Systems Engineering ist ein methodischer Ansatz, der einst vor allem für den Bau von Großanlagen oder Flugzeugen konzipiert wurde. Mittels Methoden wie Systems Modeling Language (SysML) teilt man dabei die Anforderungen vom Use Case kommend kaskadenartig in Funktionsgruppen auf, bis man auf der Systemebene angekommen ist. Die Komplexität technischer Großprojekte soll dadurch beherrschbar werden.
Richtig durchgesetzt hat sich Systems Engineering allerdings zumindest im Mittelstand nie. Die in die Produktentwicklung involvierten Abteilungen (Mechanik, Elektrik, Elektronik, Software) koordinieren sich in der Regel weniger über den systematischen Top-down-Ansatz des Systems Engineering denn ad-hoc per E-Mail, Meetings und Protokoll. Und so lange Produkte einen hohen Mechanikanteil aufweisen und die Produktzyklen lang sind, fährt man damit auch leidlich gut.
Produktentwicklung wandelt sich
Im Angesicht der Digitalisierung wandelt sich jedoch die Produktentwicklung. Der Anteil von Software/Elektronik erhöht sich und verschiebt die Value Proposition (Differenzierung oder auch Nutzen-/Wertversprechen) des Produkts. Nicht über das "Wie", sondern über das "Was" müssen Produkte heute entwickelt werden. Sie müssen mit anderen Worten beim Geschäftsmodell ansetzen.
Genau hier kommt das Systems Engineering, jetzt in anderer Erscheinungsform, wieder ins Spiel - als "Digitales Wirkungsmanagement". Dieses geht vom übergeordneten Geschäftsmodell aus und bricht die Zusammenarbeit zwischen den Gewerken hinunter bis auf Ebene der Technik. So verändert sich Systems Engineering zu einer Methode, die Kollaboration und Führungin den Mittelpunkt stellt. Die Abteilungen arbeiten beim digitalen Wirkungsmanagement gemeinsam und koordiniert an einem übergeordneten Ziel, dem Geschäftsmodell und der darin enthaltenen Ziel Value Proposition - also dem letztendlichen Werteversprechen. Sie bilden ein "Digital Impact Team" oder auch "Team Digitale Wirkung".
Sechs Teilschritte
Das digitale Wirkungsmanagement lässt sich in sechs Teilschritte aufgliedern:
1. Die technologischen Möglichkeiten verstehen
Um die technologischen Möglichkeiten bezogen auf den eigenen Markt vollständig zu verstehen, bedarf es des beharrlichen Nachhakens. Nur so dringt man zum Kern der Sache vor und kann die Ursache einer Wirkung eindeutig identifizieren. Dafür bieten sich Verfahren wie die 5-W-Methode des japanischen Erfinders Toyoda Sakichi an (heute ein Teil des 6-Sigma-Managementkonzepts für Prozessverbesserung und Qualitätsmanagement). Das Digital Impact Team kann sie in seinen Diskussionen anwenden, um herauszufinden, welche konkreten Chancen eine Technologie eröffnet, welche Beispiele es bereits gibt, was die Wettbewerber tun usw.
2. Value Proposition Brainstorming
Der zweite Schritt, das Value Proposition Brainstorming, beschäftigt sich damit, den Blickwinkel aus Sicht des Kunden für neue Möglichkeiten im betreffenden Markt zu öffnen. Dieses Brainstorming bezieht sich stets auf ein bestimmtes Marktsegment und findet auf Basis einer entsprechenden Definition der betrachteten Zielgruppe statt. Das Team imaginiert sich also ein Kundensegment und denkt über potenzielle Value-Proposition-Profile nach.
Lesetipp: Value Proposition Design - So finden Entwickler innovative Lösungen für ein Anwenderproblem
3. Entwurf des Geschäftsmodells
Auf dem Brainstorming baut der Entwurf des Geschäftsmodells auf, und zwar in Form einer "Gesamtkomposition". Die einzelnen Teile des Produkts müssen so miteinander agieren, dass eine für den Kunden neue oder bessere Wirkung entsteht - woraus sich für das eigene Unternehmen eine Differenzierung im Wettbewerb ergibt und daraus wiederum neues Geschäft.
4. Definieren von Anwendungsfällen
Im vierten Schritt definiert das Digital Impact Team auf Basis der neuen Value Proposition und des entworfenen Geschäftsmodells mögliche Anwendungsfälle, um zu einem bestmöglichen System-Funktionsmodell zu gelangen.
5. Entwurf eines Abhängigkeitsmodells
Ist das System-Funktionsmodell soweit beschrieben, nimmt das Digital Impact Team die Abhängigkeiten zwischen Mechanik, Elektrik, Elektronik und Softwareentwicklung unter die Lupe, die im Zuge des Produktentwicklungsprozesses auftreten. Systeme für Product Lifecycle Management (PLM) können dafür ein probates technisches Hilfsmittel sein. In ihnen lassen sich Stücklisten und Artikel aus den verschiedenen Entwicklungsbereichen in einem einheitlichen "Product Data Backbone" verwalten und Zusammenhänge zwischen Modulen, Bauteilen und Abteilunen verknüpfend erfassen.
- Die Bedeutung von IoT für das eigene Unternehmen
- IoT in der Praxis
- Erfolgsquote von IoT-Projekten
- Einsatzszenarien für IoT
- Einsatzszenarien für IoT in der Produktion
- IoT Business Cases in der näheren Zukunft
- Herausforderung Security bei IoT
- Erforderliche Technik für IoT
- Erforderliche Technik für IoT
- Investitionsbereitschaft für IoT
- IoT-Einführung in der Produktion
- Wesentliche Funktionen einer IoT-Plattform
- In welchen IoT-Bereichen Ressourcen fehlen
6. Das passende Betriebs- und IoT-Management
Im sechsten und letzten Schritt des Digitalen Wirkungsmanagements schließlich sollte sich das Team Gedanken machen über ein Betriebs- und IoT-Management, das dem neuen Geschäftsmodells gerecht wird.
Welche Rolle spielt der Kundenservice darin?
Müssen neue Service Level Agreements festgelegt werden?
Werden dabei Partner eingebunden? etc.
Die Methode des Digitalen Wirkungsmanagement folgt nicht dem Wasserfallmodell. Vielmehr treibt man die - voneinander abhängigen - Schritte iterativ in mehreren Durchläufen voran und nimmt sich dabei das Canvas-Business-Modell zum Vorbild. Die sechs Teilschritte korrelieren daher miteinander: Tauchen in einem Schritt neue Erkenntnisse auf, werden die anderen automatisch angepasst - ganz im Gegensatz zum eher starren und theoretischen Vorgehen beim klassischen Systems Engineering.
Schlüsselziel: die Wirkung
Die Durchführung jedes der Schritte orientiert sich stets an einem Schlüsselziel: der Wirkung des künftigen Produktes beim Kunden. Wie gestaltet sich ein Tag des Kunden mit dem Produkt, wie ohne? Mit Systems Engineering im neuen Gewand des digitalen Wirkungsmanagements können Unternehmen die neuen technologischen Möglichkeiten besser verstehen und sie so zum eigenen Vorteil einsetzen. Wie die Methode des Digitalen Wirkungsmanagements im Einzelnen funktioniert, wird auch in meinem Buch "Digitalisierung auf mittelständisch" beschrieben.