Digitalisierungsstrategie

IDC: Schritt für Schritt zur Innovation

13.12.2016
Von 
Wafa Moussavi-Amin ist Analyst und Geschäftsführer bei IDC in Frankfurt. In seiner Funktion als Geschäftsführer verantwortet Wafa Moussavi-Amin seit Oktober 2004 die Strategie und Geschäftsentwicklung der International Data Corporation (IDC) in Deutschland und der Schweiz, seit 2013 zeichnet er zudem verantwortlich für die Region Benelux.
Die digitale Transformation fordert mehr Innovation denn je. Nur eine strategische Herangehensweise, die in ein vorausschauendes Innovations-Portfolio mündet, verspricht Erfolg.
  • Die digitale Transformation ist ohne eine Innovationsstrategie nicht erfolgreich zu gestalten.
  • Für jedes Thema gibt es einen individuell passenden Innovationsstil, es entsteht ein heterogenes Innovations-Portfolio.
  • Innovationsstil, Prozesse und Führungspersonal müssen zueinander passen.

Innovationsprozesse gewinnen durch die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Unternehmen müssen flexibel agieren und sich ständig erneuern, um sich an ihr Ökosystem - das sich in einem permanenten Wandel befindet - anzupassen, nicht hinter die Konkurrenz zurückzufallen und ökonomische Chancen optimal zu nutzen.

Stile der Innovation

Doch Innovation ist nicht gleich Innovation: Das Spektrum reicht von der radikalen Disruption bisheriger Geschäftsmodelle bis zur graduellen Verbesserung bisheriger Produkte, Prozesse und Services. Erfolgreiche Innovation ist also in den meisten Unternehmen nicht eindimensional, sondern vielschichtig und erfordert vorausschauende Planung. Wer erfolgreich innovieren will, sollte sich ein strategisches Innovations-Portfolio erarbeiten, das unterschiedliche Vorhaben in unterschiedlichen Innovationsstilen mit unterschiedlichen Zielen, Prozessen und Wertschöpfungspotentialen umfasst. Dabei lassen sich drei Innovationsstile unterscheiden:

  • Die radikale disruptive Innovation, die einen vollkommen neuen Markt erfindet und dabei möglicherweise alte Märkte zerstört oder durcheinanderwirbelt. Disruptive Innovationen erfordern neue Prozesse und eine eher charismatische Führung, die mehr Wert darauf legt, Mitarbeiter zu überzeugen als mit ihnen zu diskutieren. Sattsam bekannte Beispiele sind Unternehmen wie Uber, AirBnB oder Amazon.

  • Die reaktive oder adaptive Innovation bedient sich bereits bekannter Technologien, um neue Kunden hinzuzugewinnen oder neue Wertschöpfungspotentiale zu erschließen, indem bestehende Geschäftsprozesse erweitert oder verbessert, aber nicht im Kern verändert werden. Beispiel: Automobilhersteller bieten den Käufern ihrer Fahrzeuge zusätzliche, kostenpflichtige Services auf Basis von IoT-Technologien an. Reaktive/adaptive Innovationen gelingen am besten mit inklusiven oder zurückhaltenden Führungskräften, die nichtsdestotrotz hohen Veränderungswillen aufweisen, aber konsensorientiert arbeiten und auch Ratschlägen von außen gegenüber offen sind – dies gilt vor allem für die zurückhaltende Führungskraft, die gern mit externen Beratern zusammenarbeitet, um auf neue Ideen zu kommen.

  • Die inkrementelle Innovation verbessert schrittweise die bisherigen Geschäftsprozesse, indem ihre bisherigen Elemente allmählich durch digitale, innovative Komponenten ersetzt werden. So werden Produkte und Services werthaltiger, effizienter und konkurrenzfähiger. Sie ist die defensivste Form der Innovation und passt zu risikoaversen oder ressourcenbeschränkten Führungskräften, deren oberstes Ziel es ist, Verluste zu vermeiden. Sie schauen besonders aufs Detail. Aufgrund gleichbleibender oder gar sinkender IT-Budgets gehören viele IT- und Rechenzentrumsleiter bis hin zum CIO ohne Gestaltungsmacht zu dieser Gruppe.

Inkrementeller und reaktiver Innovationsstil finden sich zudem in nachgeordneten, ausführenden Bereichen der Unternehmen, etwa in der Logistik oder im Qualitätsmanagement. Disruptive Innovationsprojekte dagegen gestaltet meist die oberste Führungsebene, die ein Unternehmen möglicherweise neu ausrichten muss. Man findet sie auch in innovativen Tochterfirmen, in Think Tanks oder Startups.

Vielfalt führt zum Erfolg

Das Geheimnis erfolgreicher Innovation in großen Unternehmen liegt also nicht darin, einen Innovationsstil für die gesamte Firma auszuwählen, sondern genau zu definieren, welcher Innovationsstil für welches Innovationsvorhaben passend ist und wie die einzelnen Vorhaben priorisiert werden und zusammenspielen sollen. Zum Innovations-Portfolio eines Unternehmens gehören demnach vielfältige Elemente: Vielleicht gibt es einen Think Tank, der ohne jede Vorgabe disruptive Produktideen und dazu passende Geschäftsprozesse erfindet. Ein Tochterunternehmen verbessert womöglich gleichzeitig bestehende Produkte oder Services im Rahmen reaktiv-adaptiver Innovation, um weitere Kundengruppen zu erschließen. An anderer Stelle im selben Unternehmen könnte ein Prozess inkrementell so verändert werden, dass er dem entstehenden digitalen Konkurrenzumfeld besser gewachsen ist.

Schritt für Schritt zur Innovation.
Schritt für Schritt zur Innovation.
Foto: ESB Professional - shutterstock.com

Wegen der engen Verzahnung vieler Unternehmen mit ihrem Umfeld sollten möglicherweise auch Interessenträger von außerhalb in die Definition und Umsetzung der Innovationsstrategie mit einbezogen werden. Teilnehmen sollten selbstverständlich die oberste Führungsebene des Unternehmens sowie die Bereichsleiter, dazu können gegebenenfalls enge Partner - etwa Zulieferer oder Handelspartner, aber auch Berater - kommen. Vorgeschaltet werden muss der Definition des Portfolios ein umfassender Analyseprozess der externen („Ökosystem“) und internen Faktoren, die den Innovationsprozess beeinflussen oder definieren.

Ist das Portfolio definiert, geht es an die Umsetzung: Es gilt geeignete Prozesse, Organisationsstrukturen und natürlich Wertschöpfungspotenziale zu definieren und zu realisieren. Erst wenn all diese Schritte erfolgreich absolviert wurden, ist ein Innovationsvorhaben vorläufig abgeschlossen – wahrscheinlich mündet er aber nahtlos ins nächste Innovationsprojekt, denn auch die digitale Transformation bleibt nicht stehen.

Die 4 Phasen der Innovation

IDC hat vier Phasen der Innovation evaluiert und konkrete Leitfragen für die Gestaltung und Umsetzung entwickelt:

Phase 1

  • Analysieren Sie Ihr Marktumfeld: Welche externen Faktoren legen die Notwendigkeit von Innovationen nahe? Wie hat sich das Marktumfeld verändert oder verändert es sich gerade? Wie steht das Unternehmen bisher im Markt da (Marktanteil, Produkte, Services, regionale Märkte…)?

  • Bestimmen Sie die Stakeholder: Wer im (und um) Ihr Unternehmen hat Interesse an Innovationen? Wer gestaltet, wer bestimmt nur mit?

Phase 2

  • Definieren Sie Ziele: Welche Innovationsziele werden angestrebt? Mit welcher Priorität? Lohnt sich das (Markt-/Einsparungspotential, Statusgewinn, andere Vorteile)?

  • Definieren Sie Innovationsstile: Welcher Innovationsstil eignet sich am besten, um welches Innovationsziel zu erreichen? Gibt es untergeordnete Abläufe, z.B. einen neu zu gestaltenden Vertriebsprozess für einen im Rahmen disruptiver Innovation neu zu schaffenden Markt, die eventuell einen anderen Innovationsstil brauchen als das Hauptinnovationsziel? Welche Führungskraft kann den entsprechenden Innovationsstil umsetzen? Brauchen wir neue Führungskräfte für bestimmte Innovationsziele? Neue Qualifikationen?

Phase 3

  • Bestimmen Sie Hindernisse und Risiken: Ist die Unternehmenskultur innovationsfreundlich? Sind ausreichend finanzielle Ressourcen vorhanden? Wenn nicht: Sind sie beschaffbar, zu welchen Kosten? Ist der Zeitrahmen realistisch? Was würden Überschreitungen des Zeitrahmens bedeuten? Beeinträchtigen Budget- und Terminüberschreitungen die potentielle Rentabilität der Innovation? Welche Faktoren beeinflussen ansonsten das Ergebnis? Sind wir auf Überraschungen vorbereitet? Wird das laufende Geschäft durch den Innovationsprozess beeinträchtigt?

  • Gestalten Sie Prozesse neu: Welche neuen Geschäftsprozesse müssen gestaltet werden? Welche bestehenden Geschäftsprozesse müssen wie umgestaltet oder erweitert werden? Welche analogen Prozessschritte lassen sich digitalisieren? Werden dadurch zeitweise laufende Prozesse unterbrochen? Wie lange? Mit welcher Auswirkung?

Phase 4

  • Bestimmen und gewinnen Sie Wertschöpfungspotentiale : Welche neuen Märkte (disruptive Innovation) oder Kundengruppen (adaptive/reaktive Innovation) winken bei Umsetzung der Innovation? Welchen Konkurrenten wird durch eine inkrementelle Innovation der Wind aus den Segeln genommen? Ist die Preisgestaltung noch aktuell?