Wahl-O-Maten-Überfluss

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07.09.2021
Von Computerwoche Redaktion
Digitalwirtschaft, Bauern, Feministen, Ökos, sogar Musikliebhaber – den Wahl-O-Mat gibt es in nahezu allen Geschmacksrichtungen. Ein Überblick.
Eine Vielzahl von Wahl-O-Maten wartet im Netz auf Ihre Klicks.
Eine Vielzahl von Wahl-O-Maten wartet im Netz auf Ihre Klicks.
Foto: Video Render - shutterstock.com

Beginnen wir mit der Mutter aller Wahl-O-Maten, dem von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) betriebenen Original. Er ist vor wenigen Tagen für die Bundestagswahl 2021 freigeschaltet worden. Seine Premiere feierte der Wahl-O-Mat schon 2002. Damals nutzten ihn 3,6 Millionen Menschen vor der Wahl, 2017 waren es schon 15 Millionen.

Wer Zeit hat, kann hier einmal die archivierten Vorgänger für Bundestags- und Landtageswahlen durchklicken, um zu erfahren, wie sich das Abfragespektrum und damit auch die politische Prioritätensetzung im Laufe der Jahre verschoben hat.

Wählen Sie Ihren Wahl-O-Mat

Natürlich gab und gibt es immer wieder Kritik am Wahl-O-Mat: Die Abfragen seien einseitig und undifferenziert, er sei leicht auszutricksen, bestimmte Parteien würden vernachlässigt und so weiter. Deshalb tummeln sich inzwischen eine Reihe von Alternativen im Netz:

  • Die Uni Münster will mit dem Wahl-Kompass eine gründlichere Analyse ermöglichen, als sie mit dem Wahl-O-mat zu erzielen ist. Das gelingt recht gut und es gibt auch noch einigen grafischen Schnickschnack.

  • FollowTheVote ist das Werk eines Berliner Startups, das vor allem junge Wähler an die Urne bringen will. Leitgedanke ist es, die Politiker nicht an Programmen, sondern an konkreten Ergebnissen zu messen. Nutzer finden im Idealfall heraus, mit welchen Politikern sie einer Meinung sind und wer seine Argumentationen auf Unwahrheiten stützt.

  • Hinter dem bereits 2001 für den TV- und Rundfunksender rbb eingeführten Wahltest steckt die Kommunikationsagentur Wegewerk, die sich auf die Unterstützung verschiedener Politikwissenschaftler stützt.

  • Der Wahlswiper funktioniert ähnlich wie Tinder. Allerdings geht es nicht um die Liebe, sondern um Zentralabitur und Nordstream 2.
    Der Wahlswiper funktioniert ähnlich wie Tinder. Allerdings geht es nicht um die Liebe, sondern um Zentralabitur und Nordstream 2.
    Foto: Wahlswiper

    Wahlswiper funktioniert wie Tinder - wer mit Nein antwortet, wischt nach links, wer "Ja" sagt, nach rechts. Zu den 36 Fragen werden Videos angeboten, die Hintergründe erklären. Außerdem ist der Wahlswiper in einer ganzen Reihe von Sprachen verfügbar. Unter allen verfügbaren Tools wirkt der Wahlswiper technisch und inhaltlich besonders ausgereift.

  • Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung ist für den auf Sozialfragen konzentrierten Sozial-O-Mat verantwortlich. Dort werden Parteienchecks zu den Themen Arbeit, Gesundheit, Familie & Kinder und Migration vorgenommen.

  • Auch die ITK-Branche betreibt eifrig Lobbyarbeit. Der ITK-Branchenverband Bitkom hat den Bitkomat gestartet und fragt beispielsweise, ob es ein Digitalministerium braucht, ob online gewählt werden sollte oder ob es ein Recht auf Home-Office geben muss.

  • Digitalcourage e.V., eine Interessenvertretung, die sich als "digitalaffin" bezeichnet, aber nicht möchte, dass die Demokratie "verdatet und verkauft" wird, ist mit dem Digital-O-Mat am Start. Wie beim Bitkom sind die Fragen interessengeleitet, nur aus einer anderen Richtung. Öffentliche Überwachung, Mitbestimmung bei KI am Arbeitsplatz, Vorratsdatenspeicherung und Einfluss der Technologiekonzerne sind dort wichtige Themen.

  • Auch die Landwirte haben ein Tool. Es heißt Agrar-O-Mat und wurde von agrarheute entwickelt. Dort fragen die Initiatoren die Zustimmung zu 24 Thesen zur Agrarpolitik ab. Landwirte können vermutlich viel damit anfangen, andere Mitbürger eher weniger. Oder könnten Sie fundiert beurteilen, ob "die Ausweisung der roten Gebiete nach den Landesdüngeverordnungen weitgehend korrekt ist und so bleiben soll"?

  • Das verhält sich schon anders beim Klimawahlcheck von der Klima-Allianz Deutschland, wo auch zum Thema Landwirtschaft abgefragt wird - aber anders. "Soll der Ausbau des Ökolandbaus bis 2030 auf mindestens 25 Prozent erhöht werden?", wollen die Initiatoren wissen. Neben der Landwirtschaft stehen Fragen zu Energie, Mobilität, Industrie, Gebäude und Klimagerechtigkeit im Mittelpunkt.

  • Wieder anders steigt Wahltraut in den Wahlkampf ein, die "Beraterin für die Bundestagswahl 2021". Im Mittelpunkt stehen Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter, außerdem Anti-Rassismus und Inklusion. Hinter Wahltraut stehen die Feministinnen von #stattblumen, die von Verbänden, Organisationen und Expertinnen für frauenpolitische Themen unterstützt werden.

  • Um die Chancen und Rechte von Jungunternehmen kümmert sich der Bundesverband Deutscher Startups e.V., der mit seinem Start-O-Mat aufwartet. "Wir haben die im Bundestag vertretenen Parteien - mit Ausnahme der AfD - gebeten, unsere Start-O-Mat-Thesen zu Themen aus dem Startup-Ökosystem zu beantworten. Jetzt bist Du an der Reihe: Vergleiche Deine Standpunkte mit den Antworten der Parteien", heißt es dort.

  • Um den Steuerzahler bemühen sich das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Zusammenarbeit mit smartsteuer. Die Partner haben den Steuer-O-Mat erfunden. Nutzer geben zu Beginn ihr Jahresbruttoeinkommen an. Wenn das üppig ausfällt, spuckt die Maschine normalerweise FDP als Wahlempfehlung aus. Kleinverdiener landen eher bei der LINKEN.

  • Kommen wir zum Thema Wohnen: Wer sich um Mietwucher und Baukosten sorgt, der klickt sich beim Wohn-O-Mat durch, hinter dem der Verband der Wohnungswirtschaft steckt. Als erstes wird der Besucher gleich mal gefragt, ob er einen Mietendeckel für richtig hält. Die Initiatoren fragen auch eher suggestiv, ob es möglich sein sollte, große Immobilienkonzerne zu enteignen.

  • Nachdem Sie nun als aufgeklärte Bürger*Innen all diese X-O-Maten ausprobiert haben, dürfen Sie nun ein bisschen abschalten. Dazu empfehlen wir den Musik-O-Mat von Deezer. Je nachdem, ob Sie Helene Fischer, AC/DC oder die Ärzte gut finden, erfahren Sie, ob Ihr Geschmack zu dem der Union, der SPD, der FDP den Grünen oder der LINKEN passt. Offenbar hatte Deezer nicht die passenden Songs im Angebot, um auch AfD-Wähler abzuholen.

  • Übrigens: Auch der Postillon hat seinen Postill-O-Mat am Start... (hv)