Digitalisierung in der IT

Mensch und Maschine müssen besser interagieren

26.09.2019
Von   IDG ExpertenNetzwerk


Rahild Neuburger ist Dozentin an der Forschungsstelle für Information, Organisation und Management an der LMU München (Fakultät für Betriebswirtschaft) und Geschäftsführerin vom MÜNCHNER KREIS.
Technologien aus dem Umfeld von Künstlicher Intelligenz (KI), insbesondere Machine Learning (ML), Data Analytics und Spracherkennung verändern die Arbeitswelt derzeit tiefgreifend und nachhaltig. Das eröffnet auch und gerade in der IT neue Chancen, erfordert aber gleichzeitig eine Reorganisation der Prozesse.

Zwar ist es im Data Center schon lange selbstverständlich, dass Bandroboter die Backup-Verwaltung unterstützen. Auch hat die Virtualisierung der IT-Infrastruktur den Turnschuhverschleiß der Systemadministratoren deutlich verringert. Unternehmen in der IT verschwenden dennoch hoch qualifizierte personelle Ressourcen auf routinemäßiges Abarbeiten häufig wiederkehrender gleichförmiger Tätigkeiten. Typische Beispiele sind die Konfiguration von Arbeitsplätzen, das Einspielen von Updates oder die Vergabe von Zugriffsberechtigungen. Mit fortschreitender Digitalisierung werden diese Aufgaben zunehmend Maschinen übertragen. Eine zentrale Rolle spielt dabei neben den bereits genannten KI-Technologien Robotic Process Automation (RPA).

Neue Mensch-Maschine-Interaktion

KI und RPA haben das Potenzial, die Mensch-Maschine-Interaktion neu zu definieren. Denkbar sind verschiedene Szenarien: Mal gestaltet und programmiert der Mensch Systeme, die sich anschließend selbst weiterentwickeln, mal überwacht er die Systeme, wird von ihnen überwacht oder arbeitet unterschiedlich eng mit ihnen zusammen.

Sichtbar sind derartige Implikationen heute schon in unterschiedlichen Arbeitsbereichen der IT: Im Digital Analytics in Kombination mit ML beispielsweise übernimmt in IT-Sicherheitssystemen schon länger die Aufgabe, das Auftreten von Viren weltweit zu untersuchen, um neu auftretende Schadprogramme schneller erkennen und bekämpfen zu können. Dabei ist die Software nicht nur schneller, sondern auch fehlerfreier als menschliche Experten. Das ist schon deshalb unverzichtbar, weil auf der anderen Seite auch die Hacker KI-Elemente nutzen, um ihre Angriffe zu "optimieren".

Revolutionär einfach

Immer häufiger nehmen die Sicherheits- und andere IT-Systeme auch den IT-Mitarbeitern in den Anwenderunternehmen Tätigkeiten ab, wie etwa die Vergabe neuer Passwörter oder das Anlegen von unternehmensweit gültigen Benutzer-IDs. Dabei liegt der revolutionäre Charakter der neuen Lösungen vor allem in ihrer Einfachheit. Wo bislang beispielsweise teure neue Speziallösungen erforderlich waren, um die Abläufe im Identity-Management zu automatisieren, können heute vergleichsweise einfache und günstige Software-Roboter die bestehenden Systeme genauso bedienen wie ein Mensch. Im Bereich Service-Desk-Automation können Chatbots häufig gestellte Userfragen beantworten und so den Support entlasten. Andere Software-Roboter übernehmen automatisierte Abläufe im Hintergrund, die auch in der Systemadministration und in der Entwicklung anfallen: Dazu gehören die Vergabe von Tickets, Klassifizieren von Störungen und Typisieren von Bugs, Priorisieren von Aufgaben oder auch das Beheben einfacher Fehler.

Große Chancen

Die Chancen durch diese Entwicklungen sind in der IT ähnlich wie in anderen Unternehmensbereichen:

  • Der Fachkräftemangel ist gerade in IT-Bereichen ein großes Problem - gelingt es, bestimmte Tätigkeiten durch automatisierte Systeme abwickeln zu lassen, können sich die (wenigen) Fachkräfte auf wichtigere Aufgaben konzentrieren.

  • Gleichförmige Tätigkeiten sind für gut ausgebildetes Personal intellektuell wenig anspruchsvoll und entsprechend geringgeschätzt. Gleichzeitig verlangen sie jedoch hohe Aufmerksamkeit - etwa beim Testen neu entwickelter Anwendungen. Hier arbeiten Maschinen schneller und sicherer als Menschen. So kann sich der menschliche Mitarbeiter auf anspruchsvolle, komplexe Aufgaben konzentrieren.

  • Manche Bereitstellungsprozesse sind nur automatisiert sinnvoll realisierbar, etwa bei der Vermarktung kurzlebiger Produkte im Finanz- und Versicherungsbereich. Die Effizienzvorteile für Unternehmen können erheblich sein.

  • Hinzu kommt, dass eine "digitale Arbeitskraft" automatisch jeden Arbeitsschritt dokumentiert. Damit ist die in vielen Bereichen obligatorische Compliance-Anforderung der Nachvollziehbarkeit ohne Zusatzaufwand erfüllt.

  • Durch die generell höhere Verfügbarkeit - 7 mal 24 Stunden pro Woche - und die teilweise höhere Arbeitsgeschwindigkeit ist die Leistung eines Software-Roboters vergleichbar mit bis zu vier Vollzeitkapazitäten.

Attraktivere Arbeitsplätze

Der besondere Charme der neuen Technologien aus Sicht der IT-Abteilung liegt darin, dass vor allem ihre eigenen Mitarbeiter profitieren. So zum Beispiel beim Testen von Software-Entwicklungen. Hier sind menschliche Tester in einem Dilemma: Finden sie Fehler, stehen sie schnell als Bremser da. Finden sie keine Fehler, wird ihre Arbeitsleistung nicht gesehen. In agilen Projekten übernehmen Entwickler häufig Testaufgaben, bei der sie die Arbeit anderer überprüfen müssen, anstatt selbst zu entwickeln. Anspruchsvollere Aufgaben machen die Arbeit spannender und attraktiver. Und genau das ist in Deutschland und Europa das wichtigste Argument im Wettbewerb um den Fachkräftenachwuchs.

Der besondere Charme der neuen Technologien aus Sicht der IT-Abteilung liegt darin, dass vor allem ihre eigenen Mitarbeiter profitieren.
Der besondere Charme der neuen Technologien aus Sicht der IT-Abteilung liegt darin, dass vor allem ihre eigenen Mitarbeiter profitieren.
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Governance gefragt

Die größte Herausforderung beim Auf- und Ausbau einer "digitalen Belegschaft" besteht nicht in der Technologie, sondern in der Governance. Große Banken, Telcos und Industrieunternehmen bearbeiten heute schon hunderte von Prozessen im Büro vollautomatisch. Dabei hat sich gezeigt, dass der Einsatz von KI und Robotik auch außerhalb der IT zwar ohne Beteiligung der IT-Abteilung möglich, aber in der Regel nicht erfolgreich ist. Denn wie jedes IT-System brauchen auch KI-Anwendungen und RPA klar definierte Abläufe. Dabei haben sich vor allem folgende Punkte als wichtige Elemente einer erfolgreichen Einführung von digitalen Systemen erwiesen:

  1. 1. Die Arbeitnehmervertretung schon bei der Planung einzubeziehen

  2. 2. Die Mitarbeiter müssen im Umgang mit den digitalen Systemen geschult werden - Kompetenzen für Mensch und Maschine (MMI) werden immer wichtiger.

  3. 3. Führungskräfte müssen lernen zu entscheiden, wie sie Aufgaben zwischen menschlichen Mitarbeitern und Robotern aufteilen. Hierfür müssen sie wissen, welche Aufgaben die Menschen und welche Tätigkeiten die Roboter jeweils am besten können und wie Koordination und Zusammenspiel funktionieren können.

  4. 4. Geregelt werden müssen auch "Rechte und Pflichten" von Robotern. So ist klar zu definieren, welche Anwendungen die "digitalen Kollegen" nutzen, auf welche Daten sie zugreifen und wohin sie Fehler melden.

IT in der Verantwortung

So selbstverständlich diese Vorgaben auf den ersten Blick erscheinen mögen - die Umsetzung in der Praxis erweist sich als schwierig. So stehen bei diesbezüglichen Diskussionen Ängste und Bedrohungen oft stärker im Vordergrund als reale Chancen, erforderliche Voraussetzungen und klare Regeln. Hier ist die IT-Abteilung gefragt, mit gutem Beispiel voranzugehen. Gesamtgesellschaftlich betrachtet kommt es jetzt darauf an, die neuen Möglichkeiten anzunehmen und schnellstmöglich umzusetzen. Dann können Automatisierung und KI beispielweise auch das Insourcing von Prozessen unterstützen.: Die IT sichert höhere Wertschöpfung sowie mehr Flexibilität und Innovationsgeschwindigkeit am Standort Deutschland. Voraussetzung sind entsprechende Kompetenzen - für die (Weiter-)Entwicklung der digitalen Systeme, ihren Einsatz im Unternehmen und ihre Anwendung.

Rahild Neuburger ist Wirtschaftswissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Geschäftsführerin der Vereinigung Münchner Kreis.
Rahild Neuburger ist Wirtschaftswissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Geschäftsführerin der Vereinigung Münchner Kreis.
Foto: Rahild Neuburger, Fotograf: Stefan Pielow, PIELOWPHOTO