen werden, damit die Ursachen künftig frühzeitig erkannt und mit detallierten Korrekturplänen auch die Symptome rechtzeitig verhindert werden können.

Entlassungen sind per Definition invasive Praktiken, die die Symptome eines größeren Problems durch eine große Veränderung zu lösen versuchen. Vergleichbar mit einem Arzt, der direkt mit einer Axt zur Amputation schreitet, ohne mögliche Alternativen zu evaluieren. Das dadurch entstehende Trauma schadet dem Patienten möglicherweise mehr als seine Krankheit.

Nehmen wir zum Beispiel Carly Fiorinas Karriere bei HP - sie hat viel entlassen und HP hat sich nie wirklich davon erholt. Fiorina verlor erst ihren Job, anschließend war ihr Engagement, US-Präsidentin oder ein anderes hohes politisches Tier zu werden, ziemlich erfolglos. Merke: Mit einer Axt lässt sich nichts reparieren.

Der Kollateralschaden

Der Flurschaden, den eine Entlassungswelle anrichtet, kann sehr massiv sein. Eine der am besten verwalteten Kündigungsaktionen, die ich je mitbekommen habe, fand bei IBM in den frühen 1990er-Jahren statt. Die gekündigten Mitarbeiter bekamen weiter ihr Gehalt und neue Büros sowie Mittel zur Verfügung gestellt, um sich neue Stellen zu suchen. Bei IBM hatte das Ganze aber keine so positiven Folgen: Komplette Produktlinien steuerten gegen die Wand, weil Know-How fehlte - zudem landeten viele der Gekündigten bei Wettbewerbern, die die IBM links und rechts überholten und ihr ganze Marktsegmente abnahmen. Doch diese Folgen blieben einfach undokumentiert.

Ein Kollateralschaden, der sich aus einer Massenentlassung ergibt, umfasst immer auch die Wanderung von Schlüssel-Kenntnissen zur Konkurrenz, Ärger und Unloyaliät unter den Menschen, die gehen müssen und denen, die bleiben. Dazu kommt ein gewisser Grad von Verbitterung, die das Image des Unternehmens beschädigen kann und die Geschäfte langfristig stört. Entlassene Mitarbeiter haben auch Familie und Freunde, die die Produkte ihrer Firma nutzen - künftig aber meiden werden, dem Unternehmen dazu per Social Media schlechte Noten geben und die Manager auch Jahre später noch negativ in Erinnerung haben, selbst wenn diese mittlerweile die Firma gewechselt haben.

Nebenbei bemerkt: Die meisten CEOs, die betriebsbedingte Kündigungen im großen Stil als Geschäftsmodell betrachten, sind nie selbst einmal vor die Tür gesetzt worden. Ihnen fehlt das Verständnis für die Probleme, die mit einem solchen Vorgang einhergehen - sie sehen nur den kurzfristigen finanziellen Vorteil.

Eine einzige Entlassung mag vielleicht Vorteile bringen - aber in der Folge wollen auch viele andere Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Diejenigen, denen es trotz der Entwicklung weiterhin gut gefällt, werden bei der nächsten Entlassung dann garantiert die ersten sein. Das erinnert mich ein wenig an einen CEO, der einmal meinte, dass seine Ergebnisse erheblich besser wären, wenn er "die verdammten Verkäufer" endlich loswerden könnte. Kurze Zeit später flog er selbst. Es erstaunt mich immer wieder, dass die Manager, die gerne rausschmeißen, den ganzen Vorgang niemals ganz verstehen.

Analytics - die Rettung

Richtig eingesetzt, decken Data Analytics alle Elemente eines laufenden Entscheidungsprozesse ab und rechnen sie mathematisch korrekt zusammen. Im Fall von Kündigungen würden also nicht nur der direkte finanzielle Nutzen einberechnet, sondern auch der massive Kollateralschaden, der entstehen würde. Zusätzlich wird ein hohes Maß an einstellbare Granularität geboten, sodass als Gegenwert von Mitarbeitern, die gekündigt werden sollen, nicht ausschließlich deren Gehälter angenommen werden - sondern auch ihr Wissensbeitrag und mögliche Imageschäden mit einbezogen werden können.

So können Sie beispielsweise für einen älteren Mitarbeiter, der kaum noch im Tagesgeschäft eingebunden ist, der aber jeden einzelnen Kunden genau kennt, schnell herausfinden, dass seine Entlassung am Ende teurer werde würde, als ihn weiterzubeschäftigen - weil er sein Wissen sonst möglicherweise an einen Wettbewerber weitergibt. Es wäre sinnvoller, ihm eine Position zu geben, auf der er sich um Ihre schwächelnde Kundenzufriedenheit kümmert.

Datenanalyse hilft Ihnen auch dabei, ein weitaus besseres Bild vom Markt und von ihrem Unternehmen zu bekommen, damit "finanzielle Überraschungen", die typischerweise zu Entlassungen führen, seltener werden und vorausschauende Planungen erleichtern. Das Unternehmen ist besser gegen Marktveränderungen geschützt, der Vorstand effizienter in seiner Entscheidungsfindung.

Das Ende der Entlassungen

Betriebsbedingte Kündigungen hätten schon vor Jahrzehnten abgeschafft gehört. Es gibt sie aber immer noch - weil niemand ihre Folgen wirklich festhält. Das hat in der Historie der Arbeitswelt noch nie jemand ernsthaft getan - also werden solch schlechte Entscheidungen immer und immer wieder gleich getroffen. Analytics sollten Unternehmen helfen, die Ursachen für Entlassungen zu vermeiden und ihnen klarmachen, dass Kündigungen am Ende häufig genau der falsche Weg sind.

Eine falsche Entscheidung lässt sich oft darauf zurückführen, dass im Laufe des Entscheidungsprozesses nicht genug Informationen verfügbar waren oder dass ausschließlich die positiven Folgen einbezogen und die negativen komplett ausgeblendet wurden. Ich glaube auch, dass viele Manager glauben, jeder ihrer Mitarbeiter wäre eins zu eins austauschbar. Die einzigartigen Persönlichkeiten, Beziehungen und Fähigkeiten, die jeder Mitarbeiter einbringt, sollten aber klar machen, dass Personalentscheidungen mit Augenmaß und in chirurgischen Maßen vorgenommen werden müssen - nicht mit der Axt.

Können wir Massenentlassungen mit Data Analytics überflüssig machen? Ich hoffe es. (sh)

Dieser Beitrag erschien im englischen Original bei unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.