IT-Freiberufler haben derzeit Hochkonjunktur, vor allem diejenigen mit begehrten Skills. Inzwischen sind 50 Prozent der IT-Fachleute in den Einsatzunternehmen Externe, aufgeteilt in die Bereiche Arbeitnehmerüberlassung, selbständige IT-Fachkräfte und Outsourcing-Dienstleister. Kein Wunder, dass sich gegenwärtig nur 0,8 Prozent der Freelancer "eindeutig" für eine Festanstellung entscheiden würden, wenn sie erneut vor der Wahl stünden.
Dies hängt sicher auch mit der Entwicklung des durchschnittlichen Stundensatzes zusammen, der 2018 mit dem Höchstwert von durchschnittlich 93,80 Euro pro Stunde erwartet wird - über fünf Euro mehr als noch im Vorjahr. Diese und weitere Fakten sind Ergebnisse der jährlichen IT-Freiberuflerstudie der COMPUTERWOCHE.
zur Studie IT-Freiberufler 2018
"Der Externe ist der Erste, der geht"
Die Kompensation und deren regelmäßiger Zuwachs sind aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der Schattenseite finden sich eine Handvoll Herausforderungen, die das berufliche und private Umfeld der Freelancer belasten. Neben Klassikern wie den gesetzlichen Vorgaben (Platz 1) und der schwierigen Planbarkeit von Anschlussprojekten gab es auch eine Vielzahl freier Antworten in der Studie.
So sei es beispielsweise schwierig, Kunden beizubringen, "dass man nicht immer 100 Prozent onsite sein muss", sowie das Problem, vernünftige Software im kleinen Maßstab für digitale Prozesse zu finden. Hier geht es etwa um Anwendungen in den Segmenten CRM oder Seminarplanung. Hinzu kommt die Unsicherheit durch "kurze Kündigungsfristen und erratisches Kundenverhalten: Der Externe ist der Erste, der geht".
- Herausforderungen für IT-Personaldienstleister
In der Runde der COMPUTERWOCHE diskutierten Sonja Pierer von Experis Deutschland, Attilio Berni von Harvey Nash, Kai Becker von Hays und Michael Girke von Q_PERIOR. Im Fokus standen die Veränderungen der Branche im Licht des Fachkräftemangels. - Sonja Pierer, Geschäftsführerin von Experis Deutschland
Es muss der Branche gelingen, die richtigen Lösungen für den Kunden zu finden – und zwar proaktiv. Der Kunde hat in der Regel einen Dreijahresplan, er kennt seine Projekte. Warum holt er einen Personaldienstleister nicht schon früher in die Ressourcenplanungen mit rein? Da müssen wir mit dem Kunden hinkommen, das ist meine Herausforderung. Bei einigen Unternehmen komme ich sehr weit, aber auf breiter Front und auch in der Eigenschaft als Personaldienstleister sind wir noch nicht da, wo wir hinsollten. - Attilio Berni, Director IT & Engineering Projects bei Harvey Nash
Die unterschiedliche Geschwindigkeit der Marktteilnehmer ist eine Herausforderung. Die Kunden fordern sofort einen Kandidaten an, und wir schicken passende Profile. Wenn dann der Kunde zwei Wochen im Urlaub ist oder sich nicht entscheiden kann, ist der Freelancer in der Regel schon woanders. Kunden arbeiten in traditionellen Zyklen, Freelancer sind agil. Personaldienstleister brauchen eine sehr enge Beziehung, um ihre Kunden davon zu überzeugen, schneller zu werden. Eine Lösung sind klare, definierte Prozesse mit Auftraggebern und Freiberuflern. Das kann die Hit-Ratio steigern, aber leider nicht auf 100 Prozent. - Kai Becker, Bereichsleiter Public Services IT-Contracting bei Hays
Das Spannungsverhältnis aus knappen Kandidaten und dem Lieferversprechen ist eine große Herausforderung der Branche. Egal, mit welchen Kanälen man arbeitet und wie man die Ressourcen plant – die Knappheit löst sich nicht auf. Gleichzeitig haben wir ein Lieferversprechen gegenüber unseren Kunden, speziell was die Qualität der Kandidaten und die Preise angeht. Die aktuelle Situation stellt Dienstleister gerade im operativen Management vor viele Herausforderungen. Und ich glaube nicht, dass Ausbildungsmaßnahmen allein das Problem lösen werden. - Michael Girke, Partner für Staffing Solutions bei Q_PERIOR
Wir haben keinen klassischen Vertrieb, bei uns brauchen vor allem unsere eigenen Berater gute und gewissenhafte Unterstützung für ihre Projekte. Die Verfügbarkeit guter Experten ist ein Problem – und die Zuverlässigkeit auch! Freiberufler haben heute häufig viele Eisen im Feuer. Eindeutige Commitments werden seltener, und gefühlte Zusagen werden auch schon mal zurückgenommen. Das Phänomen weitet sich immer mehr aus – ein Spiegel unserer Gesellschaft und der zunehmenden Beliebigkeit. - Statement von Stefan Symanek, Leiter Marketing bei GULP
“Da sich der Markt sich mittlerweile zu einem Kandidatenmarkt gewandelt hat, legen wir viel Wert darauf, die Bindung im Rahmen unserer Strategie ‘tech and touch’ zu unseren Freelancern zu stärken. Wir digitalisieren dort, wo es sinnvoll ist, um so mehr Zeit für den persönlichen Kontakt zu den Freelancern zu haben. Die Möglichkeit zur digitalen Signatur, ausgefeiltere Matching-Technologie oder das elektronische Gutschriftverfahren sind nur ein paar Beispiele dafür.”
Immer update zu sein ist stressig
Darüber hinaus wird die Arbeitsbelastung des Freien als Mädchen für Alles kritisiert, angefangen von der Weiterbildung über Vertrieb, Produktion und Technik sowie Familie. Schließlich müssten sich Freiberufler neben der eigentlichen Aufgabe in allen Bereichen stets auf einem aktuellen Stand halten. Dadurch sei die Arbeit "sehr stressig, und es geht nur langsam voran". Hinzu kommt, dass es schwierig sei, Teilzeit-Jobs als Freelancer zu bekommen (und sich persönlich auch an diese Work-Life-Balance zu halten). Und hat man etwas gut gemacht, "wird man darauf festgelegt und soll es immer wieder machen". Nicht nur hier zeigt sich eine Parallele zur Festanstellung.
Trotz der hervorragenden Marktsituation befürchten 45 Prozent der befragten IT-Freelancer zumindest in gewissem Maße mittelfristig eine Konkurrenz aus Niedriglohnländern - angesichts der Tagessatzentwicklung in den vergangenen Jahren kein Wunder. In ihren freien Antworten warnen sie vor "unfairen, aggressiven Methoden zur Verdrängung, zum Teil über Gegengeschäfte" sowie vor "schlechterer Dienstleistungsqualität".
Im Fokus steht klar der Stundensatz, gefolgt von der Auftragslage: "Schlechte Arbeitsqualität wird zu einem Standard, an den sich die Stundensätze anpassen - ich kann dann meine Qualität nicht mehr halten." Als Treiber der Entwicklung gilt neben dem Fachkräftemangel und dem Kostendruck die Annahme, dass Scheinselbständigkeit und zunehmende Bürokratie "den Einkauf von Dienstleistungen aus dem Ausland für Unternehmen attraktiv" machen. Eine Folge: "Es gibt immer mehr Kollegen aus den östlichen europäischen Ländern im Projekt."
Die Studie der COMPUTERWOCHE basiert auf einer Online-Befragung mit insgesamt 567 qualifizierten Interviews, davon 331 mit Vertretern von Einsatzunternehmen und 236 mit IT-Freelancern. Grundgesamtheit sind zum einen die IT-Freiberufler selbst, zum anderen IT-Projektverantwortliche und IT/TK-Entscheider aus Einsatzunternehmen der DACH-Region, beispielsweise CIOs und IT-Vorstände, IT-Leiter, IT-Projektleiter, Fachbereichsleiter, Einkäufer sowie vergleichbare Funktionen. |
Zeitarbeit ist für die Wenigsten eine Alternative
Grundsätzlich können sich relativ viele Freiberufler vorstellen, aus Gründen der Existenzsicherung oder vor dem Hintergrund rechtlicher Unwägbarkeiten eine Festanstellung anzustreben - jedoch sind nur wenige Freelancer bereit, in die Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit/Leiharbeit) zu wechseln. Ihre Zahl summiert sich gerade mal auf 13,3 Prozent.
Am häufigsten gefordert wird ein flexibles Umfeld, "wenn die HR-Abteilung mit neuen Arbeitsbedingungen kommt und nicht 20 bis 30 Jahre alte Vorstellungen hat", so das Statement eines Freelancers. Ein weiterer Freiberufler wünschte sich "sehr, sehr gute Bezahlung, umfangreicher Entscheidungsspielraum und variable Arbeitszeit sowie Homeoffice". Gern gesehen sind auch interessante Projekte und ein spannendes Umfeld sowie die Möglichkeit, Hunde mitzubringen ("ein Büro in Ruhe alleine").
Trotz der vielen Herausforderungen haben sich Freiberufler überwiegend mit ihrer Situation arrangiert, so die Ergebnisse der COMPUTERWOCHE-Studie. Gerade einmal jeder Achte tendiert zu einer Festanstellung, wenn es heute nochmal von vorne losgehen würde, während 62,7 Prozent angeben, dass sie eindeutig wieder als Selbständiger arbeiten würden. Allerdings gibt es auch Lerneffekte aus den bisherigen Jahren: Viele Freelancer würden bei einem Neustart ein "umfangreicheres Netzwerk aufbauen", sich "mehr und besser vernetzen", "Kontakte knüpfen" sowie "auf Kooperationen setzen". Andere wollen ihr Know-how-Angebot erweitern, um so Abhängigkeiten zu vermeiden.
Vorsätze der Freiberufler: Bessere Planung und private Vorsorge
Ein weiter wichtiger Punkt war die Vorbereitung des Sprungs in die Freiheit: "Ich habe viel Zeit verloren, um mich mit der Situation und den Gegebenheiten einer Selbständigkeit auseinanderzusetzen", so einer der Befragten. Bessere Planung und private Vorsorge - speziell im Bereich der Altersvorsorge - sowie mehr Trainings zu unterstützenden Aufgaben wie Buchhaltung wurden ebenfalls genannt.
Einige Freelancer würden aber auch "schneller Mitarbeiter aufnehmen" und "Personal einstellen", um zu wachsen. Hier schwingt immer auch der Versuch mit, die Problematik der Scheinselbständigkeit mit einer eigenen Firma ad acta zu legen. Und natürlich äußerten viele Befragte den Wunsch, "früher selbständig" zu werden, manchmal schon "während des Studiums".
Ein guter, aber schwierig umzusetzender Vorsatz war: "sich weniger aufregen." Andere würden "von Anfang an höhere Tagessätze nehmen" oder "den eigenen Wert besser einschätzen und selbstbewusster auftreten". Zusammengefasst: "Keine Angst vor Veränderung, viel früher die Entscheidung treffen und nicht auf das Geschwätz von öffentlichen Stellen hören, welche Arbeitskräfte zur Zeit gesucht werden." Die häufigste Antwort auf die Frage, was sie heute beim Schritt in die Freiberuflichkeit anders machen würden, zeigt, dass derzeit viele Freelancer derzeit oben auf der Erfolgswelle surfen: "nichts".