Mentalität in der Digitalisierung

Lernt agiles Denken!

Kommentar  06.03.2017
Von 


Hendrik Schubert ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der EWERK Gruppe. 1995 erkannte er die Chancen, die sich durch das Internet und verbundene Technologien ergaben. Sein Credo: Digitalisierer sind die Architekten der nächsten industriellen Revolution. Wer nachhaltige Veränderungen erreichen möchte, muss sich entlang seines Business-Kontexts verändern und immer wieder aufs Neue querdenken.
„Typisch deutsches“ Denken verhindert disruptive Innovationen der Digitalisierung. Wir müssen als Gesellschaft lernen, agital zu denken. Dabei kann die Schule helfen.

Digitalisierung ist das neue Steckenpferd der Kanzlerin. Das ist eine gute Nachricht, denn Deutschland ist tatsächlich digitales Brachland. Und es geht weniger um LTE-Netzabdeckung oder Breitbandausbau. Das ist simple Infrastruktur, keine Innovation, kaum Werttreiber – sondern nur der Nährboden für die eigentliche digitale Revolution, die wir gerade erleben und für die es helle Köpfe braucht.

Um im radikalen Wandel den Anschluss nicht zu verlieren, müssen wir unsere Denkstrukturen radikal umdenken.
Um im radikalen Wandel den Anschluss nicht zu verlieren, müssen wir unsere Denkstrukturen radikal umdenken.
Foto: VLADGRIN - shutterstock.com

Und genau hier ist Deutschland im Hintertreffen. Wir haben beim Setzen von Impulsen im digitalen Fortschritt im europäischen und weltweiten Wettbewerb den Anschluss verloren – schlimmer noch: Im Grunde hatten wir ihn nie. Denn uns Deutschen fehlt es an der gesellschaftlichen Mentalität zur Disruption.

Tüftler statt Regel-Brecher

Eine steile These, fürwahr. Doch denken Sie einmal nach: Uns Deutsche zeichnet heutzutage insbesondere die Fähigkeit zur Reflexion aus. Das macht uns zu Tüftlern – nicht umsonst gelten wir als das Land der Ingenieure. Wir sind klassische Verbesserer und Optimierer bestehender Lösungen. Unser strukturiertes Denken erschwert den radikalen Aus- und Regel-Bruch.

Um im digitalen Wandel und den einhergehenden Disruptionen ganzer Branchen Schritt halten zu können, müssen wir also als Gesellschaft lernen, anders zu denken. Hier ist die Schule als Wissens- und Wertevermittler ein wichtiger Faktor. Sicherlich: Sie hat bereits begonnen, den Wandel durch die Digitalisierung zu inkorporieren. Allerdings auf die typisch deutsche Art: durch inkrementelle Verbesserung, etwa das Lernen am Tablet.

Das Lernen selbst verändern

Dabei könnten wir jetzt die Chance ergreifen und im Zuge des digitalen Wandels die Wege, wie wir lernen, komplett neu zu denken. Und zwar vom Ende her – indem man sich Fragen über das Leben stellt, das Menschen in Zukunft nach der Schule erwartet:

  • Welchen Wert wird Arbeit in einer immer stärker digitalisierten Welt mittelfristig haben?

  • Wenn Arbeit mehr und mehr von Robotern und Computern übernommen wird, ist Geld dann weiterhin der Anreiz?

  • Kann man disruptives Denken erlernen?

  • Und dann: Wie müsste die Schule aussehen, welche Anreize und Werte müsste sie vermitteln, um Kinder und Jugendliche auf diesen Wandel der Welt vorzubereiten?

Man möchte sich nicht anmaßen, hier das Idealbild der Schule der Zukunft in petto zu haben – zu komplex und kontrovers ist das Thema. Doch für einen langjährigen IT-Unternehmer und mehrfachen Vater hat das Thema ganz natürliche Relevanz. Mein frommer Wunsch: Der Lehrer steht weiterhin im Mittelpunkt, auch wenn sich seine Rolle wandelt. Er ist wissende Autorität und Begleiter im Lernprozess – der nun digital unterstützt und verstärkt individualisiert passiert.

Gleichzeitig bekommt er eine gänzlich neue Funktion: Er muss Botschafter des digitalen Wandels und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderung werden. Sie sind dann nicht nur Experten für Mathematik, Physik, Sprachen oder Sport – sondern fungieren als Erklärer und Moderator in einer sich wandelnden Gesellschaft. Disziplinen spielen dann eine wichtige, aber kleinere Rolle, eingebettet in den gesellschaftlichen Wandel durch Digitalisierung als übergreifendes Thema.

Agitalität: ein wacher, beweglicher Geist

Das Ziel dieser erweiterten Ausbildung ist agitales Denken. Was wir nämlich letztendlich brauchen, sind im besten Sinne lebendige Menschen, die ihre Erwerbstätigkeit nicht mehr als das reine Verdienen von Geld, sondern als wertvollen Beitrag zur digitalen Wissensgesellschaft sehen. Das ist Agitalität: eine gesunde Mischung aus beweglichem Geist und der Fähigkeit, in seinem – digital geprägten – Umfeld zu gedeihen.

Der deutsche Hang zur Reflexion und die Fähigkeit zur Disruption finden in diesem neuen Mindset zumindest teilweise ihre Fusion. Der Tüftler wird nicht unterdrückt, aber dafür zur Beweglichkeit getrieben. Es wäre ein immens wichtiger Schritt hin zur digital reifen Gesellschaft.

Schon heute beschäftigt uns in der IT-Branche der Mangel an qualifizierten Menschen, die einer agitalen Geisteshaltung entsprechen. Will Deutschland in der digitalen Transformation nicht den Anschluss verlieren, sollte agitales Denken alsbald auf die öffentliche Agenda.