Handlungsempfehlungen für das Überleben in der Multi-Sourcing Welt

Integrate or perish

12.12.2013
Von  und
Dörte Bräunche ist Selbständige Unternehmensberaterin.
Dr. Bernd Wolter, Managing Consultant Detecon International GmbH.
Nachdem wir in Teil eins unserer Ausführungen dargelegt haben, warum und wie Unternehmen eine individuelle Multi-Sourcing-Strategie entwickeln sollten, geht es im zweiten darum zu zeigen, wie der Sourcing-Mix von der internen IT orchestriert und gesteuert werden kann.

Dazu reicht das Zusammenstellen von Services im Sinne eines Warenkorbs nicht aus. Vielmehr geht es darum, Services flexibel zusammenzustellen und zu integrieren. Neben dem Servicedesign übernimmt die interne IT die Rolle des Impulsgebers, der neue Geschäftsmodelle durch IT-Innovationen ermöglicht.

Bewährungsprobe für die interne IT

Die Anforderungen an interne IT-Abteilungen waren in den letzten Jahren, sogar Jahrzehnten, ausgesprochen vielfältig. Oft genug waren sie dem Druck des Business ausgesetzt und mussten sich neu positionieren. In den meisten Fällen stellten sich die IT-Abteilungen als Steuerungs- und Demand-Organisation mit wachsendem Business-Know-how auf. Gleichzeitig schufen sie Strukturen für ein geeignetes Sourcing.

Damit wurde die Entwicklung und Transformation der IT in Richtung „Business Excellence & IT“ in vielen Fällen erreicht. An den Schnittstellen zum Business wurden professionelle Demand-Organisationen etabliert, die Service-Erbringung im Sinne von „Supply“ wurden internen und/oder externen IT-Dienstleistern übertragen. Damit konnten die Aktivitäten in Richtung Business wesentlich stärker akzentuiert werden. Nach und nach trat die originäre Service-Erbringung gegenüber der notwendigen Service-Steuerung in den Hintergrund.

Foto: sergey nivens, Fotolia.de

Doch heute steht die Service-Erbringung vor einer nächsten Bewährungsprobe. Eine neue Outsourcing-Generation und der Katalysator Cloud Computing haben dazu geführt, dass es bei einer reinen Steuerung nicht belassen werden kann. Die interne IT ist gefordert, die Services nicht nur weiter zu standardisieren, sondern vor allem die wachsende Vielfalt an internen und externen Serviceleistungen sinnvoll zu kombinieren und zu Serviceketten zu verbinden.

Die Integrationsfähigkeit ermöglicht IT-Abteilungen eine flexible Nutzung von Serviceangeboten im Rahmen des Multi-Sourcing und berücksichtigt dabei ebenso Markt- als auch technische Entwicklungen. So entstehen neue Sourcing-Modelle, die Kriterien wie Art, Anbietervielfalt, Vertrag, Kosten, Flexibilität und Kombinationsmöglichkeiten in den Vordergrund stellen.

Wollen Unternehmen von dieser Entwicklung profitieren, sollten sie zunächst verstehen, wie das eigene Business aufgestellt ist und welche Zielsetzungen sie an strategisches Sourcing knüpfen. Nicht nur Business- und IT-Strategie sind aufeinander abzustimmen, ebenso muss die interne IT ihre Rolle unter den Aspekten Demand/Supply als „Retained IT“ überdenken und gestalten.

Meist ist das Zusammenspiel von IT-Governance als übergeordnete Steuerung, Demand-Management im Rahmen der Business Transformation und klassischem Provider-Management noch nicht optimal. Auch ergeben sich bei einer flexiblen Nutzung vielfältiger Services und deren Integration Fragen, die beim Einbinden externer Sourcing-Partner und dem Gestalten der zugehörigen Transitionen beantwortet werden müssen. Das gilt erst recht für den Fall, das etwa bei einem Providerwechseln ein kurzfristiger Ausstieg („Exiting“) anfällt.

Wie viel eigene IT soll es noch sein?

Bislang wurden über Business-IT-Alignment und Business Enabling die Bestrebungen zur Ausrichtung der IT wesentlich von den Gedanken getragen, dass IT das Business unterstützt und letztlich den Geschäftsmodellen sowie seinen Produkten zum Erfolg verhilft. In Zeiten einer verstärkten digitalen Transformation wird aber die IT zum Bestandteil der Produkte und des Business. Somit verwischen zunehmend die Grenzen zwischen Business und IT. Die Frage nach der richtigen Ausprägung und Aufstellung der internen IT wird wichtiger.

Grundstruktur

Ausschlaggebend für die Ausgestaltung einer Retained IT wird sein, dass im weiterhin bestehenden Dreiklang von Governance, Demand und Supply die Steuerung der Service-Erbringung eine zusätzliche Integrationsfunktion erhält. Die Retained IT muss in die Lage versetzt werden, Services bei sich immer schneller verändernden Geschäftsmodellen flexibel zusammenzusetzen und zu integrieren. Möglich wird das durch unterschiedliche Sourcing-Formen und eine Vielzahl von Anbietern. Somit ergeben sich drei Kernbereiche in der Beschreibung von Minimalanforderungen zur Ausgestaltung einer adäquaten internen IT: IT Governance, Business Transformation und Sourcing Management.

Foto: Bräunche/Detecon

Governance

Schwerpunkte der IT-Governance im Rahmen eines Multi-Sourcing sind insbesondere das Portfolio-Management, die Aktivitäten des Vendor-Managements sowie Risk- und Security-Management. Diese übergeordneten Steuerungsinstanzen gilt es mit einem spezifischen Fokus auf Service-Steuerung und -Integration auszugestalten.

Im Rahmen des Sourcing über externe Partner wird aus der trauten Zweisamkeit von interner IT und Business eine "Ménage à trois". Nun sind bestimmte Planungsprozesse erforderlich, in die die Provider in Abhängigkeit der zu erbringenden Services und der gewünschten Sourcing-Art einzubinden sind.

Je mehr es gelingt, die Services zu standardisieren, desto weniger fallen typische Probleme wie die projektmäßig umzusetzenden und nicht standardisierbaren Individualanforderungen des Business, eingeschränkte Ressourcen und Verfügbarkeiten auf Provider-Seite oder starre Vergütungsmodelle ins Gewicht. Das sind die Themen, die oft zur Desillusionierung auf der Bedarfsseite führen, so dass manchmal die gesamte Sourcing-Strategie in Frage gestellt wird. Deshalb ist es wichtig, die diesbezüglichen Erwartungen im Business frühzeitig zu steuern.

Multi-Sourcing erhöht unweigerlich die Komplexität in der Steuerung. Deshalb ist der Aufbau eines professionellen Vendor-Managements innerhalb der Governance notwendig. Hauptaufgabe ist es, die in Frage kommenden Lieferanten anhand bestimmter Kriterien einzugrenzen und zu überprüfen, ob sie als strategische Partner in Frage kommen. Die hierbei zu erstellende „White List“ der potenziellen Service-Erbringer sollte unter strategischen und taktischen Aspekten auf der Grundlage gewünschter Sourcing-Arten und -Formen erfolgen. Neben den Procurement-Aktivitäten muss das Beziehungs- beziehungsweise Partner-Management eine besondere Rolle spielen.

Schon bei der Partnerwahl sind die Anforderungen aus Risk- & Security-Management zu berücksichtigen. Die vertraglichen Ausgestaltungen bezüglich verkürzbarer Laufzeiten und möglicher Ausstiegsszenarien finden hier ihren Ursprung. Geht es darum verschiedene Services flexibel zu integrieren, sind diese Faktoren von größter Bedeutung. Entsprechend sollte das Zusammenspiel der hoheitlichen Governance-Funktion mit dem eher operativ agierenden Supply-Management innerhalb der Retained IT konkret ausgestaltet werden.

Business Transformation

Damit die interne IT flexibel und kurzfristig auf sich verändernde Geschäftsmodelle des Business reagieren kann, muss sie auch in Multi-Sourcing-Umgebungen selbst neue Technologien erproben und nutzen. In den Outsourcing-Verträgen der Vergangenheit wurde dies gerne auf den Provider übertragen und intern vernachlässigt. Gleichzeitig wurden die eigenen Ressourcen abgebaut, ein Brain Drain war die Folge. Das wirkt sich nachteilig aus, etwa wenn im Rahmen von Innovationsprojekten Serviceketten neu zusammengesetzt oder neue Anbieter mit ihren Services integriert werden sollen. Notwendig ist demnach ein aktives und eigenständiges Innovationsmanagement, das die Sourcing-Partner kollaborativ einbindet.

Servicesteuerung inklusive der in Multisourcing-Umgebungen notwendigen Serviceintegration setzt die bereits mehrfach angemahnte Standardisierung und Modularisierung von Services voraus. Folgen wir den Entwicklungen des subjektorientierten Business Process Management (S-BPM), so wird schnell deutlich, dass auch hier die benötigten Funktionen standardisiert und modularisiert sein müssen, um die Vorteile der erzeugten Workflows zu generieren. Das verlangt im Rahmen der Sourcing-Strategie eine definierte, eingegrenzte und unter Berücksichtigung der Unternehmensarchitektur angemessene Austauschbarkeit und Kombinationsmöglichkeit von Services.

Die Standardisierungsaufgaben betreffen IT und Business gleichermaßen. Verfügen die internen IT-Mitarbeiter über genügend Business-Know-how, können sie Geschäfts- und IT-Prozesse integrieren und Business-Anforderungen in IT-Services gestalten. Das klassische Demand-Management entwickelt sich in Richtung Business Transformation, das Service-Design spielt darin eine Schlüsselrolle. Zu den wichtigsten Aufgaben gehören das Erstellen und Pflegen des Service-Katalogs und das Configuration-Management.

Letzteres muss die Grundlage sein, um Veränderungen von Services und Serviceketten erfassen und verwalten zu können sowie über etwaige Auswirkungen zu informieren. Diesen Anspruch erfüllt das Configuration-Management, so wie es heute in den meisten Unternehmen ausgerichtet ist, eher nicht. Bei Sourcing-Vorhaben führte diese Tatsache häufig zu Zeitverlust, erhöhtem Ressourceneinsatz und erhebliche Kosten, was die Vorbereitung und Transition angeht. Im Rahmen von Multi-Sourcing und flexibler Nutzung von Services und deren Integration ist es somit ein K.o.-Kriterium.

Sourcing-Management

Das Sourcing-Management geht über das klassische Provider-Management hinaus. Klassisch sind Aufgaben wie das bedarfsgerechte und transparente Beauftragen und Abrechnen von Services. Jetzt muss die Service-Erbringung zudem qualitätsorientiert gesteuert und vor allem via Monitoring kontrolliert werden. In bestimmten Sourcing-Formen, insbesondere dem Cloud Computing, wird das allerdings kaum möglich sein.

Künftig werden sich zudem die qualitativen und quantitativen Leistungskriterien stärker an den Anforderungen des Business orientieren. Dann wird das Sourcing-Management nicht mehr in gewohnter Weise die Service-Level-Vereinbarungen unmittelbar auf die Leistungs-Erbringer im Rahmen von Multi-Sourcing-Verträgen übertragen können. Neben der operativen Steuerung der verteilten Service-Erbringung inklusive dessen, was die interne IT beiträgt, wird nun ein Sourcing-Design nötig. Es sorgt dafür, dass die Services zusammenspielen und dauerhafte Handlungsfähigkeit gesichert ist.

Während Business Transformation entsprechendes Business-Wissen voraussetzt, geht es beim Sourcing-Management darum, IT-Know-how und IT-Servicekompetenz zu bündeln und dabei die Architektur und die Anforderungen aus dem Business im Auge zu behalten. Werden hier zu viele Ressourcen abgebaut, wie im Outsourcing oftmals geschehen, geht die eigene Handlungsfähigkeit zurück und es entstehen Abhängigkeiten, die zum kostspieligen Einbinden weiterer externer Ressourcen führen.
Ebenso wichtig ist es, den Wechsel von Services verschiedener Anbieter einfach zu gestalten, also den Transitionsvorgang weitgehend zu standardisieren.

Solchen kostenintensiven und projektmäßigen Übergängen muss von Beginn an durch kurze Laufzeiten und die richtigen Exit-Vereinbarungen in den Verträgen begegnet werden. Gleichzeitig ist das mit einem Übergang verbundene Transfervolumen (Personal & Assets) gering zu halten. Das bedeutet allerdings auch, sich von den aus der Vergangenheit mit Sourcing verbundenen ausschließlichen Kostenoptimierungszielen zu verabschieden.

Handlungsempfehlungen

Unternehmen, die von der Multi-Sourcing-Welt der IT profitieren wollen, sollten eine eigene Sourcing-Strategie festlegen, darauf ein Service- und Sourcing-Design aufbauen und schließlich die interne IT entsprechend ausrichten. Organisation, Governance und Kompetenz der Retained IT müssen so angepasst werden, dass sie die steigende Anzahl an Providern managen, die Prozesse effizient gestalten (Transition, Exit) und Geschäftsnutzen durch lösungsorientiertes Sourcing erzielen kann (Transformation).

Dazu ist die Zusammenarbeit zwischen Retained IT und Service-Provider neu zu definieren. Das eher reaktive beziehungsweise Controlling-orientierte Handeln im Sinne der kontinuierlichen Überprüfung, ob Verträge eingehalten werden, weicht einer sorgfältig gestalteten partnerschaftlichen Zusammenarbeit, in der Gestaltung und proaktive Steuerung möglich sind. Voraussetzung ist eine Vertrauensbasis mit entsprechenden Vertragsmodellen und Anreizsystemen auf allen Seiten.

Unternehmen sollten im Vorfeld die Kenntnisse der Geschäftsprozesse innerhalb ihrer IT vertiefen und das Vendor-Management in enger Zusammenarbeit mit dem Einkauf ausbauen. Sinnvoll ist es, das Projekt-Portfolio-Management um ein Service Portfolio Management zu erweitern und das Innovations-Management ernst zu nehmen, also zu institutionalisieren. (hv)