Ob Mobiltelefon, Babyphone, Akkus oder Ladegeräte – ein Produktrückruf kann jeden Hersteller treffen. Was in der Lebensmittelindustrie weitgehend eingespielt ist, löst bei technischen Produkten immer noch hektische Betriebsamkeit aus.
Produktrückruf oder Produktwarnung?
Webseiten wie produktrueckruf.de oder produktwarning.eu versuchen als Plattform Rückrufmeldungen zu bündeln und für Verbraucher hilfreich aufzubereiten. Wobei Produktwarnung ein irreführender Begriff ist, denn dabei handelt es sich um Warnhinweise für Verbraucher auf Verpackungen oder in Bedienungsanleitungen.
Nach §6(4) des Produktsicherheitsgesetzes von 2011 hat der Hersteller, sein Bevollmächtigter ... jeweils unverzüglich die an ihrem Geschäftssitz zuständige Marktüberwachungsbehörde zu unterrichten, wenn sie wissen oder auf Grund der ihnen vorliegenden Informationen oder ihrer Erfahrung wissen müssen, dass ein Verbraucherprodukt, das sie auf dem Markt bereitgestellt haben, ein Risiko für die Sicherheit und Gesundheit von Personen darstellt. Wer dagegen verstößt muss mit Strafen rechnen.
Wissen Sie, wer für die Produkte Ihres Unternehmens zuständig ist?
Rückruf - Vorbereitung auf den Ernstfall
Auf das Thema Krisenprävention bin ich ausführlicher in einem vorangegangenen Artikel eingegangen.
Lesetipp: Cyberangriffe managen - Sind Sie bereit, gehackt zu werden?
Deshalb nur kurz einige wesentliche Punkte: Es muss im Unternehmen klar sein, an wen Warnhinweise eskaliert werden müssen. Es muss ein Krisenteam bestehen, das sofort einberufen wird. Dieses Team ist vorbereitet, hat in Simulationen gelernt und kann auf definierte Prozesse und Inhalte für diesen Fall zugreifen. Dieses Team weiß, welche Behörden zuständig sind und welche Vorschriften zu beachten sind. Der Verantwortliche für Kommunikation muss Teil des Krisenteams sein. Aus diesem heraus wird die Kommunikation veranlasst und gesteuert.
Vor dem Produktrückruf - Krisenmanagement
Die ersten Aufgaben des Krisenteams sind: Informationen zu sammeln, den Sachverhalt zu prüfen und sich gegebenenfalls fachlichen und juristischen Rat einzuholen. Kritische Frage sind dabei zum Beispiel:
Besteht eine Gefahr für Verbraucher/Endabnehmer?
Wie groß ist diese Gefahr und wie wahrscheinlich ist sie?
Woher kommt diese Gefahr?
Liegt die Ursache in einem Zulieferteil oder im eigenen Unternehmen?
Können wir die Gefahrenstelle eindeutig identifizieren und benennen?
Wie kann der Verbraucher erkennen, dass er ein Produkt hat, für das der Rückruf gilt?
Wo und durch welche Kanäle wurde das Produkt verkauft?
Wie kann ich einen Rückruf logistisch organisieren?
Im Falle von Gefahren für Verbraucher müssen die zuständigen Behörden informiert werden. Dafür gibt es Fristen, die man beachten muss. Die Behörden können dann einen Rückruf anordnen. Das Unternehmen hat aber auch die Möglichkeit einen freiwilligen Rückruf zu veranlassen, insbesondere dann, wenn zwar eine Minderleistung, aber keine Gesundheitsgefährdung vorliegt. Dabei ist zu beachten, dass es im Produktsicherheitsgesetz einen umfangreichen Bußgeldkatalog gibt, der detailliert die Anforderungen an die Unternehmen beschreibt.
Produktrückruf - Kommunikation im Falle der Fälle
Im Krisenteam muss natürlich die Kommunikation maßgeblich mitwirken. Die Information der Betroffenen, gegebenenfalls der breiten Öffentlichkeit, muss professionell erfolgen. Fehler verschlimmern oft die Situation und können eine Krise auslösen. Außerdem können nur so bei Entscheidungen über den Umgang mit einem Produktrückruf Fragen der Reputation und der möglichen Reaktion der Stakeholder früh berücksichtigt werden.
Je nach Dimension des Rückrufs und Größe der Kommunikationsabteilung empfiehlt es sich ein separates Team für die Krisenkommunikation zu bilden. Die Kommunikation muss sich dabei nach innen wie nach außen richten. Auch wenn Kunden die Betroffenen sind, sollten Mitarbeiter wissen, was das Unternehmen tut und mitreden können.
Wenn möglich, wird der Hersteller die Kunden direkt ansprechen wollen. Das ist aber nicht immer möglich, dazu braucht man den Handel, Vertriebspartner oder muss gleich an die breite Öffentlichkeit gehen. Jede Information des Unternehmens löst dann Rückfragen aus. Dazu sollte das Unternehmen bereits im Vorfeld Antworten auf die folgenden Fragen klären:
Wo werden die Kunden sich informieren?
Welche Kanäle können wir anbieten?
Ist der Außendienst, sind die Servicemitarbeiter, sind die eigenen Hotlines informiert und vorbereitet?
Kann ich Fragen über die Webseite beantworten?
Was muss der Handelspartner wissen? Wie kann ich ihm helfen?
Ist das Thema für Medien interessant? Um welche Medien handelt es sich genau?
Wer ist autorisiert mit Journalisten zu sprechen? Wie stelle ich sicher, dass alle im Unternehmen das wissen?
Es ist wichtig, dass es einen autorisierten Sprecher für die Medien gibt, der für die Aufgabe vorbereitet ist und bei dem die Informationen zusammenfließen. Es kann Situationen geben, wo der Chef selbst gefragt ist, aber im Regelfall sollte es der bekannte Sprecher des Unternehmens sein. Auch für andere Stakeholder wie Zulieferer, Vertriebspartner, Banken, etc., sollten Ansprechpartner benannt und im Unternehmen bekannt sein. Der Informationsfluss muss einheitlich und abgestimmt sein.
Es ist wichtig, die Informationen, die Botschaften des Unternehmens mit Blick auf die Zielgruppen zu erarbeiten und in einen Kontext zu stellen. Kunden, die das betreffende Produkt haben, wollen natürlich zuerst wissen: besteht eine Gefahr für mich und meine Familie und was muss ich tun, damit niemand zu Schaden kommt?
Sehr schnell wechselt der Fokus dann auf die wirtschaftliche Seite des Verbrauchers: Bekomme ich vollen Ersatz? Kostet mich der Rückruf etwas? Wie lange dauert es, bis ich ein neues oder vergleichbares Produkt wieder nutzen kann? Im Gegensatz zu prominenten Automarken sollte man darauf achten, dass Kunden in verschiedenen Märkten möglichst gleich behandelt werden.
Verbraucher stellen sich unter Umständen auch die Frage: Wie konnte das passieren? Ich bezahle gutes Geld und bekomme Schrott. Empörung setzt ein, Kritik wird laut, es bilden sich Interessensgruppen und Verbraucherschützer schalten sich ein. Es kann eine gefährliche Eskalation beginnen, die um so schlimmer wird, je mehr Fragen offen geblieben sind und je mehr das Unternehmen als selbstbezogen, wenig informativ und nicht verbraucherfreundlich empfunden wird.
In dieser Phase hilft es, wenn das Unternehmen weiter kommuniziert. Ursache gefunden, Maßnahmen ergriffen, Wiederholung ausgeschlossen, sind Botschaften die Kunden hören wollen. Das ist nicht immer vollständig möglich. Aber klar zu zeigen, dass man ein Hersteller sich verantwortlich um das Problem kümmert und handelt, fördert Vertrauen in Unternehmen und Marke. Diese Aufmerksamkeit sollte das Unternehmen auch nutzen, um andere, positive Themen zu kommunizieren. Ganz wichtig ist eine Beobachtung der Berichterstattung in klassischen wie sozialen Medien. Das mindeste ist einen Alert bei Google einzurichten; Am besten beauftragt die das Kommunikationsteam ein Monitoring, um sicherzustellen, dass täglich ein Überblick über die Reaktionen der Kunden, Stakeholder und der Medien besteht.
Je nach Dimension des Rückrufs und Bedeutung des Produkts für das Unternehmen kann ein bedeutender wirtschaftlicher Schaden entstehen. Auch über diesen Aspekt sollte das Unternehmen informieren. Ist der Schaden leicht beherrschbar, sollte Spekulationen vorgebeugt werden.
Ist es offensichtlich eine Größenordnung, die das Unternehmen schwer belastet, sollte es erst recht darüber sprechen. Natürlich ist nicht alles für jeden bestimmt, aber die relevanten Stakeholder müssen direkt informiert werden und zwar bevor es Gerüchte gibt. Falls das Unternehmen börsennotiert ist, gibt es besondere Verpflichtungen, um Investoren zeitnah und gleichzeitig zu informieren. Die Pflicht zu Ad-hoc-Publizität ist in der Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) EU-weit geregelt. (bw)