Der deutsche Mittelstand wird mit Blick auf neue Geschäftsmodelle und Cloud-Dienste oft als Bremser dargestellt. Doch zeigt die Realität, dass die Bedenken der Firmeninhaber und Geschäftsführer durchaus begründet sind. Nicht erst, seit Corona die Cloud-Euphorie auf neue Höhen getrieben hat, häufen sich kritische Berichte über gestiegene Abhängigkeiten von Providern, über Kostenfallen und Sicherheitsrisiken.
Ein Beispiel: Das Speichern, insbesondere großer Datenmengen, ist im eigenen oder einem Colocation-Rechenzentrum verglichen mit Cloud-Diensten oft günstiger. Oder: Die Frustration der Anwender ist vorprogrammiert, wenn die verfügbaren Internetbandbreiten zu gering sind, um mit dem Umzug großer Anwendungen in die Cloud mithalten zu können.
Cloud-Migration: Muss alles mit?
Eine durchdachte, strikt an der Wertschöpfungskette ausgerichtete Cloud-Migrationsstrategie ist deshalb gerade für mittelständische Unternehmen unerlässlich. Erstens weisen sie in der Regel eine über viele Jahre gewachsene IT-Infrastruktur auf. Zweitens verfügen sie im Vergleich zu Großunternehmen über begrenzte Ressourcen für das IT-Management. Zunächst ist deshalb ein umfassender Realitäts-Check angesagt, in der Regel in Form eines Cloud Readiness Assessment. Diese Bestandsaufnahme untersucht die Struktur des Unternehmens, die Geschäftsprozesse, die eingesetzte Software und die IT-Infrastruktur bis hin zu regulatorischen Fragen. Diese sind besonders wichtig, wenn es sich um ein Unternehmen im Sinne der KRITIS-Verordnung handelt, es also zu den kritischen Infrastrukturen zählt.
Kandidaten für den Cloud-Umzug zu benennen, steht bei weitem nicht am Anfang dieses Prozesses. Vielmehr muss ein Unternehmen erst einmal definieren, was es erreichen möchte – sei es auf Seiten seiner Geschäftsmodelle oder mit Blick auf IT-Infrastruktur und -Betrieb. An den Assessment Workshops beteiligen sich neben der Geschäftsführung und den IT-Verantwortlichen auch Fachbereiche wie Einkauf, Controlling oder Vertrieb. Auf Basis der Workshop-Ergebnisse lassen sich dann Handlungsempfehlungen ableiten und priorisieren.
Mithilfe der Ergebnisse können die Unternehmen zudem die richtige Geschwindigkeit der Migration feinjustieren. Verläuft diese zu schnell, sind Mitarbeiter häufig überfordert und werden zu Bremsern. Ein möglicher Ausweg ist ein experimenteller und spielerischer Ansatz. Dabei testen die Fachbereiche unterschiedliche Cloud-Services erst einmal unverbindlich. Erzielen die neuen Lösungen die gewünschten Ergebnisse und erfolgt ihr Einsatz ohne größere Reibungsverluste, können sie im Rahmen der IT-Governance in den laufenden Betrieb übergehen.
- Carl Mühlner Damovo, Managing Director Central Europe bei DAMOVO
„Es ist nicht zielführend, in die Cloud zu migrieren, ohne die Arbeitsprozesse auch auf kultureller Ebene zu verändern. Die Frage nach der richtigen Strategie ist alles andere als trivial, auch weil es noch zu wenige Experten gibt, die Migration wirklich gut beherrschen. Doch gerade weil es an praktischer Erfahrung mangelt, können neue horizontale Geschäftsmodelle nur erschlossen werden, wenn es eine gewisse Bereitschaft für Experimente und die richtige Fehlerkultur gibt.” - Christian Hofstadt, Manager Strategy & Business Development bei plusserver
„Cloud ist immer weniger Technik und immer mehr Strategie. Doch stattdessen dominiert in vielen Unternehmen noch die Skepsis. Diese können sich Unternehmen aber langfristig nicht leisten. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss neue Geschäftsfelder und Erwerbsquellen erschließen. Die Cloud verändert schließlich nicht nur interne Prozesse, sondern das gesamte digitale Geschäft und somit das Verhältnis zwischen Unternehmen und Kunden bzw. Geschäftspartnern fundamental.” - Marco Meier, Vertriebsleiter BroadSoft.
„Der Vertrieb und damit auch der Dialog mit den Kunden hat sich geändert. Wenn früher Software verkauft wurde, ging es im Grunde nur um den Verkauf einer Technologie. Bei der Cloud verkaufe ich Managed Services. Das muss man anders kommunizieren und auch anders supporten. Entscheidend ist, was für Services überhaupt ausgelagert werden und wie ich in die Cloud gehe. IaaS? PaaS? SaaS? Das sind ganz verschiedene Ebenen, auf denen Transformationsprozesse anders zu verorten, aber auch anders zu messen sind.” - Matthias Frühauf, Director Technical Sales bei Veeam
„Cloud Migration bedeutet im Kern, dass man sich von alten On-Premise-Strukturen lösen und etwaige Geschäftsprozesse neu denken muss. Dabei geht es gar nicht darum, alle Anwendungen komplett zu migrieren, sondern je nach Anwendung gezielt zu entscheiden welche Teile migriert werden sollen und welche On-Premise bleiben. Ein „blindes” Lift & Shift führt oft dazu, dass nicht das umgesetzt wird, was technisch möglich ist. Die Potenziale hängen dabei eng vom Level der Standardisierung bei der Migration von Daten, Prozessen und Techniken ab.”
Cloud im Mittelstand: Hybrid statt Korsett
Digitale Geschäftsmodelle auf Cloud-Basis können schnell zu einem Korsett werden, wenn sich Unternehmen zu sehr von einem Anbieter abhängig machen. Andererseits scheuen gerade mittelständische Unternehmen oft den Multi-Cloud-Betrieb. Sie haben es gerne mit möglichst wenigen Dienstleistern und Partnern zu tun, um den Koordinierungs- und Managementaufwand klein zu halten.
Deshalb setzen sich häufig hybride Betriebsmodelle durch. Sie reduzieren die Abhängigkeit von einzelnen Cloud-Anbietern und halten die Kosten unter Kontrolle. Denn was vielen nicht bewusst ist: Gerade die Datenspeicherung kann in der Cloud schnell sehr teuer werden, wenn sich die Datenmengen summieren. Deshalb lohnt es sich, bis ins Detail durchzurechnen, ob eine traditionelle Datenhaltung in eigenen oder in Colocation-Rechenzentren am Ende nicht wirtschaftlicher ist. Zumal Vertragsfragen immer auch Machtfragen sind: Im Vergleich zu Großunternehmen und Konzernen verfügen mittelständische Unternehmen einfach nicht über die notwendige Größe, um eigene Standards gegenüber den Cloud-Providern durchzusetzen oder spezielle Konditionen auszuhandeln.
Zudem verschaffen hybride Cloud-Modelle Flexibilität in einem zum Teil unberechenbaren regulatorischen Umfeld. Beispiel Datenschutz: Zahlreiche Verträge mit US-amerikanischen Cloud-Dienstleistern fußen auf dem „Privacy Shield“-Abkommen, das den Transfer persönlicher Daten europäischer Bürger in die USA regelte. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof den „Privacy Shield“ jüngst für unrechtmäßig erklärt. Hier hilft mittelständischen Unternehmen eine Cloud-Strategie, die auf Flexibilität ausgelegt ist: Sie soll also einerseits ihr geistiges Eigentum schützen und andererseits die notwendige unternehmerische Flexibilität sicherstellen.
Digitale Geschäftsmodelle auf Cloud-Basis setzen voraus, dass Kunden bereit sind, ein Mindestmaß der von den Providern gesetzten Standards zu akzeptieren. Das Gegenmodell - die Komplettüberführung einer gewachsenen IT-Infrastruktur in die Public Cloud, ist deshalb unrealistisch und auch wirtschaftlich nicht darstellbar. Doch basieren der Geschäftserfolg und die Wettbewerbsfähigkeit vieler mittelständischer Unternehmen genau auf diesen spezifischen Legacy-Anwendungen. Auch hier bietet sich eine hybride Arbeitsteilung als Mittelweg an: Wenn ein Unternehmen langfristig auf Kernanwendungen im Eigenbetrieb setzt, schließt dies ja nicht aus, dass weniger kritische (Standard-)Anwendungen und Teile der IT-Infrastruktur über Public Clouds betrieben werden.
- Peter Goldbrunner, Country Manager Deutschland und Österreich bei Nutanix
„Wenn die Anwendungs- und Systemmonolithe nicht aufgebrochen, der im Code enthaltene Wert nicht wiederverwendet und weiterentwickelt werden kann, wenn nicht die nachrückende junge Generation an IT-Experten damit effizient arbeiten kann, sobald sich ihre älteren Kollegen in den Ruhestand verabschiedet haben, dann bleibt das datengesteuerte Unternehmen oder Geschäftsmodell nur Phantasie.“ - Hannes Sbosny, Managing Director NTT DATA Services Germany
„Damit Modernisierungseffekte wirklich greifen, ist ein ganzheitlicher Ansatz nötig, der über den einfachen Aspekt einer Digitalisierung bestehender, analoger Geschäftsmodelle hinausgeht. IT-Leiter und Fachbereiche müssen gemeinsam ein umfassendes Bewertungs- und Prüfungsprogramm entwickeln und durchführen, mit dem eine Priorisierung von Initiativen für die dringendsten Herausforderungen möglich wird.“ - Kevin Giese, Manager Enterprise Solution DACH bei Microfocus
„Technisch ist die Herausforderung bei der Legay-Modernisierung mit einem starken Partner wie Micro Focus nicht allzu groß. Die größere Herausforderung steckt tatsächlich im organisatorischen Bereich. Hier müssen die Firmen umdenken und Jahrzehnte alte Gewohnheiten ablegen. Speziell die Digitalisierung drängt die Firmen dazu auch im Legacy-Bereich agiler und übergreifender zu agieren. Es darf keinen großen Unterschied mehr machen, ob es sich um eine Legacy- oder Neu-Applikation handelt.“ - Jörg Eggers, Solutions Architekt bei Rackspace
„Von der Legacy-Modernisierung werden bald alle ganz automatisch profitieren. Denn auch die Software-Hersteller stellen auf skalierbare Architekturen auf Basis von Microservices oder anderen Methoden um und sind deshalb wegweisend. Daher ergibt es künftig keinen Sinn mehr, nicht mit skalierbarer Infrastruktur zu arbeiten. Gleichzeitig hat die IT einen immer größeren Einfluss auf das eigentliche Unternehmensgeschäft.“ - Björn Langmack, Geschäftsführer, Deloitte innoWake GmbH
„Die großen Vorteile (der Modernisierung von Bestandssystemen) sehe ich in dem Schutz der geistigen und finanziellen Investitionen, welche über Jahr(zehnt)e in die Anwendungen getätigt wurden: mit geringstem Risiko werden diese zukunftsfähig gemacht und gleichzeitig die Betriebskosten gesenkt. Warum sollen Unternehmen viel Geld dafür ausgeben, mit großem Risiko etwas neu entwickeln, was erfolgreich und ohne Kinderkrankheiten funktioniert? Die Legacy-Modernisierung ermöglicht es, sich auf die Weiterentwicklung des Unternehmens zu konzentrieren anstatt bestehende Anwendungen neu zu erfinden." - Donald Fitzgerald, Managing Director Easirun Europa
„Mit der Legacy-Modernisierung sichern Firmen die Zukunftsfähigkeit, die Integration und die Wiederverwendbarkeit der mit großer Sorgfalt über Jahrzehnte geschriebenen Anwendungen, um IT-Landschaften modern, unabhängig und kostengünstig zu gestalten. So bleiben Unternehmen im Hinblick auf die Ziele der Modernisierung stets technologieunabhängig, binden sich zu keinem Zeitpunkt an proprietäre Lösungen und können dank Industriestandards und umfassender Schnittstellen die Vorteile neuer Technologien vollumfänglich nutzen.“ - Heidi Schmidt, Geschäftsführende Gesellschafterin, PKS Software GmbH
„Die Firmen müssen eine realistische und pragmatische ‚Mischung‘ zwischen technischer und fachlicher Erneuerung finden. Einerseits möchte das Business in einer Modernisierung natürlich rasch fachliche Mehrwerte realisiert sehen. Andererseits sind bei der Modernisierung von monolithischen Anwendungen aber auch ‚Hausaufgaben‘ im Bereich der Software-Architektur zu leisten, die im ersten Schritt aber keinen unmittelbaren Mehrwert für den Anwender bringen. Hier ist es wichtig, dass Management, Fachbereichsleiter und Entwickler sich auf eine gemeinsame Strategie und Priorisierung vereinbaren.“
Mittelstand goes Cloud: Managed Services im Aufwind
Natürlich ist auch eine hybride Cloud-Strategie mit Herausforderungen und Stolpersteinen verbunden: So steht das jeweilige Unternehmen bei seiner Legacy-IT und deren Betrieb in einer Private Cloud weiterhin in der Verantwortung, diese deutlich flexibler und effizienter zu gestalten. Denn die Anforderungen des Business steigen weiter. Andererseits müssen Private und Public Cloud reibungslos zusammenspielen und benötigen ein gemeinsames Dach – für übergreifende Aufgaben wie Identity & Access Management, Compliance, die Governance der unterschiedlichen Provider oder die Kostenkontrolle.
Ein solcher Umbau (und der damit verbundene Mehraufwand) benötigt Ressourcen und IT-Know-how. Beides fehlt den meisten mittelständischen Unternehmen jedoch – zumal die erforderlichen IT-Spezialisten am Markt kaum verfügbar und sehr teuer sind. Deshalb begünstigen der digitale Wandel und die Cloud-Transformation auch im Mittelstand externe Spezialisten, die diesen Mangel beheben sowie aufgrund ihrer Aufstellung Skalenerträge generieren können.
Dabei hilft, dass der Rückgriff auf Managed Services für die meisten mittelständischen Unternehmen kein neues Thema ist. Die Anforderungen an Managed-Service-Anbieter sind allerdings bei der Cloud-Migration deutlich höher als bei bisherigen Aufgaben. Sie müssen in der Lage sein, zwei Welten miteinander zu verbinden: einerseits die bestehende IT-Infrastruktur einschließlich des Betriebs von Legacy-Anwendungen in der Private Cloud und andererseits das Management der Public-Cloud-Dienste. Am Ende steht also eine Dreiecksbeziehung: Anwenderunternehmen, Cloud Provider und Managed-Services-Anbieter, welche die alte und neue IT-Welt integrieren. (mb)