Das Digitale kennt schon viele Opfer. Es raubt der Musikindustrie die CD, den Innenstädten den Einzelhandel, den Taxis und Hotels ihre Monopole und den Printverlagen die Anzeigen. Als nächstes könnte die Versicherungsbranche dran sein, wenn Konkurrenten wie Google sie aufmischen. Oder Autohersteller, wenn Apple tatsächlich ein "iCar" bauen sollte. Für die weltgrößte Computerschau CeBIT könnte die Digitalisierung dagegen zur rettenden Insel werden. Nachdem die Messe seit 2001 stetig an Boden verlor und in die Zweitklassigkeit abzurutschen drohte, soll die Digitalisierung der Wirtschaft nun ihre Zukunft sichern.
"Wer heute nicht digitalisiert, kann morgen abgehängt werden", sagte CeBIT-Chef Oliver Frese, als er am Dienstag in Hannover den letzten Ausblick auf den diesjährigen Branchentreff gab (16. bis 20. März). Die CeBIT-Macher sehen die Messe wieder als die "global wichtigste Veranstaltung der digitalen Welt". Frese meint, Deutschland erkenne, "dass die Digitalisierung die treibende Kraft der Wirtschaft sein wird". Und die Daten seien der Treibstoff dafür. "Jedes Unternehmen ist davon betroffen."
2014 hatte die CeBIT ihre erste Auflage nach der Reform, mit der sie sich von der einstigen Publikums-Veranstaltung zur gefragten Business-Messe wandeln will. Unter dem Kunstwort-Motto "d!conomy" rückt diesmal ein reichhaltiges Konferenzprogramm die Herausforderungen des rasanten digitalen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft in den Mittelpunkt. Mit dem neuen Profil will sich die CeBIT auch besser gegen Konkurrenzveranstaltungen wie den Mobile World Congress in Barcelona, die CES in Las Vegas oder die Ifa in Berlin abheben.
Das Treffen in Hannover ist getrieben von der Gewissheit in der Branche, dass es kaum noch einen Bereich in Wirtschaft und Handel geben wird, den die Digitalisierung nicht erfasst. Die Frage ist nur wann, nicht mehr ob Unternehmen ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen oder neu ausrichten. Mit dem Dreiklang "Information, Innovation und Inspiration" will die CeBIT Orientierung bieten, um die richtigen Weichen für die Digitalisierung zu stellen.
Zu den großen Topthemen gehören Vernetzung und das Internet der Dinge, von dem radikale Umwälzungen erwartet werden. Künftig sollen Dinge und Waren, mit Sensoren und Funkchips ausgestattet, selbstständig miteinander in Kommunikation treten. Herkömmliche Produktions- und Handelsketten dürfte das komplett umkrempeln. Aber auch ganz neue Service-Leistungen werden künftig möglich sein.
In Hannover wird das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) zum Beispiel einen einheitlichen Vernetzungsstandard zeigen, über den künftig die Maschinen und Dinge miteinander kommunizieren - egal ob es sich um vernetzte Autos, intelligente Stromnetze oder Anwendungen der Telemedizin handelt.
Die stetig wachsenden Datenmengen, die durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche anfallen, bieten nicht nur ganz neue Chancen der Datenanalyse, sondern rücken auch das Thema Datensicherheit verstärkt in den Blickpunkt. Zahlreiche Aussteller werden dazu ihre Lösungen und Produkte auf der Messe zeigen. Auch die Sicherheit von in der Cloud gespeicherten Daten wird im Mittelpunkt stehen.
Als prominenten Sprecher kündigten die CeBIT-Macher bereits den Whistleblower Edward Snowden an, der den Skandal um die Abhöraffäre des NSA ins Rollen brachte. Snowden, der sich seit bald zwei Jahren in Russland im Exil aufhält, soll sich in einer Live-Schalte per Video einem Interview stellen. Der Journalist Glenn Greenwald, der zusammen mit Laura Poitras Snowdens Material veröffentlichte, wird auf der CeBIT persönlich dabeisein. Zum Thema Sicherheit dürfte auch der Auftritt des einstigen Star-"Hackers" Kevin Mitnick interessante Aspekte beitragen. Er soll sein Wissen live demonstrieren.
Mit China hat die Computer-Messe in Hannover dieses Jahr das nach eigenen Angaben stärkste Partnerland in ihrer Geschichte gewonnen. Laut Frese stammt heute jede zweite im Reich der Mitte gegründete Firma aus der IT. "Die Chinesen haben das Potenzial, die globale IT-Karte massiv zu verändern und in Bewegung zu bringen", sagt Frese.
Mehr als 600 Unternehmen aus China wollen vor Ort ihre Neuheiten präsentieren. Das Land gilt in der Internet- und Smartphone-Branche als der derzeit am stärksten wachsende Markt. In Hannover wird zur Eröffnung auch Jack Ma erwartet, reichster Chinese und Gründer des Internetgiganten Alibaba, der schon an Amazon und eBay vorbeizog.
Namen wie diese sollen der CeBIT neuen Glanz geben. Einst traf sich die gesamte Computer-Branche einmal im Jahr in Hannover und versetzte die Stadt in einen Ausnahmezustand. Zur Jahrtausendwende barst die CeBIT aus allen Nähten mit Besucherrekorden von mehr als 800.000 Menschen und gut 8000 Ausstellern. Doch der wachsende Anteil von Spielekonsolen und Unterhaltungselektronik stieß nicht bei allen Ausstellern auf Gegenliebe. Nach langem Schlingerkurs glaubt die Messe nun, ihr Profil gefunden zu haben. Sie hofft bei gut 200.000 erwarteten Besuchern und 3300 Ausstellern auf Qualität statt Quantität. (dpa/tc)