Software ohne Hürden

In 4 Schritten zu einer barrierefreien IT

30.01.2017
Von 
André Meixner ist Leiter User Centered Test bei T-Systems Multimedia Solutions. Die Hauptaufgabe seines Bereichs ist der Test von Anwendungen auf Usability und Barrierefreiheit sowie die Beratung in diesen Themengebieten.
Die technische Entwicklung birgt für motorisch und sensorisch eingeschränkte Nutzer sowie ältere Menschen Chancen und Hürden zugleich. Barrierefreie Technologien sollen ihnen den leichteren Zugang in den digitalen Raum ermöglichen.

In vielen Lebensbereichen wird Barrierefreiheit schon länger umgesetzt, beispielsweise durch Rampen an Bahnsteigen oder Fahrstühle. Nun wird es Zeit, dass sie sich auch flächendeckend digital durchsetzt. Die Überlegungen, die ihr zugrunde liegen und die ersten Schritte, die auf dem Weg zur Barrierefreiheit gegangen werden müssen, sind dabei sogar einfacher als vielleicht gedacht.

Auch im digitalen Bereich sollte Barrierfreiheit herrschen.
Auch im digitalen Bereich sollte Barrierfreiheit herrschen.
Foto: Suthisa - shutterstock.com

Anforderungen und Überlegungen des Managements

Prinzipiell muss jeder Arbeitgeber gemäß Sozialgesetzbuch SGB IX Paragraph 81 einen Arbeitsplatz mit barrierefreier IT zur Verfügung stellen. Die meisten Arbeitgeber bewerten diese Situation jedoch vorab aus ökonomischer Sicht, besonders, wenn noch kein Mitarbeiter mit Einschränkungen im Unternehmen arbeitet.

Die ersten Fragen, die aufkommen, sind: Was muss ich bei meinen Arbeitsplätzen anpassen oder ganz ändern, wenn ich einen behinderten Mitarbeiter einstelle? Was muss ich frühzeitig in die Wege leiten, schon vor der Einstellung des Mitarbeiters, weil es zeitaufwendiger ist und was kann man schneller umsetzen? So findet automatisch eine aktive Auseinandersetzung mit barrierefreien Technologien statt und das Unternehmen kann bereits vor dem akuten Fall eine Priorisierung vornehmen und einen Maßnahmenplan erstellen.

Langfristige Planung zahlt sich aus

Obwohl eine Priorisierung durchaus sinnvoll sein kann, spart vor allem eine frühzeitige Integration auf lange Sicht Kosten. Es bietet sich daher an, bei der Entwicklung neuer, barrierefreier Software bereits in der Planungsphase mit Experten zusammenzuarbeiten. Im User Test Center von T-Systems Multimedia Solutions beispielsweise testen Experten rund 350 Software-Lösungen pro Jahr auf ihre Barrierefreiheit hin - und haben bisher bei einem Ersttest fast immer Mängel gefunden.

Nachträgliche Ausbesserungen einer bereits entwickelten Lösung können dazu führen, dass die Kosten das ursprüngliche Projektbudget sogar noch übersteigen. Die entwicklungsbegleitende Unterstützung schlägt hingegen normalerweise nur mit etwa fünf bis zehn Prozent des gesamten Projektbudgets zu Buche.

Folgende Entwicklungsschritte sind bei der Implementierung barrierefreier IT zu beachten:

Softwareentwicklungsprozess für barrierrefreie IT.
Softwareentwicklungsprozess für barrierrefreie IT.
Foto: T-Systems Multimedia Solutions

1. Anforderungen genau definieren

Entwickler müssen vor der Programmierung barrierefreier Software die speziellen Bedürfnisse sensorisch oder motorisch eingeschränkter Nutzer kennen. Dafür müssen sie wissen, welche Nutzergruppen Zugriff auf die Software haben sollen und welche Einschränkungen diese haben werden. Daraus entstehen Anforderungen an die Programmierung nach dem Zwei-Sinne-Prinzip. Während ein Nutzer ohne Einschränkungen vor allem visuell agiert, er also sieht, wo er die Maus hin bewegen muss und was passiert, wenn er klickt, hat ein blinder Nutzer diese Möglichkeit nicht. Neben dem Visuellen benötigt er noch einen auditiven Hinweis, der ihm sagen kann, ob es sich gerade um eine Checkbox beispielsweise für einen Newsletter handelt und ob diese aktiviert ist oder nicht. Diese zusätzlichen Informationen müssen im Quellcode aller Bedienelemente hinterlegt sein, damit Blinde sie mit Hilfsmitteln, wie beispielsweise einem Screenreader, auslesen können.

Nachdem die Anforderungen definiert sind, müssen sie in jedem Sprint getestet werden. Ist die Bedienbarkeit per Tastatur ausreichend gegeben? Sind die Farbkontraste optimal berechnet? Diese Fragen lassen sich auch durch User-Tests beantworten. Die anvisierte Zielgruppe kann schon während der Entwicklung einbezogen werden, um Verbesserungen direkt anzumerken. Die Tests während jeder Iteration sind ein wichtiges Element, um Programmierungen zu vermeiden, die nicht dem Zwei-Sinne-Prinzip folgen.

2. Design anpassen

Konzepter und Designer können auf Basis des Anforderungskatalogs das Design einer Software oder Website erstellen. Auch hier sollten Experten ein Konzeptreview vornehmen, um Stolpersteine für die Barrierefreiheit, beispielsweise bei der Navigation, zu vermeiden. Die Bedienbarkeit per Tastatur anstelle der klassischen Drag-und-Drop-Mausbedienbarkeit ist für viele eingeschränkte Nutzer nahezu unumgänglich. Für gehörlose und hörgeschädigte Nutzer müssen Websites und Software zusätzliche Informationen bereithalten, wie Untertitel für Videos, Inhalte in leichter Sprache und Gebärdensprachvideos. Hinterlegte Zusatzdokumente, wie etwa PDFs, bergen weitere Probleme. Sind sie nicht mit auditiven Hinweisen versehen, können blinde Menschen sie weder lesen noch bedienen.

3. Die Implementierung der Software

Bei der Implementierung sind regelmäßige Tests äußerst wichtig, um die Funktionalität zu gewährleisten. Es gibt hierfür drei Wege zum Ziel: Der Entwickler kann die Implementierung und auch die Tests selbst vornehmen. Wenn er vorab ausreichend für die Bedürfnisse eingeschränkter Nutzer sensibilisiert wurde, kann das sicher funktionieren. Wenn sich Entwickler allerdings ihr Wissen über Barrierefreiheit erst noch erarbeiten müssen, kann das die Projektkosten in die Höhe treiben. Experten können daher auch für die sprintweise anstehenden Tests einbezogen werden, damit alle Schritte von einem Profi geprüft werden, der mit den relevanten Kriterien vertraut ist. Ideal sind Tandementwicklungen, bei denen ein Team aus Experten von Anfang an mit dem Unternehmensentwickler Konzept und Design erstellt und auch prüft. Die mögliche nachträgliche Ausbesserung vieler Details fällt dadurch weg, was die Projektkosten gering hält.

4. Testen, testen, testen

Neben den regelmäßigen Tests währen der Entwicklungsphase, findet am Ende ein abschließender Test anhand der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung BITV 2.0 über die gesamte Anwendung durch den Entwickler oder das Entwicklerteam statt. Die BITV 2.0 enthält die Richtlinien für die Gestaltung barrierefreier Software.

Die folgenden Tipps aus der Praxis dienen der Orientierung, um eine optimale barrierefreie Software und Website zu gestalten:

1. Anforderungen der BITV 2.0 in die Anforderungsspezifikation aufnehmen.

2. Projektmitarbeiter schulen und sensibilisieren.

3. Inhaltsstruktur planen und auf Code-Ebene abbilden.

4. Standardelemente entsprechend ihres vorgesehenen Einsatzzwecks nutzen (zum Beispiel sollten Tabellen auch mit den entsprechenden HTML-Tabellentags ausgezeichnet sein).

5. Vollständige Tastaturbedienbarkeit herstellen.

6. Nützliches Fokusmanagement umsetzen (Der Tastaturfokus sollte stets sichtbar sein. Die Fokusreihenfolge sollte der visuellen Abarbeitung entsprechen).

7. Sprechende Bezeichnungen für Bilder, Links, Buttons und so weiter vergeben.

8. Klare, verständliche Sprache verwenden.

9. Hohe Farbkontraste nutzen. (haf)