IoT und Prozesse

Informatikern fehlt Ingenieur-Know-how

24.04.2019
Von 
Michael Sudahl lebt in Stuttgart und arbeitet in Schorndorf. Der gelernte Banker und Journalist beschäftigt sich seit 20 Jahren mit den Themen Personal, Karriere und IT. Daneben berät er Firmen in internen und externen Kommunikationsfragen, erstellt Kundenmagazine, schreibt Fachartikel und moderiert Prozesse rund um die Felder Unternehmensstrategie, öffentliche Wahrnehmung und Unternehmenskultur. Darüber hinaus hat er eine mehrjährige Ausbildung zum Körpertherapeuten (Cranio) abgeschlossen und ist inzwischen ebenfalls als Coach und Trainer tätig. 
Die Industrie benötigt in Zeiten des Internets der Dinge mehr Informatiker, die auch die Produktionsabläufe verstehen. Allerdings: Wenn es um Zuverlässigkeit und Datensicherheit geht, braucht es die Top-Spezialisten.

"Härten braucht in erster Linie Erfahrung", sagt Alexander Ulferts. Der Leiter Prozessentwicklung und -technologie bei Inductoheat beobachtet, dass vermehrt Laien oder Quereinsteiger an Induktionsanlagen arbeiten. Die Folge: Moderne Härtemaschinen sollen intelligenter werden und ihre Benutzer automatisch unterstützen. "Die Anlagen werden immer mehr zu Computern", so der studierte Elektroingenieur.

Die Industrie brauche mehr technische Informatiker, die mit Abläufen in der Industrie vertraut sind.
Die Industrie brauche mehr technische Informatiker, die mit Abläufen in der Industrie vertraut sind.
Foto: Artem Samokhvalov - shutterstock.com

Ulferts arbeitet seit neun Jahren bei Inductoheat. Der Markt- und Technologieführer aus Reichenbach/Fils in Württemberg gehört seit 1986 zur weltweit tätigen Inductotherm Group, einem inhabergeführten US-Unternehmen, das Maschinen und Anlagen zur induktiven Erwärmung in lokalen Niederlassungen fertigt. Zuvor war der gebürtige Ostfriese fünf Jahre lang an der Universität Hannover als wissenschaftlicher Mitarbeiter für elektrothermischer Prozesse tätig.

2010 erfolgte dann der Wechsel in die Industrie. "Irgendwie war es Zufall", sagt Ulferts. Ein Fachartikel lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Unternehmen. Management, Entwicklung und Troubleshooting gehören zu seinem Alltag. "Ich stehe auch gerne mal im blauen Kittel vor der Anlage", lacht der Ingenieur, der die Hands-on-Mentalität im Mittelstand genießt. Als Schwerpunkt entwickelt er die Anlagen laufend weiter, damit sie auf dem neusten Stand der Technik bleiben.

Interdisziplinäre Teams entwickeln digitale Systeme

Um neue, digitale Systeme abzuleiten, arbeiten bei Inductoheat interdisziplinäre Teams zusammen. Die Kollegen sitzen in den USA, Indien und China. Gemeinsam erörtern die Experten Lösungsansätze. Ziel ist eine flexible und systemoffene Plattform der Prozesskontrolle, die ein Daten- und Energiemanagement bietet und universell einsetzbar ist. "Wartungsmanagement und Energieoptimierung sind bereits digitalisiert", erklärt der 43-Jährige. Mit dem Ergebnis, dass der Betrieb mit einem neuen Tool des Industrieserviceanbieter Riempp aus Oberboihingen die Kosten um ein Drittel gegenüber herkömmlichen Verfahren im Härteofen reduzieren konnte.

Alexander Ulferts, Inductoheat: "Smarte Anlagen sollen den Nutzer aktiv unterstützen."
Alexander Ulferts, Inductoheat: "Smarte Anlagen sollen den Nutzer aktiv unterstützen."
Foto: Alexander Ulferts

Dieses Werkzeug steuert und dokumentiert sämtliche Parameter des Härtungsprozesses individuell. Emsyst von Riempp wiederum vernetzt als Energiemanagementsystem Anlagen und Gebäude. "Wir bauen auf dieser Technologie unser System auf", so Ulferts. Das verbessert die Qualität, beschleunigt den Prozess, spart Material und bis zu einem Fünftel der Energie. Nebenbei kann eine abweichende Pumpleistung einen Defekt frühzeitig erkennen. Als Nächstes will Ulferts Induktionsanlagen entwickeln, die ihren Nutzer aktiv unterstützen.

Mit dem Internet der Dinge steigt der Programmieraufwand

"In Schmiedeanlagen funktioniert das Modell bereits", sagt Ulferts. Mit den Dimensionen und Eigenschaften berechnet das System im Hintergrund automatisch passende Parameter. Im induktiven Härten sei die Rechnerleistung noch unzulänglich. Je nach Komplexität dauert eine Simulation mehrere Stunden, manchmal sogar bis zu zwei Tagen. "In der Praxis wären maximal 30 Minuten akzeptabel", verdeutlicht der Fachmann.

Hinzu kommt: Ingenieure müssten sich stärker spezialisieren, um in ihren Branchen effektiv zu sein, gleichzeitig vernetzten sich die Technologien. "Ich kann auch C, Java und Python, aber ein Programm von Grund auf entwickeln, ist etwas anderes", so der Wahlschwabe, der sich abends und am Wochenende selbstständig in digitale Themen einliest. Im Tagesgeschäft sei dafür keine Zeit. Ulferts schließt Wissenslücken mit digitalen Lernplattformen, die klassische Fachliteratur ergänzen. Und trotzdem reicht es nicht. Denn mit dem Internet of Things (IoT) steige der Programmieraufwand.

Datenbanken und zuverlässige Systeme erfordern professionelles Programmieren: "Wenn es um Datensicherheit oder Zuverlässigkeit geht, sind keine Fehler erlaubt." Doch vielen Informatikern fehle das Verständnis für Prozesse oder Fachwissen wie Elektrotechnik. Die Industrie brauche mehr technische Informatiker, die mit Abläufen in der Industrie vertraut sind. Angehenden Informatikern rät Ulferts,"während des Studiums so viele Praktika oder Ferienjobs in der Industrie zu machen wie möglich". Er habe jede Gelegenheit genutzt, Praxisluft zu schnuppern, um sich an die interdisziplinäre Arbeit zu gewöhnen.