Erfahrung ist der beste Lehrmeister. Das gilt auch für digitale Systeme: „Machine Learning“ versetzt sie in die Lage, anhand von Trainings- und Betriebsdaten eigenständig wiederkehrende Muster zu erkennen und einzuprägen. Dieses Wissen können die Systeme dann auf unbekannte Datenströme anwenden und Gesetzmäßigkeiten oder Anomalien aufspüren. Mögliche Fehlerquellen und Trends werden sichtbar.
Maschinen lernen denken
Machine Learning ist eigentlich ein jahrzehntealtes Konzept, das jedoch erst in den letzten Jahren aufgrund konzeptioneller und technologischen Fortschritte enorm an Leistungsfähigkeit gewonnen hat. Zudem stehen heute mit Big-Data-Anwendungen, Cloud-Speichern, paralleler Datenverarbeitung und immer kosteneffizienteren Sensoren erstmals die richtigen flankierenden Technologien bereit, um überhaupt riesige Mengen an Daten in Echtzeit auswerten und tatsächlich valide Schlüsse daraus ziehen zu können.
Besonders spannend ist die Technologie für Fertigungsunternehmen. Sie können nun erstmals ihre Petabytes an Daten effektiv geschäftsfördernd nutzen. Vielfältige Anwendungsszenarien sind jetzt möglich: von vorausschauender Wartung und der automatisierten Zustandsüberwachung von Maschinen und Geräten über ein optimiertes Energiemanagement bis hin zur Vorhersage von Kundenbedarf.
1. Zustandsüberwachung verbessern
In vielen Industriezweigen ist es bereits heute üblich, Maschinen oder Anlagen nur noch nach der reinen Nutzungsdauer zu zahlen – und nicht für die Geräte selbst. Die Anbieter achten darum mehr denn je darauf, die Ausfallwahrscheinlichkeit ihrer Produkte zu minimieren. Sie stellen vielfach auf „Analytics-as-a-Service“-Modelle um: Statt Störungen erst dann zu beheben, wenn sie auftreten, prognostizieren sie diese Risiken anhand der Analyse von Sensordaten in Echtzeit während des laufenden Betriebs. Wartungen und entsprechende Stillstandzeiten entstehen nur dann, wenn sie wirklich notwendig sind.
Möglich machen es sogenannte Support Vector Machines – mathematische Verfahren zur Mustererkennung – sowie neuronale Netzwerke und Entscheidungsbäume. Damit lassen sich die komplexen Abhängigkeiten zwischen operativen Parametern wie Temperatur oder Lage erkennen und Anomalien zuverlässig aufspüren.
2. Qualitätsmanagement neu definieren
Machine Learning kann das herkömmliche Testing von Produkten nahezu vollständig ersetzen und Ausfallwahrscheinlichkeiten präzise errechnen. Die Qualität eines Produkts lässt sich damit bereits in einer frühen Phase des Fertigungsprozesses vorhersagen. Vor allem für Hersteller hochpräziser Bauteile ist das enorm chancenreich: Sie können erstmals kleinste Hohlräume, sogenannte Lunker, oder die Porosität von Gussteilen entdecken.
Auch Motorenhersteller müssen ihre Produkte nicht länger hunderte Stunden auf den Prüfstand schicken, bevor diese an den Kunden gehen. Sie sammeln und analysieren stattdessen Daten aus Herstellungsprozessen und der gesamten Lieferkette und erkennen auf diese Weise mögliche Defekte bereits im Vorfeld.
3. Energie-Management optimieren
Die zunehmende Privatisierung und Volatilität des Energiemarkts zwingen Stromerzeuger und Netzbetreiber neue Strategien zu entwickeln. Auch hier eröffnen Technologien für Machine Learning neue Wege. Sie ermöglichen den Unternehmen, mit hoher Zuverlässigkeit aus historischen Energieverbrauchsmustern zukünftige Bedarfs- und Preisschwankungen abzuleiten. Auf diese Weise können sie Einkaufspreise und Kundenbedarf mit bislang ungekannter Präzision aufeinander abstimmen. Das sorgt für deutlich kosteneffizientere Prozesse.
4. Bedarf voraussagen
Die sozialen Medien spiegeln die Stimmung unter Verbrauchern heute nahezu in Echtzeit wider. Damit sind sie die ideale Informationsquelle für Marketing-Verantwortliche. Mit ihrer Hilfe lassen sich der Erfolg einer Kampagne quasi live analysieren, die Chancen einer Produktidee direkt am Puls des Kunden testen und sogar künftige Kauftrends vorhersagen.
Die Voraussetzungen dafür sind die Verarbeitung natürlicher Sprache, das sog. Natural Language Processing, sowie leistungsfähige Spracherkennungs- und Textanalysetools für Massendaten. Damit lassen sich unstrukturierte Daten aus verschiedensten Quellen auswerten, neben sozialen Medien beispielsweise auch aus Call Centern, Blogs und Umfrageergebnissen
5. Konsumfreude einschätzen
Auf Grund welcher Faktoren entscheiden sich Kunden für oder gegen ein Produkt? Mit welchen Anreizen lassen sich die Verkäufe ankurbeln? Entscheidende Fragen für Verantwortliche in Vertrieb und Marketing. Bislang standen ihnen dazu nur sehr begrenzte Informationen zur Verfügung, die sie beispielsweise im Vorfeld einer Produkteinführung aufwendig über Umfragen einholen mussten.
Mithilfe von Machine Learning können Unternehmen nun die Haltung von Konsumenten gegenüber Produkten und Marken permanent im Blick behalten. Das hilft unter anderem dabei, Konversionsraten zu steigern, Up-Selling-Chancen aufzudecken und zielgruppengerechte Kundenbindungsstrategien umzusetzen.
Wie Unternehmen jetzt handeln können
Diese wenigen Beispiele zeigen bereits die enormen Möglichkeiten selbstlernender Algorithmen und fortschrittlicher Analysesoftware. Noch haben Fertigungsunternehmen die Technologien nicht flächendeckend im Einsatz – doch das ist nur eine Frage der Zeit. Wichtig ist es, dass Unternehmen kreativ denken und jetzt geschäftliche Nutzenpotenziale und konkrete Anwendungsfälle identifizieren.
Um eine Transformation dann auch erfolgreich ins Ziel zu führen, braucht es zudem die volle Unterstützung aus dem Management und die richtigen Investitionen in Fachkräfte, Prozesse, Daten und Technologien. Kompetenzen in Sachen Big Data und maschinellem Lernen müssen nach ebenfalls aufgebaut werden. Dabei können Partnerschaften mit Technologieunternehmen oder auch Universitäten wertvolle Dienste leisten, um auch morgen noch intelligenter zu agieren als der Wettbewerb. (mb)