Mindestens eines von fünf Kindern wird Opfer sexueller Gewalt, mehr als einer von drei Befragten wurde in seiner Kindheit aufgefordert, sexuelle Handlungen im Internet auszuführen und über die Hälfte hat im Internet sexuellen Kindesmissbrauch erfahren.
Diese Zahlen gehen aus Studien hervor und stehen gleich am Anfang eines 134-seitigen Entwurfs der EU-Kommission zur Festlegung von Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. "Es ist klar, dass die EU noch immer nicht in der Lage ist, Kinder davor zu schützen, Opfer von sexuellem Missbrauch zu werden und dass das Internet dabei eine große Herausforderung darstellt", lautet eine der Begründungen der EU für die Einführung der umstrittenen Chatkontrolle. Ylva Johansson, Kommissarin für Inneres in der EU-Kommission, spricht von 85 Millionen einschlägigen Bildern und Videos, die von Internetunternehmen im Jahr 2021 gemeldet worden seien.
Messenger-Dienste sollen Kommunikation durchleuchten
Facebook, Google & Co. haben bisher in einer freiwilligen Selbsverpflichtung die Privatnachrichten ihrer Nutzer nach Missbrauchsdarstellungen durchsucht und im Verdachtsfall an das NCMEC zur Prüfung gegeben. Das Zentrum leitete bestätigte Fälle an die zuständigen Strafermittlungsbehörden weiter. Eine durchgängige klare Verpflichtung für die Plattform- und Netzwerkbetreiber gab es bislang nicht.
Um an die Verbreiter von strafrechtlich relevanten Inhalten im Netz heranzukommen, will die EU nun stärker durchgreifen. Die Plattformbetreiber sollen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und künstlicher Intelligenz die Kommunikation ihrer Mitglieder überwachen und Verdachtsfälle an eine neu geschaffene EU-Behörde melden. Als nächsten Schritt soll diese neue Behörde die gemeldeten Inhalte - sofern strafrechtlich relevant - an die entsprechenden nationalen Behörden zur weiteren Verfolgung weiterleiten.
Kritikern geht die Überwachung zu weit
Was sich auf der einen Seite nach einer sinnvollen EU-Initiative anhört, stößt bei Datenschützern und Bürgerrechtlern auf heftige Kritik. Moniert wird die "anlasslose Überwachung von Chat-Unterhaltungen". Der Bürgerrechtler und Europaabgeordnete der Piratenpartei Patrick Breyer spricht gar von "Folterwerkzeugen":
???? Warum wir der verdachtslosen#Chatkontrolle den Kampf ansagen müssen!
— Patrick Breyer #JoinMastodon (@echo_pbreyer) May 11, 2022
Infos: https://t.co/LinGtFxkYm#digitalesBriefgeheimnis#Zensursula pic.twitter.com/a59cqK4d8q
Sogar der deutsche Kinderschutzbund sieht den EU-Vorstoß kritisch. Grundsätzlich begrüßt er die Pläne, hält sie allerdings in der momentanen Lage für übertrieben. "Verschlüsselte Kommunikation spielt bei der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen kaum eine Rolle. Wir halten deshalb anlassloses Scans von verschlüsselter Kommunikation für unverhältnismäßig und nicht zielführend", sagte Joachim Türk, Mitglied des Bundesvorstandes des Kinderschutzbundes gegenüber der Nachrichtenagentur DPA. Der Großteil der Darstellungen werde über Plattformen und Foren geteilt.