Microsoft Office ist seit vielen Jahren als führende Produktivitätstool für die meisten Unternehmen gesetzt. Der einzige Wettbewerber, der dem Softwareimperium ein wenig näherrücken konnte, ist Google mit seiner Workspace-Suite. Umso überraschender ist es, dass sich immer noch Newcomer an dieses Marktsegment herantrauen, um mit alternativen Ansätzen zu punkten.
Zwei finanziell besonders gut ausgestattete Startups sind Notion und Coda. Beide bieten "All-in-One"-Workspace-Anwendungen einschließlich Dokumentenverarbeitung, Tabellenkalkulation, Datenbanken, Wikis und weiteren Apps. Sowohl Coda als auch Notion haben soeben neue Funktionen für ihre Plattformen angekündigt, mit denen sie die etablierten Produktivitäts-Suiten herausfordern wollen.
Coda und Notion mit wichtigen Updates
"Coda und Notion verfolgen innovative Ansätze für das kollaborative Erstellen von Dokumenten. Sie zielen darauf ab, die Grenzen herkömmlicher Tabellenkalkulationen und Textverarbeitungsprogramme zu überwinden, indem die Benutzererfahrungen durch intelligente Automatisierung verbessert und die Tools enger in bestehende Arbeitsabläufe integriert werden", beobachtet Raúl Castañón, Senior Analyst bei 451 Research, einer Abteilung von S&P Global Market Intelligence.
So entstehe ein neuer Typ "lebender Dokumente", der möglicherweise die Karten im Wettbewerb neu mischen könnte. Vor allem für jüngere Unternehmen sei das eine echte Alternative zu den Produktivitäts- und Kollaborationsanwendungen von Microsoft und Google.
Notion, das seine App 2016 auf den Markt brachte und inzwischen 25 Millionen Nutzer zählt, hat gerade erst auf seinem Event Block by Block 2022 eine Reihe neuer Funktionen präsentiert. Dazu gehört eine App-Sidebar, in der User bestimmte Inhalte zusammenführen und bündeln können. Diese Bereiche können dann Teams zugewiesen werden, etwa aus dem Marketing oder dem Vertrieb. Auch finden funktionsübergreifende Projekte, etwa wenn Mitarbeiter eine Produkteinführung vorbereiten, hier eine gemeinsame Plattform für die Zusammenarbeit.
Notion unterstützt die Teamarbeit
Solche Teams können als "öffentlich" oder "privat" eingestuft werden. So lässt sich sicherstellen, dass nur befugte Personen auf sensible Informationen zugreifen können. Für eine noch granularere Kontrolle lassen sich auch einzelne Seiten innerhalb einer Gruppe zuweisen oder sperren. Die Funktion wird ab diesem Frühjahr schrittweise eingeführt, teilte Notion in einem Blogpost mit.
In wenigen Wochen sollen zudem neue Möglichkeiten für die Visualisierung gemeinsam genutzter Daten bereit stehen, darunter sogenannte Schnellfilter für die Datenbankansicht. Sie können gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgerufen werden. Die Benutzer werden zudem in der Lage sein, zwischen benutzerdefinierten Tabs innerhalb einer Datenbank hin und herzuspringen und dabei Anpassungsmöglichkeiten in den Einstellungen zu nutzen. Ein Update für Notion-Datenbanken, das ebenfalls noch in diesem Jahr erscheinen soll, wird User strukturierte Daten aus der App mit externen Tools wie Google Calendar, Jira und GitHub synchronisieren lassen.
Das Unternehmen hat ferner die allgemeine Verfügbarkeit der Notion-API angekündigt, wobei es auch Funktionen rund um Kontrolle und Verwaltung für Admins geben soll. Außerdem wurde das "Notion Certified Program" ins Leben gerufen, in dessen Rahmen Power-User Zertifizierungen erhalten können, um sich so zu Notion-Admins oder -Beratern weiterzuentwickeln. Eine "Notion Champions Community" soll Fans Raum geben, sich zu vernetzen, Tipps auszutauschen und direkt mit Experten von Notion zusammenzuarbeiten.
Coda 3.0 mit verbessertem Editor
Die App von Coda erschien 2019 am Markt, also etwas später als Notion. Vor wenigen Tagen wurde Version 3.0 angekündigt. Die aktualisierte Software erhielt einen verbesserten Editor - "als Ergebnis eines zweijährigen Entwicklungsprozesses", schreibt CEO und Mitbegründer Shishir Mehrotra in einem ausführlichen Blogpost.
Der neue Editor bietet nun Möglichkeiten, Seitenlayouts einfacher anzupassen, indem Textblöcke per Drag-and-Drop neu angeordnet werden können. Man kombiniere die Vorteile von zwei verschiedenen Editortypen, so Coda - solche, die nur zum Schreiben verwendet werden, und solche, die etwa von Publishern zum Gestalten von Webseiten oder zur Pflege von Wikis genutzt werden.
"Die Möglichkeit, dieselbe Oberfläche für das Verfassen und das Veröffentlichen von Texten zu verwenden, eröffnet ganz neue Möglichkeiten", so das Unternehmen. Coda nennt als Beispiel Portfolio-Websites, Team-Wikis sowie Dashboards etwa für das Anzeigen von OKRs und Kennzahlen.
Canvas-Spalte für Coda3.0
Eine weitere Funktion des neuen Coda-Editors ist die Canvas-Spalte. Damit können Benutzer eine vollwertige Coda-Seite mit Bildern, Tabellen und Kommentaren in eine Spreadsheet-Zeile einfügen. Nützlich sei das beispielsweise, wenn Anwender auf die Schnelle Blogposts direkt aus dem Content-Kalender heraus schreiben und veröffentlichen wollten, so das Unternehmen.
Zu den weiteren Aktualisierungen gehören Änderungen an den mit Version 1 eingeführten "Coda Packs". Diese ermöglichen es Usern, benutzerdefinierte Automatisierungen zu erstellen, um mit Anwendungen von Drittanbietern zu interagieren. Das "Gmail Pack" etwa bietet einen Button zum direkten Versenden von E-Mails aus einem Dokument heraus.
Mit der Einführung von "Pack Studio" in Coda 3.0 können User in wenigen Minuten über eine Browserschnittstelle ihre eigenen Packs erstellen. Sie benötigen dazu laut Hersteller nur minimale Programmierkenntnisse. Diese Packs ließen sich im Unternehmen verwenden und auch auf dem Gallery-Marktplatz weiter verbreiten. Dort könnten sie kostenpflichtig oder gratis angeboten beziehungsweise verteilt werden.
Sind Coda und Notion brauchbare Alternativen?
Dem Analysten Castañón zufolge entsprechen die Aktualisierungen von Coda und Notion den in Umfragen von 451 Research ermittelten Anforderungen von Geschäftsanwendern. Diese wünschten sich mehr Konnektivität zwischen Produktivitätsanwendungen. Eine Studie des Analystenhauses zeigt, dass Informationen, die in verschiedenen Anwendungen isoliert sind, als großes Hindernis für die Teamarbeit in Unternehmen gesehen werden.
Fast ein Drittel der Befragten wünschen sich demnach die Integration von Daten aus verschiedenen Anwendungen in einen Workflow. Weitere Forderungen betreffen einen optimalen Abgleich zwischen Arbeitsfortschritten und Zielvorgaben und vereinfachte Möglichkeiten, Dokumente, Tabellenkalkulationen und Präsentations-Slides schnell zu erstellen.
Das ist allerdings auch Microsoft und Google nicht entgangen. Beide Anbieter haben ihre Produktivitätsanwendungen aktualisiert, um den Benutzern mehr Flexibilität zu bieten. Bei Google führte dies zum Smart-Canvas-Konzept und zu einer größeren Konnektivität zwischen Anwendungen wie Docs, Sheets und Slides sowie den Tools zur Zusammenarbeit wie Meet und Chat.
Microsoft entwickelt schon seit einiger Zeit an seinem Fluid-Framework, das im vergangenen Jahr angekündigt wurde und derzeit in einer Preview verfügbar ist.
Notion und Coda ergänzen Microsofts und Googles Office-Angebote
Obwohl Coda und Notion viele Fans haben, ist nicht davon auszugehen, dass sie den dominanten Apps der Schwergewichte Microsoft und Google gefährlich werden können. "Es handelt sich eher um ergänzende Tools für Anwendungsfälle, für die herkömmliche Textverarbeitungen und Tabellenkalkulationen nicht konzipiert wurden", sagt Castañón. Das betreffe etwa Funktionen für die Echtzeit- und asynchrone Zusammenarbeit, die Integration in Datensysteme, die Verwaltung von Teamprojekten und die Automatisierung von Arbeitsabläufen. In den kommenden Jahren werde es vermutlich eine Koexistenz mit den populären Anwendungen von Microsoft und Google geben. (hv)