Erst disruptiv, dann nachhaltig - diese Entwicklung prognostiziert Axel Oppermann, Senior Advisor bei der Experton Group, dem Modethema "Social Business". Wobei bislang immer noch nicht klar ist, unter welcher Bezeichnung es den vorhergesagten Siegeszug in den Unternehmen antreten könnte. Im Angebot sind je nach Façon des Herstellers und Analystenhauses weitere Begriffe wie, "Enterprise 2.0", "Social Enterprise" oder auch "Business 2.0". Die Organisatoren eines Presse-Roundtables im München zum Thema entschieden sich für "Social Business Collaboration" (SBC), möglichweise nicht zuletzt, weil die anwesenden Hersteller Microsoft, IBM und Novell allesamt auf eine lange Historie im Markt für Collaboration-Software zurückblicken können.
- Roundtable Social Business
Über das Vordringen von Social-Media-ähnlichen Tools in Unternehmen diskutierten (v.l.n.r.) Christoph Witte, Kommunikationsberater und Gastgeber der Runde, Axel Oppermann, Senior Advisor bei der Experton Group, Michael Kleist, Managing Director bei Novell Central Europa, Siegfried Lautenbacher, geschäftsführender Gesellschafter der Beck et al. Services GmbH, Stefan Pfeiffer, Marketing Lead Social Business Europe bei IBM Deutschland, Oliver Gronau, Leiter der Office-Sparte bei Microsoft Deutschland sowie Wolfgang Miedl vom gleichnamigen Redaktionsbüro und ebenfalls Gastgeber der Diskussionsrunde. Nicht im Bild sind zwei Anwendervertreter von Deutsche Post DHL und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München, die ihre Erfahrungen aus Social-Business-Projekte schilderten. - Daniel Pankatz, Digital Media Manager bei Deutsche Post DHL:
„Heute chattet einer unserer CIOs mit Helpdesk-Mitarbeitern in Malaysia. Das war früher undenkbar. Wir erleben einen Kulturwandel.“ - Siegfried Lautenbacher, geschäftsführender Gesellschafter der Beck et al. Services GmbH:
„Social Business macht bestehende Kulturen transparent, es zeigt auf, welche Collaboration- und Kommunikationsverhältnisse herrschen.“ - Werner Degenhardt von der Fakultät für Psychologie und Pädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München.
Die Fakultät nutzt Vibe von Novell intensiv für den Dokumentenaustausch, weil die Software „alle Informationen indiziert.“ - Michael Kleist, Managing Director bei Novell Central Europa:
„Wir beobachten die Consumerization von Informationen.“ Inhalte stünden jedem Mitarbeiter in unbegrenztem Umfang zur Verfügung - Christoph Witte, Kommunikationsberater und Gastgeber:
„Das Informieren ist nicht mehr ausschließlich eine Bringschuld des Managements ist, sondern auch ein Holschuld der Mitarbeiter.“ - Stefan Pfeiffer, Marketing Lead Social Business Europe bei IBM:
„Die Funktion Aktivitäten hat sich zur Killerapplikation von Connections entwickelt.“ - Oliver Gronau, Leiter der Office-Sparte bei Microsoft Deutschland:
„In fünf Jahren wird Social Busines in allen Unternehmen angekommen sein.“ - Axel Oppermann, Senior Advisor bei der Experton Group:
„Schon in zwei Jahren werden viele Funktionen, über die man heute noch diskutiert, so selbstverständlich angewendet, dass auch kleine Handwerkbetriebe in die Nutzung einsteigen.“
Richtig angewandt können Social-Business-Tools einen organisatorischen Wandel innerhalb von Unternehmen herbeiführen, vermutet die Experton Group, weil sie die interne Kommunikation verändern. In Teilen würden Social-Business-Dienste wie Instant Messaging, Blogs, Wikis, Infostreams und Profilseiten den Gedanken- und Informationsaustausch via Telefon und E-Mail ersetzen, und sie würden hierarchische Hürden abbauen. "Einer unserer CIOs chattet mit Helpdesk-Mitarbeitern in Malaysia", bestätigte Daniel Pankatz, Digital Media Manager bei Deutsche Post DHL. "Das war früher undenkbar. Wir erleben einen Kulturwandel."
Die Kommunikationskultur wird transparent
Allerdings gibt es auch Zweifel, ob die Softwareprogramme tatsächlich ein solches Momentum entwickeln und lang eingeschliffene Kommunikationsabläufe aufbrechen können. "Social Business macht bestehende Kulturen transparent, es zeigt auf, welche Collaboration- und Kommunikationsverhältnisse herrschen", schränkte Siegfried Lautenbacher, geschäftsführender Gesellschafter der Beck et al. Services GmbH, ein. Der Manager hat diverse Projekte begleitet und daraus die Erkenntnis gewonnen, dass "Social Business grundsätzlich für jedes Unternehmen machbar ist, sie jedoch je nach hierarchischer Ausprägung der Organisation unter verschiedenen Voraussetzungen starten müssen."
Die Deutsche Post DHL ist Anwender der "Yammer"-Plattform und wurde von den eigenen Mitarbeitern sanft ins Social-Business-Zeitalter geschubst. Niederländische IT-Kollegen haben die Software vor mehr als zwei Jahren aus eigenem Antrieb und ohne Rücksprache mit der Zentrale eingeführt, weil sie sich mit den Möglichkeiten einer Sharepoint-Installation nicht zufrieden geben wollten. "Sie haben den sozialen Layer vermisst", schilderte Pankatz die damaligen Defizite. Diese Lücke mit Sharepoint zu füllen, hätte einen enormen Projektaufwand mit sich gebracht, die Mitarbeiter nahmen lieber mit Yammer eine Abkürzung.
Das Ziel: Bessere Produktivität
In der Zwischenzeit machte sich auch die DHL-Zentrale Gedanken, wie sich die externen sozialen Netze à la Facebook für Unternehmenzwecke erschließen und die künftige interne Kommunikation gestalten ließe. Für Letzteres Anliegen wurde Yammer die unternehmensweite Plattform, weil man bereits gute Erfahrungen gesammelt hatte und sich das Produkt schnell und einfach einführen ließ. Aus der ersten kleinen Community in den Niederlanden ist mittlerweile eine DHL-interne Gemeinschaft mit 15.000 Mitgliedern geworden. Die nächsten Schritte werden eine Integration mit Sharepoint und eine Ausweitung auf externe Partner und Kunden (für Self-Services) sein. "Da ist noch viel Musik drin", freut sich Pankatz.
Ziel vieler Social-Business-Projekte ist die verbesserte Produktivität der Mitarbeiter. Zentrales Anliegen auf dem Weg dorthin ist, das im Unternehmen verankerte Wissen der Mitarbeiter transparenter zu gestalten und die interne Zusammenarbeit zu fördern. Erste Schritte dorthin führen oft über das Dokumenten-Sharing, denn hier sind die Defizite des bislang üblichen Austausches von Inhalten über den E-Mail-Anhang offensichtlich. Heute verfügbare Social-Business-Plattformen bieten Funktionen, mit denen sich Schriftstücke versionieren, kommentieren und gemeinsam bearbeiten lassen.
Oft genutzt: Dokumenten-Sharing
Die Fakultät für Psychologie und Pädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München nutzt dazu "Vibe" von Novell, weil es auf Linux basiert, durch seine quelloffene Historie viele Anknüpfungspunkte für eigene Erweiterungen bietet und weil es "alle Informationen indiziert", zählte Werner Degenhardt, Akademischer Direktor an LMU in München, die Gründe auf. Eine oft genutzte Funktion ist die der virtuellen Seminarräume. Sie werden automatisch angelegt, sobald die Planungs-Software der Uni die Seminare für das kommende Semester zusammengestellt hat. In diesen virtuellen Räumen können Dozenten und Studenten ihre Arbeiten, Lehrmaterialien und Dokumente digital austauschen. Darüber hinaus kann die Uni mit Vibe auch Workflows abbilden. "Das machen wir etwa mit dem Berufungsprozess für Professoren", berichtete Degenhardt.
Entscheidend für die Akzeptanz der Funktionen durch die Mitarbeiter ist ihre Tauglichkeit im Alltagsgeschäft. Hilfreiche Tools werden untereinander weiterempfohlen und stiften bisweilen unvorhersehbaren Nutzen. So integriert IBMs Social-Business-Plattform "Connections" beispielsweise die Funktion "Aktivitäten". Hier können Anwender Informationen für Kollegen hinterlegen, welche Aufgaben sie gerade bearbeiten oder womit sie sich beschäftigen. "Die Funktion Aktivitäten hat sich zur Killerapplikation von Connections entwickelt", schilderte Stefan Pfeiffer, Marketing Lead Social Business Europe bei IBM Deutschland, seine Beobachtung. Anwender würden das Tool oft einsetzen, um kleine Projekte wie etwa das Planen von Veranstaltungen schnell und pragmatisch im kleinen Team zu koordinieren.
Mitarbeiter müssen Informations-Management lernen
Das Beispiel zeigt, wie sich die Palette der Tools auffächert, mit denen Mitarbeiter heute Informationen austauschen können. "Wir beobachten die Consumerization von Informationen", umschrieb Michael Kleist, Managing Director bei Novell Central Europa, die Entwicklung. Neue Plattformen stellen jedem Benutzer Inhalte in unbegrenztem Umfang zur Verfügung und machen den Konsum besser verdaulich. "Der Arbeitsplatz der Zukunft umfasst auch die E-Mail, weil dort immer noch viele wichtige und strukturierte Daten vorliegen", betonte Kleist.
Die Entwicklung zum Social Business muss mit einem Lernprozess der Anwender einhergehen. Er muss darauf achten, die relevanten Inhaltsströme zu beobachten, die richtigen virtuellen Treffpunkte aufzusuchen, mit den für ihn wichtigen Personen Kontakt zu halten und unbedeutende Informationen zu ignorieren. Im Unternehmenskontext bedeutet das etwa, dass "das Informieren nicht mehr ausschließlich eine Bringschuld des Managements ist, sondern auch ein Holschuld der Mitarbeiter", fasste Christoph Witte, Kommunikationsberater und Gastgeber der Diskussionsrunde, zusammen.
Social Business ist mehr als ECM
Über die Möglichkeiten des klassischen Enterprise Content Managements (ECM) geht das Social Business dabei hinaus, weil es ausgefeiltere Such- und Analysefunktionen bietet und Zusammenhänge zwischen den Inhalten darstellen möchte. Das ist in vieler Hinsicht noch Zukunftsmusik, steht aber wohl auf der Agenda der Hersteller. IBM möchte dazu etwa die künstliche Intelligenz ihres "Watsons"-Projekt ausschöpfen.
Microsoft setzt auf die Kombination herkömmlicher Applikationen mit Social-Business-Elementen. Alle Produkte sollen nach und nach um entsprechende Features erweitert werden, kündigte Oliver Gronau, Leiter der Office-Sparte bei Microsoft Deutschland, an. "In fünf Jahren wird Social Busines in allen Unternehmen angekommen sein", zeigte er sich zuversichtlich. Noch optimistischer schätzt Experton-Analyst Oppermann die Entwicklung ein: Schon in zwei Jahre würden viele Funktionen, über die man heute noch diskutiere, so selbstverständlich angewendet, dass "auch kleinen Handwerkbetriebe in die Nutzung einsteigen."