Das Abkupfern von Geschäfts- oder Organisationsstrukturen ist sinnvoll – wenn Problemstellung und Kontext in Geschäftsbereichen ausreichend vergleichbar sind. Leider trifft das bei den meisten Fragestellungen in komplexen Organisationen nur selten zu.
Unternehmen kupfern voneinander ab, denn Organisation B möchte zu gerne die Erfolge von Organisation A haben, indem sie das umsetzt, was in Organisation A funktioniert hat. Im besten Fall hat Organisation B dann die schlechte Kopie einer guten Lösung.
Dekonstruktion von Zielkompetenzen
Statt Erfolgsmodelle wie OKR, Scrum, Design Thinking, Holacracy, Loop Approach, Theory U, das Spotify-Modell, Domain Driven Design et cetera blind umzusetzen, sollten Unternehmen ihre eigenen Zielbilder mit Hilfe von Fragen aus dem Requirements Engineering umsetzen:
Welche Kompetenz gibt eine gelungene Implementierung von OKR der Organisation?
Welche 'User Stories' sind möglich, wenn sich der Erfolg von Scrum einstellt?
Mit welchen Challenges kann unsere IT dann umgehen?
Welche grundlegenden Dinge, Haltungen, Skills müssen wir haben, damit diese Modelle erfolgreich sein können?
Schließlich kann nicht jede Organisation aus dem Stand das Spotify-Modell oder Selbstorganisation leben.
Dimensionen der Veränderungsstabilen Organisation
Das Ergebnis ist ein generisches Kompetenzmodell der so genannten "veränderungsstabilen Organisation". Dieses bündelt alle Fähigkeiten, die eine Organisation hat, wenn sie die etwa 20 derzeit als Best Practice geltenden Modelle erfolgreich umsetzen würde. Indem die Fähigkeiten ohne direkten Modellbezug dargestellt werden, kann damit jede Organisation ihren eigenen Weg finden, indem sie Modelle fundiert anpasst.
Das Modell funktioniert analog zu einer umfassenden Laufanalyse, um die eigene Marathonzeit zu verbessern:
"Ich kaufe mir Schuhe des Modells X, weil der Kollege die auch hat. Und der läuft unter 4 Stunden",
wäre die Analogie zur Kopierhaltung vieler Projekte."Ein guter Läufer muss gut über den Fuß abrollen. Wie oft hatten Sie in der letzten Zeit nach langen Läufen Schmerzen am Fußballen?", wäre das Equivalent einer Diagnostikfrage der veränderungsstabilen Organisation.
Dabei haben sich die folgenden sechs Handlungsfelder und Kompetenzgruppen herausgebildet:
Konflikte und Widersprüche aushalten und aushandeln: Die erste Kompetenzgruppe der Veränderungsstabilität dreht sich um Konflikte und Vieldeutigkeit. Traditionelle Systeme mit statischen Macht- und Kommunikationsregeln, tradierter Expertenkultur und Rollenmustern schlagen sich nicht sehr gut in einer wilden und exponentiell komplexer werdenden Welt.
Die veränderungsstabile Organisation ist in der Lage, Konflikte als Ausdruck von sich ergänzenden Perspektiven wahrzunehmen, zu adressieren und zu lösen, ohne dass es persönlich wird oder gelitten wird. Vieldeutigkeit und Widersprüche, zum Beispiel in der Analyse eines Lieferengpasses und der passenden Lösung, können die Menschen, Teams und das Gesamtsystem effizient auflösen und integrieren. Genauso werden festgefahrene Polaritäten und Traditionskonflikte, wie zum Beispiel die bekannte Front zwischen einer sicherheitsbewussten IT und bedürfnissorientierten Produktentwicklern, dauerhaft und konstruktiv aufgelöst.
Lesetipp: Interdisziplinäre Teams - Konflikte in Innovationskraft wandelnVerantwortung verteilen: Modelle wie OKR und Selbstorganisationsformen verbessern die Fähigkeit einer Organisation, Verantwortung dort zu platzieren, wo sie hingehört. Dadurch ist eine Skalierung leichter möglich und das Gesamtsystem wird produktiver.
Allerdings sehen wir hier ein Paradebeispiel dafür, dass das Kopieren einer Lösung nicht reicht, um das Ziel zu erreichen. Sicherlich sind Organisationen, die erfolgreich Holacracy oder den Loop Approach nutzen, in dieser Dimension besonders veränderungsstabil. Sie nutzen viel mehr Skills als bloß die Anwendung der Methode. Im Kern dieser Dimension steht die Haltung der Organisation zu Macht, Verantwortung, Schuld und Entscheidungen.Lernen können: Eine veränderungsstabile Organisation muss in der Lage sein, auf allen Ebenen sehr gut und schnell zu lernen. Dabei helfen Formate wie Retrospektiven. Allerdings funktionieren Retrospektiven auch nur dann, wenn sie korrekt geplant und durchgeführt werden, wenn sie wirklich einen Safe Space darstellen und wenn sie angemessen moderiert und nachbereitet werden. So können interne Formate in Anlehnung an die Fuckup-Nights beispielsweise auf die Lernkultur einzahlen und den gesunden Umgang mit Fehlern fördern. Aber nicht, wenn sie einfach nur kopiert werden.
Lesetipp: Was ist eine Retrospektive?Resilient mit Krisen und Alltag umgehen: Veränderungsstabile Organisationen können auf allen Ebenen bewusst, souverän, konstruktiv und gesund mit Krisen umgehen. Organisationen, die dazu nicht in der Lage sind, verpassen es, rechtzeitig in einen Krisenmodus zu schalten oder befinden sich in einem Dauerkrisenmodus. Organisationen, die eigene, angepasste Programme für Achtsamkeit, Co-Management oder Mental Health haben, punkten in dieser Dimension sehr gut.
Transformation und Innovation ermöglichen: Einen Wandel muss man erleben und dafür braucht es Mut und die Spielfläche, Fehler machen zu dürfen. Damit sind wir direkt bei der Schaffung von Freiraum, um Dinge ausprobieren zu können - sei es technisch oder prozessual. Fehler können - nein, müssen sogar - passieren. Wichtig ist es, nicht nach dem Warum zu fragen, sondern was aus dem Fehler zu lernen ist.
Innovationsprogramme Programme können erfolgreich auf diese Kompetenzgruppe einzahlen.Radikal kundenorientiert agieren: Zwingen Sie sich, immer wieder, die Kundenperspektive einzunehmen. Was hilft dem Kunden wirklich? Wo tut es ihm weh? Was ist seine Erwartung und seine Motivation? Diskutieren Sie diese Fragenstellungen realistisch und lassen Sie sich nicht von einer Ausnahme in einen unrealistischen Regelbetrieb verleiten.
Wenn Unternehmen Design Thinking, Net Promoter Scoring oder Voice of the Customer-Projekte durchführen, kann dies auf die Kompetenz der Kundenorientierung einzahlen. Aber auch hier braucht die Kompetenz mehr, als die eingekauften Templates und Kennzahlen.
- Zu viel wollen
Gut gemeint, schlecht gemacht: Wer zu schnell zu viel verändern will, erregt Widerstand. Nicht aus Bösartigkeit, sondern oft aus Gewohnheit. Umso wichtiger, dass Manager die Angestellten nicht überfordern - und immer wieder mantraartig klarmachen, warum die Veränderung alternativlos ist. - Nichts entscheiden
Zu viel Basisdemokratie führt zu Aufschieberitis, Planlosigkeit und Verwirrung. Ob eine geplante Veränderung überhaupt sinnvoll ist, sollte zwar unbedingt geklärt werden - bevor konkrete Schritte überlegt werden. Doch diese Entscheidung sollte keinesfalls im Kreis der Mitarbeiter erörtert werden. Wer den Sumpf trockenlegen will, fragt besser nicht die Frösche. - Alles diktieren
Wer seine Angestellten nicht vergraulen will, darf keinesfalls autokratische Befehle erteilen oder den Eindruck erwecken, dass die oberste Führungsetage alle Veränderungen von oben herab diktiert. Führungskräfte sollen zwar das Ziel vorgeben. Doch am Weg dorthin muss die Belegschaft mitwirken.
Veränderungsstabilität als objektiv messbares Reifegradmodell
Die genannten Kompetenzgruppen und ihre Einzelkompetenzen entstehen und zeigen sich auf vier Ebenen:
Persönliche Ebene - Fähigkeiten einzelner Personen
Team-Ebene - Fähigkeiten spezifischer Teams
Führungsebene - Fähigkeiten der Führungskräfte und Führungskultur
Organisationsebene - Fähigkeiten der Organisation in Form von Strukturen und Prozessen
Alle Kompetenzen der Veränderungsstabilität lassen sich auf fast allen Ebenen positiv beeinflussen. Deshalb ist es Kernaufgabe der Organisationsentwickler, die effizientesten / effektivsten Ort für die Kompetenzentwicklung zu finden. Manchmal ist dies die persönliche Ebene, manchmal die Arbeit mit Teams und meistens ist es eine Kombination aus mehreren Ebenen, wie zum Beispiel einem organisationsweiten Lernraum für Innovation gepaart mit punktuellen Trainings von Führungskräften.
Das Modell der Veränderungsstabilität kann analog zu einem Reifegradmodell aus der IT genutzt werden. Die Menge an notwendigen Kompetenzen stellt den höchsten Reifegrad dar. Dazu werden Mitarbeiter über die vier Ebenen befragt, wie fähig sie sich und die Organisation wahrnehmen.
"Ich konnte in den letzten drei Monaten alle signifikanten Konflikte meiner Hauptrolle in angemessener Zeit auflösen" oder "Ich habe in den letzten drei Monaten Entscheidungen umgesetzt, von denen ich wusste, dass sie meinen Kunden und Kundinnen schaden" lässt sich automatisiert in einen Reifegrad der Gesamtorganisation aggregieren. Die entstehenden Heatmaps zeigen auf, wo der größte Handlungsdruck mit Blick auf Vuka, Bani und Transformation ist.
Kein blindes Kopieren von Modellen und Programmen mehr, die woanders funktionieren. Alle laufenden und anstehenden Projekte der Digitalen Transformation sollten darauf überprüft werden:
Welche Kompetenz soll uns dieses Thema geben?
Was können wir, das wir heute noch nicht können, wenn das Projekt erfolgreich ist?
Auf dieser Basis können dann Hypothesen entwickelt werden, ob die gewählte Technologie der effizienteste Weg ist. Ausserdem kann die Zielerreichung über eine intelligente Diagnostik gemessen werden. Führen Sie eine Baseline-Messung durch, beginnen Sie dann mit der Anpassung einer Methode und der Implementierung der Methode und aller notwendigen Begleitaktivitäten.
Sie führen gerade Framework xy ein? Welche Kompetenz soll das Ihrer Organisation geben? Wie können Sie diese Kompetenz messen? Wo stehen Sie heute? Was fehlt, um das Framework wirklich effektiv zu machen? Das wichtigste: Einfach loslegen. Nicht die ganze Digitale Transformation in Frage stellen oder auf links drehen, sondern in einer Dimension und mit einer Kompetenz starten. (bw)