Was früher die Zettel im Setzkasten waren, übernimmt mittlerweile ein kleiner schwarzer Tablet-Computer. Um den aktuellen Produktionsplan zu erfahren, müssen Mitarbeiter des baden-württembergischen Antriebsspezialisten Wittenstein damit nur noch ihre Maschinen fotografieren. Denn auf denen prangt ein sogenannter QR-Code, der alle nötigen Informationen auf den Bildschirm des Mini-Computers sendet. Die Werkstatt steht damit für etwas, das zurzeit in aller Munde ist: Industrie 4.0, die vierte industrielle Revolution.
"Es kommt dadurch zu weniger Fehlern", sagt Mitarbeiter Marco Kayser. Bei den von Hand in Setzkästen gesteckten Aufträgen sei die Gefahr größer, dass etwas durcheinandergerate. Kayser ist Teil eines Projektteams für sogenannte cyber-physische Systeme. Was nach Science Fiction klingt, bedeutet vereinfacht gesagt, dass Maschinen über das Internet miteinander kommunizieren. Hinter dem Begriff Industrie 4.0 verbirgt sich eine digitalisierte Produktion.
Das Potenzial für deutsche Firmen ist groß: Allein im Maschinen- und Anlagenbau wird dadurch bis 2025 ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 23 Milliarden Euro erwartet. Das geht aus einer Studie (PDF-Link) des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) hervor.
Die Werkstatt der Wittenstein-Tochter Bastian in Fellbach bei Stuttgart ist Teil eines Forschungsprojekts, das von der Bundesregierung gefördert wird.
Neben dem digitalen Produktionsplan steigert Wittenstein dadurch die Effizienz: So können Mitarbeiter Fehlermeldungen etwa mit dem Tablet-Computer dokumentieren und einsenden. Hinzu kommt, dass Material durch digitale Planung immer genau zu den Maschinen der Werkstatt gefahren wird, wo wirklich Nachschub nötig ist. Der zuständige Kollege muss so nur noch halb so oft fahren wie bisher.
Die neuen Möglichkeiten haben allerdings auch Schattenseiten: "Die Auswirkungen auf die Beschäftigten werden massiv sein", sagt Baden-Württembergs IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger. "Vor allem für An- und Ungelernte erwarten wir weniger Arbeitsplätze. Deshalb ist es eine große Herausforderung, die Menschen für die neue Produktionswelt zu qualifizieren."
- Industrie 4.0 - wenn Daten und Sicherheit fehlen
Zunehmend komplexe Verbünde aus IT-Systemen und Maschinen kommen ohne Application-Management-Teams nicht aus. Diese müssen ihr Wissen ständig erweitern. - Fit-Gap-Analyse zum Know-how-Bedarf:
Welches Wissen ist wann und wo erforderlich? Was können wir bereits abdecken und was noch nicht? - Entwurf eines Curriculums und Aufbau eines Fortbildungsprogramms:
Inwieweit können die vorhandenen Mitarbeiter die bestehenden Lücken durch Fortbildung schließen? - Definition des Recruiting-Bedarfs und Roadmap für entsprechende Maßnahmen:
Für welche Themen müssen wir neue Mitarbeiter einstellen? In welchen Studiengängen finden wir sie, und wie sprechen wir sie an? - Etablierung von Kooperations- und Collaboration-Verfahren zwischen AM-Team und Fachbereichen:
Beispielsweise Instandhaltungsexperten, die sich mit den IT-Systemen vertraut machen: Wer aus den Fachbereichen unterstützt bei Bedarf auf welche Weise das zentrale Application-Management? - Aufbau von "agilen" AM-Teams in den einzelnen Fachbereichen - beispielsweise Instandhaltungsexperten, die sich mit den IT-Systemen vertraut machen:
Wer in den Fachbereichen kommt infrage? Welches Wissen sollte er sich aneignen
Auch der IAO-Chef Wilhelm Bauer schlägt in diese Kerbe: "Es gehen sicherlich auch einfachere Arbeitsplätze verloren, wie in der Produktion beim Bedienen von Anlagen und Maschinen", erwartet er. Zudem spiele das Thema Datensicherheit eine große Rolle.
Neben möglicher Industriespionage gehört dazu auch das Thema Überwachung. Denn eine Firma könnte die Datenflut zumindest theoretisch nutzen, um zu erheben, wie viele Aufträge ein Mitarbeiter in welcher Zeit erledigt hat.
Kayser betont jedoch, dass das bei Wittenstein keineswegs geplant sei. "Nur der Nutzen der Geräte kann die Mitarbeiter im Endeffekt überzeugen." Dazu seien fortlaufende Schulungen nötig. "Im Fokus steht nicht die Technik. Sie ist nur Mittel zum Zweck, um dem Menschen zu helfen."
Der Antriebsspezialist ist mit der Umstellung auf Industrie 4.0 nur eines von zahlreichen Unternehmen, die durch vernetzte Maschinen effizienter produzieren wollen. Große Konzerne wie der Technikriese Bosch oder der Autobauer Daimler sind hier ebenfalls engagiert. Der Handelskonzern Würth testet derzeit einen Behälter ("iBin"), der mit einer eingebauten Kamera über das Internet selbstständig Schrauben nachbestellt, wenn nötig.
"Industrie 4.0 bietet viele Chancen für die deutsche Industrie", erklärte Bosch-Chef Volkmar Denner jüngst. Dazu zähle etwa die Möglichkeit, Produktion an Standorten mit vergleichsweise hohen Kosten zu halten. "Denn wir erwarten eine erhebliche Produktivitätssteigerung durch Industrie 4.0." Dafür seien aber nicht nur Maschinen, sondern auch gut ausgebildete Menschen nötig.
Dass künftig Roboter die gesamte Arbeit erledigen, ist ohnehin unwahrscheinlich: "Komplexe Systeme funktionieren niemals rein automatisiert", betont IG-Metall-Chef Zitzelsberger. "Man wird immer Fachkräfte brauchen, die diese Anlagen überwachen." (dpa/tc)