Firmen, die eine agile Unternehmenskultur entwickeln wollen, müssen unbequeme Fragen aushalten. Wie viel Eigendynamik in den Projektteams braucht und wie viel verträgt das Unternehmen? Wie verändern sich Führungsrollen? Oder auch, wie wird aus den theoretischen Prinzipien der Transparenz und Selbstorganisation gelebter Alltag?
Die gute Nachricht lautet: Firmenchefs, die mutige Antworten fördern, dürfen sich in dem Prozess von der Rolle als verantwortlicher Problemlöser und oberster Projektmanager verabschieden.
Die schlechte Nachricht: sie müssen es auch.
Wertekultur als Hinterbühne der Produktivität
Macht agil attraktiv? Ja. Ist die Frage überhaupt relevant? Wieder ja, denn in Zeiten eines oft akuten, zumindest aber stets drohenden Fachkräftemangels wird die Mitarbeiterbindung als betriebswirtschaftlicher Faktor immer wichtiger. Gerade in dynamischen Branchen wie der Webentwicklung gehören kontinuierliche Innovation sowie Effizienz- und Produktivitätssteigerung zum Kerngeschäft.
Das bedeutet letztlich nichts anderes als, 'wer stehen bleibt, verliert'. Und stehen bleibt, wer engagierte Mitarbeiter nicht für sich gewinnen und halten kann. Kleine Unternehmen stehen so mitunter vor einem Dilemma. Sie konkurrieren mit größeren Playern um knappe Talente und müssen, wo flache Hierarchien und eine durchgängige Projektstruktur klassische Aufstiegskarrieren unterbinden, andere, "sinnstiftende" Entwicklungsperspektiven bieten.
Im Video: Agile Softwareentwicklung - die Phasen eines Scrum-Projekts (1/2)
(Quelle: video2brain, Trainer: Udo Wiegärtner)
Wenn es nicht nach oben geht, wohin dann?
Die Prinzipien von Scrum bauen auf einer einfachen aber folgenreichen Annahme. Komplexe Probleme müssen da gelöst werden, wo die Komplexität auftritt. Die Mitarbeiter müssen selber alle relevanten Entscheidungen treffen können, da sie selbst für den Erfolg der Umsetzung maßgeblich verantwortlich sind. Dafür muss größtmögliche Verantwortung in die Teams gegeben werden - was bedeutet, die Mitarbeiter zu Mitunternehmern zu machen.
Der so entstehende Freiraum, der Scheitern gleichwohl einbezieht und nicht sanktioniert, und die neue Entscheidungsgewalt ermöglichen dem Einzelnen, seine Arbeit als sinnvoll wahrzunehmen und dadurch bessere Ergebnisse und Lösungen zu finden. Unternehmen, die Scrum auch vor diesem Hintergrund einführen wollen, müssen daher zuerst die zunehmende Komplexität und Unplanbarkeit als Chance annehmen und Agilität als ihr "Mission Statement" verstehen.
- Retrospektive und Feedback in Scrum-Projekten
Scrum Manager haben die Möglichkeit, den Projekterfolg durch die Analyse des Sprints zu verbessern. Zielführend sind dabei die Retrospektive und das Feedback der Teammitglieder - ein Vorgang, den der Scrum Manager mit Diplomatie moderieren muss. Folgende Methodik mit Arbeitsblättern hat sich bewährt. - Feedback - Schritt 1
Für die Retrospektive erhält jedes Teammitglied ein vorbereitetes Blatt mit seinem Namen und zwei Fragen: "Was kann man von mir erwarten?" und "Was erwarte ich vom Team?" - Feedback - Schritt 2
Der Feedback-Bogen wird um zwei Bereiche ergänzt: "Was ich an Deiner Arbeit schätze ..." und "Was ich Dir wünsche, das Dir besser gelingt ..." - Feedback -Schritt 3
Der Feedback-Bogen wird an den Tischnachbarn weitergegeben, von diesem ausgefüllt und so lange weitergegeben, bis jeder Teilnehmer wieder sein persönliches Blatt vor sich liegen hat – jetzt mit dem schriftlichen Feedback aller beteiligten Teammitglieder. - Selbstreflexion
Zwei weitere Bereiche kommen hinzu – sie dienen der eigenen Reflexion des erhaltenen Feedbacks: "Darauf bin ich stolz ..." und "Das nehme ich mit ..." - Vorgehensmuster
Nach diesem Grundmuster lassen sich Retrospektiven zu einem späteren Zeitpunkt erneut wiederholen.
Im Video: Scrum - Sprint, die Taktfrequenz des Projekts (2/2)
(Quelle: video2brain, Trainer: Udo Wiegärtner)
Etappensiege auf dem Weg zu mehr Agilität planen
Die unterschiedlichen Rollen von Product Owner, ScrumMaster und Entwickler-Teams sowie den Scrum-Prozess im Gesamten theoretisch zu verstehen, kostet dank zahlreich verfügbarer, einschlägiger Literatur nicht mehr als ein wenig Zeit. Ihn aber zu verinnerlichen und jeden Tag praktisch umzusetzen, bleibt eine Herausforderung. Dabei hilft, sich auf dem langen Weg zu einer agilen Unternehmenskultur die folgenden fünf Stationen bewusst zu machen und sie kritisch zu reflektieren:
Agilität lässtsich nicht von oben verordnen
Wer nichts weniger will, als gewachsene Strukturen zu revolutionieren, braucht früh Mitstreiter, die als Multiplikatoren andere für die neue Organisationsform begeistern. Dabei ist die notwendige kritische Masse keineswegs mit einer Mehrheit zu verwechseln, denn in allen Veränderungsprozessen zählt zu Beginn Qualität vor Quantität.
Malcolm Gladwell beschreibt den Mechanismus der Veränderung in seinem Buch "Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können". Benötigt werden hier im übertragenen Sinne Vermittler, Kenner und Verkäufer der Agilität. Die wichtigste Person in dieser Konstellation ist der "Verkäufer". Das ist der Mitarbeiter (wenn Sie nur ein Team aufstellen wollen), der schon immer agil mit Scrum entwickeln wollte. Er liegt Ihnen schon jahrelang in den Ohren, hat bereits einige Bücher zu dem Thema verschlungen und Sie finden ihn regelmäßig auf den einschlägigen Konferenzen. Wenn Sie Glück haben, dann ist er noch in Ihrem Unternehmen. Sprechen Sie mit ihm, erklären Sie, was Sie möchten und machen Sie ihm klar, dass dies ernst gemeint ist. Und noch wichtiger: Halten Sie Ihre bestehende Organisation so weit wie möglich von ihm entfernt.Agilität fängt aber oben an
Mit der Einstellung, alles bleibt gleich, nur "die da unten" sind nun agil, lässt sich wenig bewegen. Wenn agile Umsetzung bedeuten soll, dass die Entwickler direkt mit dem Kunden sprechen, dann muss diese Ebene auch die Entscheidungen treffen können: Entscheidungen, die auf keinen Fall vom Management wieder umgeworfen werden dürfen. Wer als Manager wissen will, welche Entscheidungen gerade anstehen, hat es eigentlich einfach. Er muss "nur" bei seinem Team sein. Agilität setzt gutes Management voraus. Und da Management nach Malik eine Dienstleitung an den Menschen ist, tut man gut daran, dies auch an und mit den Menschen zu tun. Dann wird sich der gewünschte Erfolg sehr schnell einstellen.Suchen Sie sich Menschen, die sich den Job zutrauen
In agilen Teams sind ScrumMaster und Produkt Owner die zwei zentralen Rollen. Wenn Sie geeignete Personen für diese Aufgaben gefunden haben, lassen Sie sie durch eine entsprechende zertifizierte Stelle ausbilden. Die Erfahrung zeigt: Die PO-Schulung kann kürzer sein, aber ScrumMaster benötigen eine fundierte Ausbildung über das Zusammenwirken in Gruppen und Methodenwissen zur Deeskalation, Motivation und Entwicklung vom Team. Der ScrumMaster hat im Team die schwierigste und verantwortungsvollste Aufgabe. Unterstützen Sie ihn bestmöglich; nur so kann ein Team sich verbessern.Das Handwerk muss sitzen
Um in der Softwareentwicklung bestehen zu können, muss ein Scrum Team schnellstmöglich testgetrieben entwickeln. Ziel ist es, Deployments von neuen Releases innerhalb von wenigen Stunden - besser wären Minuten - auf das Lifesystem zu übertragen und dem Kunden die neue Funktionalität zur Verfügung zu stellen. Continuous Integration muss daher zum Handwerkszeug eines jeden guten Programmierers gehören.Kann die angestrebte Veränderung schädlich sein?
Natürlich; und zwar immer dann, wenn man Veränderung von anderen verlangt, sich selbst aber vornehm zurücknimmt. Konkret: Wenn ich als Führungskraft Agilität verlange, aber nicht die notwendigen Freiheiten gebe und das Team nicht vor meinem "Chef-Chef" schütze. Die Konsequenz liegt auf der Hand - und gilt über Scrum hinaus für alle Veränderungsprozesse: Wenn ich nicht selbst die Werte lebe, die ich einfordere, werden Agilität und die damit einhergehende Selbstverantwortung und Selbstführung nicht funktionieren. Oder kennen Sie einen Fitness Trainer mit Übergewicht? (bw)