Tatsächlich handelt es sich bei Industrie 4.0 eher um eine Evolution, geht es doch um die schrittweise Weiterentwicklung von Industrie 3.0. Diese hat sich in den vergangenen Jahrzehnten durch den Einsatz von Elektronik und IT zur Automatisierung der Fertigung flächendeckend etabliert. Industrie 4.0 geht noch einen Schritt weiter: Sie hat als Ziele die Informatisierung der Fertigungstechnik durch Cyber-physical-Systems und die selbstorganisierende Fabrik, in der Produkte alle relevanten Daten selbst speichern und sich ihren Weg durch den Produktionsprozess suchen.
Zwar wurde das Thema sogar auf dem nationalen IT-Gipfel in Hamburg diskutiert, dennoch herrscht in Deutschland laut einer aktuellen Umfrage der DZ Bank noch Skepsis: "Obwohl 77 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland erkennen, dass sich durch die Digitalisierung die wirtschaftlichen Abläufe hinsichtlich Geschwindigkeit, Möglichkeiten und Reichweiten grundlegend ändern werden, ist für 49 Prozent das Thema Digitalisierung nach Angaben der DZ Bank derzeit nicht relevant."
"Deutsche Gründlichkeit" steht im Weg
Als großes Hindernis für die Digitalisierung der industriellen Fertigung werden oft speziell die mangelnde Sicherheit und der drohende Verlust der Daten genannt. Dabei liegt gerade in den Daten das größte Potenzial, das es mit Industrie 4.0 zu erschließen gilt. Um daraus Profit zu erlangen, ist ein schnelles Handeln erforderlich, denn die deutsche Industrie droht den Anschluss zu verpassen. Während amerikanische und asiatische Firmen bereits mit der Umsetzung auf Basis bestehender Konzepte beginnen oder eigene Standards setzen, wird mit deutscher Gründlichkeit in Arbeitskreisen noch immer über Normen, Standards und Gesetze diskutiert. Es gilt für die Industrie, - alleine oder mit Partnern - neue Konzepte für die Smart Factory und für Smart Services zu entwickeln, die über das reine Produzieren und Verkaufen von Produkten hinausgehen.
Speziell in der schnellen Verarbeitung der Daten liegt großes Potenzial für eine innovative und effiziente Produktion und Positionierung im Wettbewerb. Hat es vor einigen Jahren noch genügt, den Auftrag eines Kunden innerhalb einiger Tage zu bestätigen und die Fertigung zu beginnen, so hat sich diese Zeitspanne auf wenige Stunden bis maximal einen Tag verkürzt. Noch kritischer ist eine schnelle Reaktion bei der Steuerung von Produktionsprozessen. Denn hier ist es mitunter notwendig, innerhalb von Millisekunden auf unzählige Messdaten aus Sensoren zu reagieren, um nicht eine Produktion großer Mengen Ausschuss zu riskieren.
- Was Anlagenbauer und -betreiber unterscheidet
Die Betreiber von Industrie-4.0-Anlagen (Produktion) legen Wert auf Effizienz und Kosten. Die Hersteller der Maschinen, Geräte und Anlagen (Engineering) wollen vornehmlich die entstehende Komplexität im Griff behalten. - Industrie 4.0 - ein unbekanntes Konzept
Die meisten Fach- und Führungskräfte aus dem verarbeitenden Gewerbe kennen laut IDC-Erhebung nicht einmal den Begriff "Industrie 4.0". Die Analysten sind sich indes sicher, dass das Gros der leitenden Angestellten, die sich mit Fragen der Unternehmensstrategie beschäftigen, sich sehr wohl mit dem Konzept auseinandersetzt. - Wie bedeutend ist Industrie 4.0?
Diejenige, die sich bereits eine Meinung zum Thema gebildet haben, erwarten, dass Industrie 4.0 entweder Teilbereiche oder komplette Wertschöpfungsketten in der Fertigung verändern wird. - Stand der Installationen
Viele Installationen in den Fertigungsstraßen sind bereits mit dem Internet verknüpft. Eine Öffnung der Produktionssysteme hat laut IDC bereits begonnen. Aus der Erhebung geht jedoch nicht hervor, was genau vernetzt wird. - Sorge um Datenschutz und Sicherheit
Die Vernetzung macht die Industrieanlagen anfälliger für Diebstahl geistigen Eigentums und für Eingriffe in die Abläufe. Das gilt naturgemäß insbesondere für mit der Außenwelt vernetzte Anlagen. - Die Industrie 4.0 kommt bald
Die meisten rechnen binnen zwei bis zehn Jahren mit der vollumfänglichen Einführung von vernetzten und intelligenten Fertigungssystemen. Das ist, so meinen die Marktforscher von IDC, sehr optimistisch. - Was die Industrie 4.0 bremst
Der Optimismus der Anwender ist auch deshalb erstaunlich, weil sie zugleich viele ungelöste Fragen haben, die unter anderem die Sicherheit und die Finanzierung betreffen. - Geld für Industrie 4.0
Den meisten Befragten stehen Gelder für Investitionen zur Verfügung. Über die Höhe des Budgets macht die Erhebung keine Angaben. - Wo Anwender einkaufen
Die Betreiber von Anlagen beziehen Produkte und Dienste für intelligente Fertigungsinstallationen vor allem von Anlagen- und IT-Hersteller. Die Maschinenbauer wenden sich vor allem an Sensorikanbieter.
Wettbewerbsvorteile durch Datenanalyse
Um diese neuen Anforderungen zu erfüllen, ist die IT gefragt. Sie muss in der Lage sein, Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen, Datenströme zu analysieren und zu speichern sowie komplexe Datenströme und Zusammenhänge zu visualisieren. Zudem ist es Aufgabe der IT, auf Basis dieser Datenanalysen sofortige und präventive Maßnahmen zu veranlassen. Schon heute gibt es kommerziell verfügbare Anwendungen, die diese Fähigkeiten bereitstellen:
Der Manufacturing Service Bus (als industriespezifische Umsetzung des bekannten Enterprise Service Bus) für die Integration von Daten in komplexen, heterogenen IT-Umgebungen. Der Bus verbindet die ERP- und MES-Systeme mit den Fertigungsmaschinen sowie Produkten und legt so die Basis für die digitale Produktion.
Die Streaming-Analytics-Plattform für die konstante Überwachung und Echtzeitanalyse von Datenströmen. Diese Plattform versetzt das Unternehmen in die Lage, innerhalb kürzester Zeit auf komplexe Zusammenhänge, bezogen auf die gerade angefallenen Daten, zu reagieren.
Diese beiden Konzepte bauen aufeinander auf und verringern die Zeit deutlich, die zwischen dem Auftreten eines geschäftsrelevanten Events und der Einleitung der entsprechenden Maßnahme vergeht. Dadurch haben Industrieunternehmen die Möglichkeit, schneller und flexibler auf Kundenwünsche zu reagieren, die Produktion bei Störungen schneller anzupassen und Maschinen beziehungsweise Produkte auch nach der Auslieferung zu überwachen. So lassen sich deren Lebensdauer und Betriebskosten optimieren. Solche innovativen Services machen den Mehrwert von Industrie 4.0 aus und sichern damit die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.
Der Schlüssel für die erfolgreiche Digitalisierung der Industrie liegt in der Fähigkeit, flexibel auf immer dynamischer werdende Märkte und Prozesse zu reagieren sowie den "Rohstoff" Daten zu nutzen. Um diese Chance schnell zu nutzen, sollte die Industrie auf vorhandene Technologien, Ressourcen und Fähigkeiten zurückzugreifen. (bw)