In den Bezirksverwaltungen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi haben sich die Anfragen nach Hilfe bei geplanten Betriebsratsgründungen gegenüber dem vergangenen Jahr vervierfacht. Ein aktuelles Beispiel gibt die Belegschaft der Willicher ADA-HAS IT-Management AG. Angesichts des Abbaus von bislang gewährten zusätzlichen Leistungen sowie einer knausrigen Reisekostenabrechnung hat die Belegschaft vor kurzem informelle Strukturen eines Mitarbeitervertretungsteams (MIT) durch gewählte Betriebsräte abgelöst.
Im Fall ADA-HAS sieht die Gewerkschaft eine aktuelle Variante der Leistungskürzung. „Kosten werden abgebaut – mit fatalen Folgen für den ,Deal‘ zwischen Belegschaften und Unternehmensleitungen“, so Michael Jaekel, Berufsfachgruppenleiter IT und Datenverarbeitung bei Verdi. Viele Belegschaften seien bereit, lange Arbeitszeiten zu akzeptieren, wenn sie dafür ein hohes Maß an Freiheiten und gute Sozialleistungen eingeräumt bekämen. Jaekel: „Wenn diese ,stillschweigende Übereinkunft‘ von den Unternehmensleitungen einseitig aufgelöst wird, ist die Bereitschaft der Beschäftigten, sich über das normale Maß hinaus zu engagieren, auch nicht mehr gegeben.“
In solchen und ähnlichen Situationen oder wenn Entlassungen ins Haus stünden, helfe Verdi oder die IG-Metall den Belegschaften der IT-Unternehmen gern dabei, ordentliche Betriebsräte zu wählen. Gegenüber informellen Mitarbeitervertretungsteams hätten Betriebsräte aufgrund der Kraft des Betriebsverfassungsgesetzes weitergehende Rechte und Möglichkeiten; sie könnten bei Kündigungen Widerspruch einlegen oder sich direkt in das Krisen-Management eines Unternehmens einschalten. Jaekel schränkt jedoch ein: „Wir unterstützen die Gründung von Betriebsräten nur, wenn die Initiative dafür von den Beschäftigten selbst ausgeht.“
„Unsere Mitarbeiter haben bei Problemen verschiedene Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen“, erläutert SAP-Unternehmenssprecher Markus Berner. In Walldorf und anderswo werden die Anliegen der Beschäftigten oftmals noch ohne gewählte Betriebsräte eingebracht. Dennoch möchte sich SAP nicht für oder gegen gewählte Betriebsräte in der IT-Industrie aussprechen. Berner: „Wir betrachten unsere eigene historische Entwicklung und wollen uns nicht von der einen oder anderen Seite vereinnahmen lassen.“
Gewerkschaftsvertreter im SAP-Aufsichtsrat
In Walldorf sind sechs Arbeitnehmervertreter in den paritätisch besetzten Aufsichtsrat bestellt: Ein Mitglied vertritt die Arbeiter des Unternehmens, eine Stimme ist für leitende Angestellte vorbehalten; zwei Sitze gibt es für die Gruppe „Keine Arbeiter, keine Führungskräfte“, und last, but not least sind zwei Sitze Gewerkschaftsvertretern vorbehalten. Berner: „Bei der jüngsten Wahl hat sich dabei die Christliche Gewerkschaft Metall gegenüber anderen Listen durchgesetzt.“
Dass der Aufsichtsrat nicht in jedem Fall das geeignete Gremium sei, um individuelle Probleme in der Abteilung vorzutragen, räumt auch der Firmensprecher ein. Ein Anliegen beispielsweise im Bereich „Financial-Development“ müsse auch an dieser Stelle angesprochen werden. Bei Handlungsbedarf könnten sich die Mitarbeiter daher direkt an die Führungskräfte oder den Vorstand wenden und würden auch angehört. Auf direkten Wunsch des Vorstandes wurde 1996 im Zuge des Börsenganges der PSI AG der erste Betriebsrat für die Berliner Softwareschmiede gewählt. „Ein wohl einmaliges Beispiel in der bundesdeutschen IT-Landschaft“, vermutet die Vorsitzende des Konzernbetriebsrates Barbara Simon.
Mitarbeiter als Anteilseigner
Auf direkten Wunsch des Vorstandes Bis dato wurde ein an das Betriebsverfassungsgesetz angelehntes Mitbestimmungsmodell praktiziert, das darüber hinaus einige Besonderheiten zu bieten hatte, die dem Vorstand für ein börsennotiertes Unternehmen nicht mehr zeitgemäß erschienen: Zum einen konnte keine Kündigung ohne Zustimmung des Mitarbeiterbeirats erfolgen. Zum andern mussten Funktionsträger im Management wie Geschäftsbereichsleiter und Bereichsleiter mit einfacher Mehrheit des Gremiums bestätigt werden. Simon: „Da ist der eine oder die andere schon einmal durchgerasselt.“
Um das hauseigene ERP-System Psipenta vermarkten zu können, habe man damals neues Kapital benötigt. „Die Mittel dafür konnten nicht mehr ausschließlich aus Mitarbeiterkreisen aufgebracht werden“, erzählt Simon. Hintergrund: Bis zum Börsengang gehörte das Unternehmen zu 100 Prozent den PSI-Mitarbeitern. Heute ist die Aktienmenge so festgelegt, dass ein Drittel in den Händen der Beschäftigten liegt. Die erste Amtshandlung des neu gewählten Betriebrates der PSI AG sei denn auch folgerichtig die Ausgründung der PSIpenta Software Systems GmbH als Tochtergesellschaft gewesen. Nach den Wahlen dort wurde umgehend auch ein Konzernbetriebsrat ins Leben gerufen.
Ein Hauptthema der aktuellen Betriebsratsarbeit sei immer wieder die Frage, wie mit den langen Arbeitszeiten umgegangen werde. Bei vielen jüngeren Kollegen müsse erst ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass eine anhaltend hohe Belastung bei den „wahnsinnig interessanten Projekten“ äußerst familien-feindlich und auf Dauer nur schwer zu ertragen sei, so Simon. Bei PSI gelten für die einzelnen Konzerneinheiten unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, die zwischen einer 35- und 40-Stunden-Woche liegen. Überstunden werden dementsprechend ausbezahlt oder durch Freizeit abgegolten.
Betriebsvereinbarungen bei Fusion retten
„Wenn sich alle Beteiligten an die getroffenen Absprachen halten, können runde Tische und Mitarbeitervertretungen in kleineren Betrieben funktionieren“, so die Konzernbetriebsratsvorsitzende. Eine Gefahr für solche Modelle bestünde immer dann, wenn ein Unternehmen wachse oder wenn es in wirtschaftliche Schwierigkeiten komme.
Beim Verkauf der Unternehmensgruppe Debis-Systemhaus und der Bildung des heutigen Joint Ventures zwischen Daimler-Chrysler und der Deutschen Telekom konnten die Betriebsräte „in Echtzeit“ unter Beweis stellen, wofür sie seinerzeit von der Belegschaft gewählt worden waren. Dank der Arbeit des Konzernbetriebsrats konnten alle wesentlichen vertraglichen Leistungen und Konzernvereinbarungen vom alten Debis-Systemhaus in das Joint Venture unter dem Dach von T-Systems hinübergerettet werden. „Wir waren mit die Ersten, die von den Verkaufsplänen überhaupt Wind bekommen haben“, so der Konzernbetriebsratsvorsitzende Herbert Schiller. Auch in den folgenden Verhandlungen seien die Arbeitnehmervertreter oftmals die „einzig stabile Bank“ gewesen. „Neun von zehn früheren Debis-Geschäftsführern waren zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden“, so Schiller.
Einen Betriebsrat gab es beim Debis-Systemhaus von Beginn an. Das Unternehmen sei schließlich einmal als ausgelagerter IT-Bereich eines Unternehmens der Old Economy gestartet, weiß Schiller zu berichten. Schiller: „Mit Ausnahme der Diebold GmbH haben heute alle Konzerneinheiten einen Betriebsrat.“ Auch bei T-Systems habe bereits zwei bis drei Monate nach Bekanntwerden der Fusion der erste Konzernbetriebsrat seine Arbeit aufgenommen.
Von Gewerkschaftsseite waren beim „alten“ Debis-Systemhaus sowohl die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) und – aus der Tradition des Automobilkonzerns kommend – die IG Metall präsent. Die Deutsche Telekom hatte mit der Deutschen Postgewerkschaft faktisch ihre Hausgewerkschaft. Seit dem Frühjahr dieses Jahres sind die DAG und die Deutsche Postgewerkschaft in Verdi aufgegangen. Aber längst nicht jedes Betriebsratsmitglied ist gleichzeitig auch in einer Gewerkschaft.
Sozialer Frieden in Krisenzeiten
Schiller: „Auch in den Konzernbetriebsräten sind viele Kollegen nicht organisiert.“ Er empfiehlt allen Belegschaften der IT-Branche, nach Möglichkeit einen Betriebsrat zu wählen. Alternative Formen der Mitbestimmung sieht der Konzernbetriebsratsvorsitzende als Schönwettervertretungen an, die nur so lange funktionierten, wie es keine ernsthaften Probleme gebe. Auch Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräte zu senden habe lediglich dann Sinn, wenn die Vertreter in die betrieblichen Prozesse eingebunden seien.
Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) sieht die Dinge interessenbedingt von anderer Warte aus: „Wir halten die kulturell gewachsene Zusammenarbeit in der Branche für vollkommen ausreichend“, betont Stephan Pfisterer, Referent für Bildung und Personal, gegenüber der COMPUTERWOCHE. Bei einzelnen Betriebsratsgründungen breche für den Verband und seine Mitgliedsfirmen die Welt nicht zusammen. „Auch wir sehen den Beitrag der Betriebsräte zum sozialen Frieden in Krisensituationen“, so Pfisterer.
Äußerst skeptisch sei man dagegen bei einem Alleinvertretungsanspruch der DGB-Gewerkschaften als Arbeitnehmervertreter und einer möglichen Fremdsteuerung durch Personen, die nicht aus dem betreffenden Unternehmen beziehungsweise der Branche kommen. Dies werde bei der Diskussion um Arbeitszeitregelung und -planung deutlich. Die Projektorientierung in der IT-Branche lasse eine traditionelle Arbeitszeitregelung kaum zu. Welche Rolle die Gewerkschaften in der ITK-Branche künftig spielen werden, müsse sich erst noch zeigen. „Es wäre gegen unsere Prognosen, wenn sie sich stark positionieren könnten“, betont der Bitkom-Referent.
Bislang hätten Unternehmen und Gewerkschaften einzelne Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Zu berücksichtigen sei dabei, dass die ITK-Industrie eine völlig andere Beschäftigungsstruktur habe als die klassische Industrie. Die Gewerkschaften wären vor allem in Unternehmen präsent, die aus dem Metall- und Elektrobereich kommen und in die IT-Welt immigrierten. Pfisterer: „Klassische IT-Unternehmen haben heute nur einen verschwindend kleinen Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern.“
In Zusammenarbeit mit der IG-Metall und der Unterstützung durch Verdi betreibt Bitkom ein Kompetenzzentrum für die Förderung der IT-Berufsausbildung, das sich in den vergangenen fünf Jahren sehr positiv entwickelt habe. Die Definition und Einführung neuer Berufsbilder ließe sich nur von beiden Seiten gemeinsam umsetzen. Die gute Zusammenarbeit in einem Teilbereich sei jedoch noch keine Rundumpartnerschaft. „Beim Thema Betriebsverfassungsgesetz und bei Entlohnungsfragen werden wir sicherlich nicht mit den Gewerkschaften an einem Strang ziehen“, ist Pfisterer überzeugt.
Harald Lutz ist freier Journalist in Frankfurt am Main.