Mainframe-Software kopiert?

IBM verklagt Micro Focus

25.11.2022
Von 
Jon Gold ist Senior Writer bei der US-Schwesterpublikation Network World.
IBM verklagt seinen Softwarepartner Micro Focus, weil der ein proprietäres Dateiformat kopiert und damit Verträge gebrochen haben soll.
So - oder so ähnlich - soll Micro Focus sich geistiges Eigentum von IBM in Sachen Mainframe angeeignet haben.
So - oder so ähnlich - soll Micro Focus sich geistiges Eigentum von IBM in Sachen Mainframe angeeignet haben.
Foto: VectorMine - shutterstock.com

IBM hat beim Bundesbezirksgericht in New York eine Zivilklage gegen seinen einstigen Softwarepartner Micro Focus eingereicht. Der Grund: Mit seinen "Micro Focus Web Services" habe das Unternehmen Patentrechte von IBM verletzt und gegen eine bestehende Partnerschaftsvereinbarung verstoßen.

Stein des Anstoßes ist dabei das "Web Service Binding File" (WSBIND) - ein urheberrechtlich geschütztes Dateiformat, das IBM zufolge im Rahmen seiner Mainframe-Software CICS verwendet wird, um Daten zu mappen. Big Blue ist davon überzeugt, dass Micro Focus die Dateistruktur und mehrere Merkmale des WSBIND-Formats kopiert und damit das geistige Eigentum des Konzerns verletzt hat.

In der Klageschrift (PDF) heißt es: "Auffällige Ähnlichkeiten deuten darauf hin, dass Micro Focus Elemente der urheberrechtlich geschützten Werke von IBM kopiert hat, um in Micro Focus Enterprise Developer und Micro Focus Enterprise Server ein abgeleitetes Werk zu schaffen. Es ist ausgeschlossen, dass eine so weitreichende Ähnlichkeit durch Zufall oder den Versuch, ähnliche funktionale Anforderungen zu erfüllen, entsteht."

"Micro Focus hat Vertrauen missbraucht"

Glaubt man IBM, hat Micro Focus sich den betreffenden Code über ein Partnerprogramm angeeignet, das eine begrenzte Nutzung erlaubte. Anschließend habe das Softwareunternehmen diesen Code genutzt, um damit Produktangebote zu schaffen, die im Wettbewerb mit IBMs Produkten stünden.

Der Konzern schreibt in einem offiziellen Blog-Post zur Klage: "IBM betreibt seit langem erfolgreich Programme, um ein Ökosystem von Entwicklern zu fördern, das Anwendungen für IBMs Mainframe-Systeme entwickelt - zum Nutzen unserer gemeinsamen Kunden. IBM und seine Kunden verlassen sich auf diese Softwareentwickler als vertrauenswürdige Partner. Micro Focus hat dieses Vertrauen missbraucht."

Hinsichtlich der Verteidigung seiner Urheberrechte präsentiert sich IBM kämpferisch: "Wir haben über viele Jahrzehnte hinweg erhebliche Investitionen in die Forschung und Entwicklung unserer branchenführenden IBM-Mainframe-Systemtechnologie getätigt. Wir werden das geistige Eigentum von IBM aggressiv gegen diejenigen verteidigen, die versuchen, es zu stehlen."

Die Kampansage hat einen klaren wirtschaftlichen Hintergrund. IBM konnte anlässlich der Vorstellung seiner Geschäftszahlen für das dritte Quartal des Geschäftsjahres 2022 eine starke Rentabilität im Mainframe-Segment vermelden. Das liegt vor allem daran, dass viele Unternehmen an ihren Rechenboliden festhalten müssen. Sie können bestimmte Workloads aus technischen, logistischen oder regulatorischen Gründen nicht auf andere Systeme oder in die Cloud verlagern.

"Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage"

Im Rahmen der Klage fordert IBM einen nicht näher bezifferten Schadensersatz sowie eine einstweilige Verfügung gegen Micro Focus, die es dem Unternehmen untersagt, die angeblich kopierte Software zu verkaufen. Wie Ende August 2022 bekannt wurde, soll Micro Focus vom kanadischen IT-Riesen OpenText für sechs Milliarden Dollar übernommen werden. Wie sich die Klage von IBM auf diese Transaktion auswirken wird, ist unklar.

Micro Focus hat inzwischen mit einer Stellungnahme auf die Klage von IBM reagiert: "Unserer Ansicht nach entbehren die in der Klage aufgestellten Behauptungen jeglicher Grudlage. Micro Focus liefert seinen Kunden seit mehr als 40 Jahren Innovationen und wir werden unser geistiges Eigentum energisch verteidigen. Wir freuen uns darauf, gegen die Anschuldigungen mit allen uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln vorzugehen. Die geplante Übernahme von Micro Focus durch OpenText und die dafür nötigen, regulatorischen Genehmigungen sind auf bestem Wege, im ersten Quartal 2023 abgeschlossen zu werden. Wir gehen davon aus, dass die Klage keinen Einfluss auf den Abschluss der Transaktion haben wird." (fm)

Dieser Beitrag basiert auf Material unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.