KI am Wendepunkt

Ist Künstliche Intelligenz Fluch oder Segen?

16.05.2017
Von 


Kalyan Kumar leitet die Globale Produkt und Technologie-Organisation für HCL Technologies ITO-Division. Außerdem bestimmt er in seiner Position als CTO für ITO & Digital Business Produkt- und Technologiestrategien.
Forscher und Technologie-Experten haben in Verbindung mit KI vielfach die Entwicklung intuitiv denkender Maschinen vorausgesagt. Durch die explosionsartige Entwicklung von Innovationen, die ansteigende Datenflut und durch schnelle Analysemöglichkeiten scheinen sich die Voraussagen nun tatsächlich zu bewahrheiten. Doch welche Folgen erwarten uns - ist KI ein Fluch oder ein Segen?

Eine häufige Frage lautet, ob nun zunehmend Maschinen die Arbeitsplätze von Menschen übernehmen. Derzeit setzen die Hersteller von KI-Lösungen auf Szenarien wie automatische Haushaltshilfen, Industrieroboter für unattraktive Arbeitsorte oder intelligente vernetzte Systeme für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Die Zukunftsvisionen reichen von Robotern, die den Menschen Wünsche von ihren Augen ablesen, bis hin zu einem Vier-Stunden-Arbeitstag, da der Rest von Maschinen erledigt wird.

Doch die Realität könnte auch ganz anders aussehen. Diverse Studien warnen davor, dass der zunehmende Einsatz von KI und intelligenten Robotern am Arbeitsplatz zu massenhaften Entlassungen von Menschen und hohen Arbeitslosenzahlen führt. Verstärkt werden könnte dies durch eine zunehmende Verlagerung der Produktion in Länder mit weniger strengen Umweltschutzauflagen oder anderen Regelungen. Ohne Notwendigkeit von Fachkräften und angesichts der globalisierten Logistik ist es schließlich völlig egal, wo die Maschinen stehen. Dies wiederum führt zum Ausfall von Steuern für bisher starke Wirtschaftsnationen wie Deutschland und damit möglicherweise zu Armut und höheren Kriminalitätsraten.

Folgen für Unternehmen

Die Wahrheit wird - wie so häufig - irgendwo dazwischenliegen. Die Menschen werden weder im großen Stil verwahrlosen, noch werden sie nur noch vor dem Fernseher sitzen oder sich ihren Hobbies widmen können. Die Nutzung von KI-basierten Systemen führt mit Sicherheit zu höherer Produktivität, wie jede Automatisierung. Und gemäß den Erfahrungen mit bisherigen Industrialisierungswellen werden die menschlichen Arbeitsplätze dadurch nicht ersetzt, sondern verändert.

Unternehmen müssen daher die Arbeitsabläufe, Stellenbeschreibungen, Managementprozesse und Performance-Ziele neu definieren und aktualisieren, wenn sie KI-Technologien einführen. Die Aufgaben für menschliche Mitarbeiter werden anspruchsvoller und kreativer. Zudem erleichtern KI-Lösungen das Problem des Fachkräftemangels, indem sie Routinetätigkeiten und Nebenaufgaben erledigen, während die Menschen mehr Zeit für strategische Entscheidungen und Kernaufgaben erhalten.

Dabei wird diese Entwicklung zu neuartigen Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen führen. Denn KI-basierte Systeme dienen nicht mehr als stiller Erfüllungsgehilfe, der nur vorgegebene Aufgaben strikt ausführt, sondern auch als Berater und mitdenkender Kollege. Sie geben Empfehlungen, stellen Rückfragen, bessern offensichtliche Fehler automatisch aus und warnen sogar vor möglichen Manipulationen oder anderen Gefahren. So können die Menschen noch gezielter und effizienter ihre Aufgaben erfüllen sowie höhere Ziele erreichen. Sie kümmern sich nur noch um besondere oder ungewöhnliche Fälle und konzentrieren sich auf schwierige Aufgaben. Da sich KI-Systeme von herkömmlichen IT-Lösungen aber deutlich unterscheiden, erfordern sie umfassendere Analysen ihrer Auswirkungen auf die gesamte Organisation eines Unternehmens. Denn sie heben die Firma tatsächlich auf eine neue Entwicklungsstufe.

Die richtige Einführung

In der Praxis passen jedoch viele Unternehmen KI-Lösungen bisher nur an ihre bestehenden internen und externen Prozesse an. Dies führt meist zu erheblichen Problemen. Denn hochspezialisierte oder innovative KI-Anwendungen, wie die Automatisierung von Reihenuntersuchungen für klinische Studien oder die Finanz- und Rechtsberatung, sind eher Forschungsprojekte. Sie entwickeln sich deutlich schneller als Integrationsprojekte in großangelegten Systemen. Diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten erzeugen in der Regel einen hohen Management-Aufwand sowie erhebliche Reibungsverluste.

Für die effiziente Einführung und den reibungslosen Betrieb von KI-Systemen stellt aber gerade der Fachkräftemangel ein großes Problem dar. Der Bedarf an Wissen in einigen KI-Technologien wie maschinelles Lernen, Bilderkennung und -analyse, Spracherkennung oder Verarbeitung natürlicher Sprache ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dabei verändert sich die Landschaft der Anbieter kognitiver Technologien ständig, wodurch es noch schwieriger wird, mit der Entwicklung schrittzuhalten. Unternehmen dürfen daher nicht nur nach neuen Talenten Ausschau halten oder externe Experten einbinden, sondern müssen auch ihre eigenen Mitarbeiter dabei unterstützen, KI-basierte Systeme entwickeln, aufbauen und betreiben zu können. Nur dann ist es möglich, den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen und auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.