Mit der Planung beginnt der Erfolg

Kurzratgeber zur Migration auf SAP S/4HANA

08.03.2019
Von 


Martin Hösler ist Geschäftsführer im Bereich Resources bei Accenture.
Viele Unternehmen stellen sich aktuell die Frage: Welches ist der richtige Weg für die Migration auf SAP S/4HANA? Ist der Brownfield-Ansatz oder doch der Greenfield-Approach der Richtige? Wir zeigen welche Erfahrungen Accenture im Rahmen großer SAP-Projekte in der Chemiebranche sammeln konnte.
Moderne ERP-Lösungen verknüpft mit den entsprechenden Daten sind der Schlüssel zu neuen Geschäftsmodellen.
Moderne ERP-Lösungen verknüpft mit den entsprechenden Daten sind der Schlüssel zu neuen Geschäftsmodellen.
Foto: ESB Professional - shutterstock.com

Die Ansichten über den richtigen Weg der digitalen Transformation liegen in 'traditionellen' Unternehmen - und dazu gehören viele Akteure der Chemiebranche - oft weit auseinander. Nur eines ist sicher: Die vermeintlichen Nachzügler wollen ihren Rückstand zu anderen Branchen aufholen und zu den Profiteuren der Digitalisierung gehören. Tatsächlich sind moderne ERP-Lösungen der Schlüssel zu neuen Geschäftsmodellen und mehr Effizienz in den Prozessen. Die Verknüpfung von Informationen zu Produktionsparametern mit Machine Learning eröffnet neue Möglichkeiten, ebenso wie die Echtzeitverknüpfung von Informationen zur Preis- und Profitabilitätsanalyse - und damit kommt man um den Wechsel auf S/4HANA fast nicht herum.

Über all dem hängt die große Frage: Wie gehen wir es an? Starten wir ein IT-Projekt mit Business Change oder besser ein Business-Projekt mit IT-Change? Während der CEO überlegt, wie er zum digitalen Vordenker seiner Branche wird, stellen sich der CIO und der Leiter Applikationen praktische Fragen: Was wollen wir mit der Digitalisierung erreichen? Welchen Weg wählen wir - und wie stark sollen die Business-Einheiten miteinbezogen werden? Für Unternehmen, die bereits SAP-Lösungen nutzen, wird es mit der Frage "Wann gehe ich auf S/4HANA?" schnell konkret. Für die Migration gibt es grundsätzlich zwei Ansätze: der Greenfield- und der Brownfield-Ansatz. Außerdem gibt es eine hybride Form sowie die Zwischenstufe "Central Finance".

Greenfield

Der Greenfield Approach, sieht vor, ein System von Grund auf ("der grünen Wiese") neu zu planen und sämtliche Unternehmensprozesse neu zu definieren. Empfehlenswert ist dieser Ansatz für Unternehmen, in denen die folgenden Kriterien zutreffen:

• Interne Faktoren: Das Unternehmen verfügt über ein veraltetes, nicht mehr Upgrade-bares ERP-System oder verschiedene genutzte ERP-Systeme, die noch nicht in ausreichendem Maße konsolidiert sind. Es existiert aber eine klare Optimierungs- oder Digitalisierungs-Agenda.

• Externe Faktoren: Veränderte Marktanforderungen, neue Business-Modelle oder M&A(Mergers & Acquisitions)-Aktivitäten verlangen eine fundamentale Transformation der Unternehmens-IT;

• Business Case: Die SAP S/4HANA-Migration kann durch andere Transformationsinitiativen (beispielsweise Aufbau von Shared Service Centers) unterstützt werden;

• Transformational Readiness: Das Unternehmen hat die Ressourcen für eine digitale Transformation und eine starke Governance, in der Entscheidungen Top-Down getroffen werden können.

Brownfield

Für die Migration zu SAP S/4HANA gobt es unterschiedliche Ansätze.
Für die Migration zu SAP S/4HANA gobt es unterschiedliche Ansätze.
Foto: Profit_Image - shutterstock.com

Wer nicht auf der "Grünen Wiese" starten möchte, sollte sich mit dem Brownfield-Ansatz befassen, der darauf basiert, bestehende Unternehmensprozesse inkrementell zu verbessern. Sollten im Unternehmen mehrere ERP-Systeme im Einsatz sein, kann im ersten Schritt ein führendes System ausgewählt und vorab auf S/4HANA gehoben werden, um die übrigen Länder über ein sogenanntes roll-in in Wellen hinein zu migrieren. Auch bei diesem Ansatz erfolgen eine Re-Evaluierung und Optimierung bestehender Prozesse. Diese Strategie eignet sich, wenn ein SAP-System keine Altlasten trägt, beziehungsweise nicht zu komplex ist, so dass vorher kaum Änderungen im System vorgenommen werden müssen. Vor allem Systeme, die sich nah im Bereich des SAP-Standards bewegen, werden durch einen Brownfield-Ansatz transformiert. Erfolgsversprechend ist der Brownfield-Ansatz, wenn die folgenden Kriterien vorliegen:

• Interne Faktoren: Das Unternehmen verfügt über ein reifes, stabiles System mit einer überschaubaren Zahl an zu verbessernden Funktionalitäten;

• Externe Faktoren: Es gibt keine Notwendigkeit, eine fundamentale Transformation von Prozessen und Systemen vorzunehmen, um im Markt wettbewerbsfähig zu bleiben;

• Business Case: Die SAP S/4HANA-Migration soll mit geringem finanziellen Aufwand, oft als "Infrastrukturmaßnahme", durchgeführt werden;

• Change Readiness: Das Unternehmen hat die Kapazitäten, um sich auf Prozesse zu fokussieren, bei denen eine Veränderung einen echten Mehrwert erwarten lässt.

Smart-Greenfield/Smart-Brownfield

Wie zu erwarten, gibt es auch eine Mischform aus beiden Ansätzen. Beim Smart-Greenfield/-Brownfield-Ansatz werden Komponenten aus dem Altsystem in ein neues Umfeld übertragen. Beim Smart-Greenfield-Ansatz wird dafür ein neues neutrales System als Startpunkt gewählt, während Smart-Brownfield auf dem bestehenden System aufsetzt.

Obwohl das Portieren und Migrieren umfangreicher Entwicklungen oder Applikationsbausteine innerhalb des standardisierten SAP-Datenmodells geschieht, werden die Aufwände für die Integration in die neue Prozess- und Datenwelt häufig unterschätzt. Nicht selten kann dies später zu unerwarteten Budget-Erhöhungen führen.

Empfehlenswert ist der Smart-Greenfield/Brownfield-Ansatz, wenn die folgenden Kriterien zutreffen:

• Interne Faktoren: Wichtige, differenzierende Prozesse müssen in die neue Welt gerettet werden, um einen bestehenden Wettbewerbsvorteil zu erhalten;

• Externe Faktoren: Der Wettbewerbsdruck erfordert eine Optimierung der Transformation im Sinne eines "Safeguarding" statt einer Innovation;

• Business Case: Die SAP-S/4HANA-Migration entspringt einer Initiative zur Veränderung, bei ihrer Durchführung müssen aber trotzdem Risiken minimiert werden;

• Change Readiness: Das Unternehmen ist in der Lage, Ressourcen für spezifische Business-/IT-Themen bereitzustellen und kann Entscheidungen Top-Down und Bottom-Up durchsetzen.

Central Finance

Die Ansichten über den richtigen Weg der digitalen Transformation liegen in ‚traditionellen‘ Unternehmen – und dazu gehören viele Akteure der Chemiebranche – oft weit auseinander.
Die Ansichten über den richtigen Weg der digitalen Transformation liegen in ‚traditionellen‘ Unternehmen – und dazu gehören viele Akteure der Chemiebranche – oft weit auseinander.
Foto: totojang1977 - shutterstock.com

Bei einer fragmentierten ERP-Landschaft werden häufig Central-Finance-Ansätze gefahren. Dabei ist das Risiko gering, bestehende Systeme zu beeinträchtigen. Diese werden über die Finanzbelege an ein zentrales Finanzsystem auf S/4HANA-Basis angedockt, in dem Teile der Finanzprozesse abgebildet werden können. Im späteren Verlauf erfolgt die Ausprägung der Logistikprozesse und die "Legal Entities" werden voll in das "erweiterte" Central-Finance-System hineingehoben. "Central Finance" ist somit die Zwischenstufe einer Greenfield-Implementierung. Häufig wird allerdings der Aufwand für Anbindung und Umschlüsselung massiv unterschätzt.

Empfehlenswert ist der Central-Finance-Ansatz, wenn die folgenden Kriterien zutreffen:

• Interne Faktoren: Finanzielle Transparenz ist gefordert, das Aufsetzen zentralisierter Finanzorganisationen notwendig;

• Externe Faktoren: Für das Unternehmen bestehen erhöhte Compliance-Anforderungen;

• Business Case: "Finance Transformation" oder "Risiko-Minimierung" stehen im Vordergrund;

• Change Readiness: Das Unternehmen kann einen "Dreisprung" aus Central Finance, komplettem Template und Roll-Ins umsetzen.

Kein Patenrezept, aber klare Erfolgsfaktoren

Da alle Unternehmens- und Systemlandschaften individuell gewachsen sind, gibt es kein Patenrezept für eine erfolgreiche Migration auf S/4HANA. Aus der Erfahrung haben sich jedoch einige Erfolgsfaktoren herauskristallisiert, die für alle Ansätze gelten.

Die Grundlage ist eine klare Zielsetzung, die von allen beteiligten Fachbereichen, den Ländergesellschaften sowie durch ein starkes Bekenntnis des Managements gestützt wird. Weiterhin empfiehlt es sich, auf der aktuellsten Softwareversion von S/4HANA aufzusetzen. Nur so kann man vermeiden, dass sich ein mehrjähriger Programmplan durch Upgrades verlängert. Außerdem ist eine hohe Qualität der verwendeten Stammdaten wichtig. Idealerweise beginnt die Standardisierung und Harmonisierung der Stammdatenobjekte bereits parallel zum Prozess-Design.

Die Standardisierung ist ein zentrales Thema. Von Anfang an sollte klar sein, was standardisiert werden muss, und wo Varianzen erlaubt sind. Denn durch Standardisierung lässt sich eine Migration beschleunigen und das Tempo ist ein wichtiger Faktor für den Projekterfolg. Nichts lähmt eine Organisation so sehr wie ein langwieriges ERP-Projekt. Hier sollten auch periphere Systeme wie SCM oder CRM einbezogen werden, da sich hier Verlagerungen von Funktionalitäten ergeben.

Auch die Mitarbeiter spielen eine entscheidende Rolle. Die Akzeptanz einer Migration auf S/4HANA steht und fällt mit der Umsetzungsgeschwindigkeit. Daher sind agile Arbeitsweisen sowie das frühe Pilotieren von Minimal Viable Products (MVPs) für den Erfolg entscheidend. MVPs bezeichnet eine minimal funktionsfähige Iteration eines Produkts, das entwickelt werden muss, um mit geringem Aufwand den Kunden-, Markt- oder Funktionsbedarf zu decken. Grundsätzlich ist die emotionale Komponente bei einem IT-Projekt nicht zu unterschätzen: Über kleine Zugeständnisse bei der Lokalisierung oder die Übernahme von Altfunktionen lassen sich die Herzen der Mitarbeiter gewinnen.

Fazit

Mit der entsprechenden Vorbereitung lässt sich auch ein Mammutprojekt wie die Migration auf S/4HANA mit reduzierten Risiko in Angriff nehmen und erfolgreich durchführen.