Erst fühlen, dann denken

Körpersprache verrät Emotionen

15.03.2016
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Anderen Lebewesen gegenüber drückt unser Körper aus, was in uns passiert und welche Gefühle wir hegen, sagt Karl Heinz A. Lorenz.
Körpersprache ist das ehrlichste Kommunikationsmittel überhaupt.
Körpersprache ist das ehrlichste Kommunikationsmittel überhaupt.
Foto: bittedankeschön - Fotolia.com

Wir geben uns viel Mühe Sprachen zu erlernen- erst zu Hause, dann in der Schule und danach in Kursen oder im Selbststudium. Englisch steht als internationale Geschäftssprache hoch im Kurs, aber auch die Sprachen der Länder, die gerade wirtschaftlich boomen, verbreiten sich rasend schnell über die Kontinente. Eine Sprache allerdings verschwindet mehr und mehr ins passive Abseits, ohne dass wir dies bewusst wahrnehmen. Dabei hat sie völlig grenzüberschreitend für alle Menschen am meisten Bedeutung: die Körpersprache. Spätestens die populäre Serie "Lie to me" hat es auf breiter Ebene deutlich gemacht: Es ist an der Zeit, dass wir die Körpersprache zurückholen in den alltäglichen Gebrauch. Was sich im Privaten bereits als spannend erweist, ist in professionellen Verhandlungssituationen mehr denn je unverzichtbar.

Schöne neue Welt

Kommuniziert wird viel und oft. Wir leben in einer Welt, in der Information und Kommunikation inzwischen eine außergewöhnlich hohe Dominanz in allen Lebensbereichen hat. Doch sind wir auch besser geworden im Verstehen dessen, was wir aufnehmen? Haben wir gelernt, uns deutlicher auszudrücken, damit unsere Botschaften wirklich ankommen? Vieles spricht dagegen. Gerade in modernen Unternehmen und Organisationen leiden Mitarbeiter und Führungskräfte unter der täglichen Informationsflut, die ein permanent überfüllter E-Mail-Eingang oder das Dauerpiepsen unserer Handys mit sich bringen.

Die Signale auf körpersprachlicher Ebene entsprechen nicht direkt unserer verbalen Sprache, die wir ja laufend benutzen. Sie ist sehr viel enger mit unseren Emotionen als mit unserem Verstand verknüpft. Samy Molcho, Pantomime und Lehrer, drückte das wunderbar aus: "Der Körper ist der Handschuh der Seele, seine Sprache das Wort des Herzens." Und unser Gefühl lügt nicht. Der Verstand mag planen, kalkulieren und bewusstes Verhalten an den Tag legen. Unser Gefühl findet jedoch im Hier und Jetzt statt, es ist akut und momentbezogen. Körpersprache ist eine unmittelbare Reaktion auf alles, was in unserer direkten Umgebung für uns wahrnehmbar passiert - vor allem in direkten Kommunikationssituationen. Sie spricht und drückt aus, was in uns passiert, welche Haltung wir zu etwas einnehmen, welche Gefühle wir zu einer Sache oder einem Gesprächspartner hegen.

Erst Kontext schafft Klarheit

Wichtig in diesem Zusammenhang: Wir fühlen, noch bevor wir denken! Daher zeigt Körpersprache oft sehr viel mehr und sehr viel deutlicher, was unser Mund verkündet. Gelegentlich sagen wir sogar das Gegenteil von dem, was wir eigentlich fühlen, denken oder anstreben. Wie nun können wir diese Signale entschlüsseln, für uns verständlich machen und nutzen? Dazu sollten wir schon einmal zwei Richtungen an Signalen unterscheiden. Es gibt Signale, die eine Art bewusste Vereinbarung sind. Beispielsweise, wenn wir mit Händen und Fingern zählen: Eins, zwei, drei.. Dann weiß unser Gesprächspartner recht genau, dass es sich hier um einen Zahlencode handelt. Von diesen Signalen gibt es viele und sie sind mit dem Kulturkreis, in dem sie angewandt werden, verbunden.

Beispiel: Während wir in Deutschland von der geschlossenen Hand einen Finger nach dem anderen ausstrecken, um hochzuzählen, findet das in Süditalien die genau umgekehrte Entsprechung: Dort wird von den ausgestreckten Fingern einer nach dem anderen geschlossen, um hochzuzählen. Für all diese bewusst vereinbarten Signale brauchen wir also den "ortsüblichen" Code, der sich aus der jeweiligen Kultur heraus ergibt. Die dem Menschen angeborenen Signale sind dagegen über Kulturgrenzen hinweg verständlich. Sie leiten sich im Wesentlichen von unseren Körperfunktionen ab bzw. von den Körperteilen, die damit verbunden sind.

Beispiele: Fassen wir uns während eines Gesprächs auf eine Äußerung des Gegenüber als direkte Reaktion hin ans Ohr, so kann das bedeuten: "Ich habe das noch nicht ganz verstanden." So, als würden wir die Funktionstüchtigkeit unseres Ohres überprüfen. Fassen wir uns dagegen bei gleicher Situation an die Nase oder kneifen sie sogar zu, so kann das bedeuten: "Das, was du mir gerade sagst, stinkt mir. Ich kneife mir die Nase zu, damit ich es nicht riechen muss."

Doch ist das immer so? Klares Jein. Körpersprache findet stets im Kontext des sonstigen Geschehens statt. Unsere Nase kann also auch gejuckt haben, weil wir gerade Schnupfen haben und ans Ohr haben wir gefasst, weil uns dort die halblangen Haare kitzelten. Haltung, Mimik und Gestik sind gekoppelt an alle anderen Vorgänge und Ereignisse während eines Kommunikationsvorgangs. Daher werden sie erst dann "sprechend", und aussagekräftig, wenn diese kombiniert wahrgenommen und interpretiert werden.

Offen oder verschlossen, wahr oder falsch?

Grundlegende körpersprachliche Elemente sind das Öffnen und das Schließen. Eine entgegengestreckte, offene Hand bietet an, verschränkte Arme dagegen wehren eher ab. Ein offener Gesichtsausdruck signalisiert: "Ich bin offen für deine Ideen und Gedanken." Zusammengekniffene Augen machen Skepsis deutlich. Die Kombination dieser Signale zeigt dem bewusst Wahrnehmenden recht deutlich an, ob sein Gegenüber die Wahrheit erzählt, mit seiner Meinung hinter dem Berg hält oder sogar lügt. Einfach zu erkennen? Nein, auf keinen Fall. Aber mit Fachwissen und gutem Training durchaus erlernbar.

Spannende Einsatzmöglichkeiten

Für Professionals in Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch für kommunikationsstarke Privatpersonen bildet die Entschlüsselung der Körpersprache ganz hervorragende Möglichkeiten, die Kommunikations- bzw. die Verhandlungskompetenz zu erweitern. Gesprächspartner können besser verstanden und die eigenen Botschaften klarer, wirkungsvoller mitgeteilt werden. Ob in politischen Begegnungen oder in Gesprächen zwischen Unternehmern und Betriebsräten, ob in Verkaufssituationen oder in Auseinandersetzungen mit Menschen, mit denen wir Wichtiges zu klären haben - wir sind als Menschen darauf angewiesen, eine gut funktionierende Kommunikation zu erreichen. Wir wollen wissen, ob unsere Gesprächspartner tatsächlich meinen, was sie sagen. Wir wollen wissen, woran wir sind und klarer fühlen, wie wir selbst zu den Dingen stehen, die erörtert werden. Eine gute Nachricht: Vor allem das Lesen und Verstehen körpersprachlicher Informationen lässt sich in recht kurzer Zeit erlernen und trainieren.

In ganz besonderen Situationen und bei wichtigen Verhandlungen werden heute immer öfter Körpersprache-Coaches hinzugezogen, zum Beispiel als Kommunikationsbegleiter in Wirtschaft und Politik. Sie übernehmen die Aufgabe, parallel zur verbalen Auseinandersetzung, mit einer Analyse der körpersprachlichen Signale der Verhandlungspartner mehr Klarheit zu erhalten: Wer spricht über Reales, wer konstruiert sich etwas zusammen, wer hat noch Zweifel, wer kann sich bereits anfreunden mit den erreichten Gesprächsergebnissen? (oe)

Weitere Informationen und Kontakt:

Der Autor Karl Heinz Lorenz ist Diplom Betriebswirt (DH), Managementtrainer, Berater, Hochschuldozent, Inhaber von Lorenz-Seminare Personality- & Competence-Training, Weidenthal, und Autor des Buches "Typisch Kunde!", erschienen im Lorenz Verlag Elmstein, www.lorenz-verlag.de Tel : 06329 989243, E-Mail: info@lorenz-seminare.de