Kommentar zum Watch-Start

Macht die Apple Watch bessere Menschen aus uns?

10.04.2015
Von 
Christian Vilsbeck war viele Jahre lang als Senior Editor bei TecChannel tätig. Der Dipl.-Ing. (FH) der Elektrotechnik, Fachrichtung Mikroelektronik, blickt auf langjährige Erfahrungen im Umgang mit Mikroprozessoren zurück.
Ob iPhone oder Smartphone mit Android, egal: Die Menschen starren ständig auf ihr Gerät, beim Essen, im Meeting, abends in der Kneipe und im Auto - eigentlich immer. Kann die Watch wieder kommunikativere Menschen mit besserem Benehmen aus uns machen? Sie könnte.

Der Verkaufsstart der Apple Watch startet am 24. April. Im Apple Online Store lässt sich die Smartwatch ab 9:01 Uhr des 10. April vorbestellen. Doch was wird die Apple Watch mit dem Besitzer dann machen? In einem Interview von Kevin Lynch, Vice President of Technology bei Apple, in der WIRED gab es hierzu eine interessante Aussage zu dieser Thematik: "Das Ziel war, die Leute von ihrem Smartphone zu befreien". Dieser Satz gilt für die Entwicklung der Apple Watch. Ein Problem, dass Apple vorrangig mit dem iPhone erschaffen hat, soll mit der Watch wieder behoben werden. Natürlich will Apple mit der Watch Geld verdienen, daran ist ja nichts auszusetzen. Doch könnte dieser hehre Vorsatz tatsächlich gelingen? Dass wir inzwischen oft Geiseln unserer Smartphones sind, ist kaum mehr zu bezweifeln; einhergehend mit der Abnahme von Benimmregeln.

Jetzt stellen wir uns mal vor, alle Smartphone-Nutzer würden eine Apple Watch tragen. Was könnte sich ändern? Die Smartwatch wäre ein Filter für wirklich wichtige Nachrichten und Ereignisse, der ganze übrige digitale Schmutz belästigt einem nicht im Minutentakt; wenn man es denn hoffentlich so einstellt. Und vor allem muss bei jedem Vibrieren oder Bimmeln nicht das Smartphone aus der Tasche gezogen werden, wodurch man seinen Mitmenschen in diesem Moment deren Unwichtigkeit sehr offensichtlich zeigt. Natürlich blickt man auch auf die Watch bei neuen Ereignissen, aber das ganze erfolgt wenigstens deutlich subtiler, und nur bei wichtigen Meldungen. Ein kurzer Blick auf die Uhr stört ein Gespräch, das Meeting oder den Mittagstisch viel weniger als ein kaum zu verheimlichender Griff zum Smartphone. Damit wäre schon viel gewonnen beim gegenseitigen Miteinander.

Und denken wir an all die Autofahrer, die ihre Griffel nicht vom Smartphone lassen können. Wer hat sich nicht schon über Verkehrsteilnehmer an der Ampel geärgert, die bei grün nicht losfahren, weil mal wieder auf das Smartphone statt das Lichtsignal geschaut wird. Über Menschen, die bei voller Fahrt mit dem Smartphone rum hantieren, sprechen wir besser mal gar nicht; das ist eh unverantwortlich. Ob man während der Fahrt allerdings auf die Smartwatch schauen darf, steht rechtlich noch auf einen anderen Stern. Aber wenn die Apple Watch - oder auch jede andere Smartwatch - auch nur ein bisschen "bessere" Menschen wieder aus uns macht und während der Fahrt die Hände wieder vermehrt am Steuer bleiben, so wäre der Nutzen und Sinn der Watch doch mehr als gefunden.

Die Watch als unbewusste Anstandsdame?

Wird die Apple Watch also dafür sorgen, dass ihre Träger den Mitmenschen wieder mehr Aufmerksamkeit schenken? Zu hoffen wäre es. Denn geht man offenen Auges durch die Stadt, beobachtet die Leute im Cafe oder Restaurant, sieht bei Rot über die Straße laufende Menschen, scannt Kollegen in Meetings oder Konferenzen ab, schaut sich in U-Bahnen oder Straßenverkehr um und reflektiert sich auch mal selbst, so sieht man immer eines: Menschen, die auf ihr Smartphone starren. Es werden E-Mails gecheckt, ständig tippseln wir vermutlich äußerst wichtige Sachen in diverse Messenger, kommentieren noch wichtigere Facebook-Einträge, gucken in Twitter, was gerade so in der Welt passiert. Und ist gerade tatsächlich mal nichts, dann wirft man schnell eine Spiele-App an, scannt die Sprit-Preise und ruft ohne großen Sinn eine App nach der anderen auf. Was bitte soll man sonst auch machen?

Und vibriert oder bimmelt mal eine Zeitlang nichts, dann schaut man trotzdem auf das Smartphone. Was ist da los, hat man kein Netz? Auf Facebook, Twitter, WhatsApp, iMessage & Co. hätte doch längst wieder etwas passieren müssen? Das zwanghafte "Always on" und ja nichts verpassen hat schon groteske Züge angenommen.

Ist jemand alleine unterwegs oder sitzt einsam zuhause, dann ist das ja völlig ok; es interessiert sowieso keinen, was man so macht. Doch schauen Sie sich mal um, wenn Leute in der Kantine oder im Restaurant gemeinsam an einem Tisch sitzen und essen. Irgendeiner hat immer das Smartphone in der Hand, total wichtig, wieso soll man auch mit dem Tischnachbarn sprechen - ist doch lästig. Selbst in Meetings, wenn jemand eine Präsentation hält, beobachtet man Menschen, die mal lieber auf ihr Smartphone glotzen. Besser kann man dem Vortragenden sein Desinteresse und Respektlosigkeit nicht zeigen. In jeglicher Situation wird heutzutage ständig auf das Smartphone geschaut und es liegt immer vor einem auf dem Tisch. Wie dumm und deplatziert muss sich da jemand vorkommen, der sich gerne mit dem Menschen gegenüber unterhält und ihm dabei seine Aufmerksamkeit widmet? Also jemand mit Kinderstube und einfache Benimmregeln beherrschend? Irgendwie ziemlich dumm… Oder ist Ihnen das noch nicht passiert, dass der Gegenüber im Gespräch mal kurz wieder zum Smartphone greift und eine ach so wichtige Sache checken muss?

Ob die Apple Watch oder eine Smartwatch all die aufgezählten Unsitten wirklich wieder verbannen kann, ist natürlich mehr als fraglich. Aber man kann es sich ja mal wünschen. (cvi)