Mehr Freelancer, weniger Festangestellte - kein Wunder, dass IBMs Mitarbeiter nicht gerade Jubelgesänge anstimmten, als 2012 Einzelheiten zum "Liquid Challenge Program" ruchbar wurden. IBMs Idee zielte im Kern darauf ab, den Anteil der fest angestellten Mitarbeiter zu verringern und definierte Teile der Entwicklung und des Designs von Programmkomponenten global an Freelancer mit dem jeweils akuellsten Wissensstand und dem günstigsten Angebot zu vergeben. Die Risiken dabei lagen vor allem in Widerständen in der eigenen Belegschaft. Doch aus IBM-Sicht überwogen die Chancen: Mit dem Modell lassen sich die besten Skills einbinden und die Kosten senken - insbesondere die Fixkosten für Personal, wenn es konjunkturell einmal nicht rund läuft.
Der ehemalige IDC- und heutige PAC-Analyst Rüdiger Spies sagte damals, der Plan füge sich in die Flexibilisierungsbestrebungen der vergangenen Jahre ein. Der Konzern habe schon vor geraumer Zeit angefangen, feste Arbeitsplätze aufzulösen. Da das Liquid-Programm beispielhaft für eine neue Entwicklung am Arbeitsmarkt stehen dürfte, bei der über weltweites Crowdsourcing Tätigkeiten an Experten vergeben werden, drucken wir an dieser Stelle leicht gekürzt ein Interview ab, das der IG-Metall-Gewerkschaftssekretär Herbert Herbert Rehm mit der Betriebsratsvorsitzenden von IBM Deutschland EAS, Monika Monika Schäfer, im Zuge des Buchprojekts "Crowdwork - zurück in die Zukunft?" führte. Es ging um das Liquid-Projekt und die Veränderungen, die es für die IBM bringt.
"Generation Open"
Herbert Rehm: Sie sind Betriebsrätin in dem Bereich der IBM, der die weltweit 63. IBM-interne Anwendungsentwicklung in Deutschland betreibt. Dort ist Crowdsourcing als IBM-Liquid-Programm bereits eingeführt. Welche Konzepte stehen dahinter?
Monika Schäfer: IBM-Liquid ist Teil eines Konzepts, das sich "Generation Open" nennt und im Zusammenhang einer grundlegenden Veränderung von Arbeitsverhältnissen und Arbeitsorganisation steht. Bei IBM-Liquid werden Projektaufträge in so kleine Arbeitseinheiten aufgeteilt, dass sie über Web-basierte Plattformen weltweit als Wettbewerbe ausgeschrieben werden können. Und zwar sowohl an eine IBM-interne Crowd als auch an externe Freelancer. Das ist aber nur ein - in Deutschland eher kleinerer - Teil des Konzepts. Neben der Arbeitsorganisation, in der eine ganze Reihe von Tools für diese Art des Projekt-Managements eingeführt wurden, stand in der internen Anwendungsentwicklung das Programm "Blue Sheets", eine Art virtueller Akkordzettel, als grundlegender Schritt der Reorganisation von Arbeitsprozessen, die eine weltweite, virtualisierte Personaleinsatzsteuerung in Projekten erlauben.
Prinzipiell kann IBM damit in jedem Projekt, je nach den besonderen Anforderungen, IBM-interne Arbeitnehmer sowohl im Akkordsystem als auch im Wettbewerbssystem mit Liquid einsetzen. Doch damit nicht genug: Das Projekt-Management erlaubt - und fordert - den Einsatz globaler Ressourcen, sowohl in der bekannten Arbeitsorganisation von Projekten, sei es vor Ort oder virtuell, als auch über die Nutzung externer, weltweit verfügbarer Freelancer über externe Liquid-Ausschreibungen.
Wo steht IBM beim Crowdsourcing heute?
Herbert Rehm: Wo steht IBM beim Thema Crowdsourcing heute?
Monika Schäfer: Nach wie vor gibt es Vorgaben, einen Teil der Aufgaben mittels externen Crowdsourcings zu vergeben. Dieser Anteil ist allerdings, anders als wir es erwartet haben, nur leicht gestiegen. Der interne Reorganisationsprozess hingegen ist sehr weit fortgeschritten. Alle IBM-Beschäftigten können so mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten, ihren Arbeitsergebnissen, ihrer Auslastung etc. in einer weltweiten Datenbank erfasst werden. Auch die einzelnen Projekte und die dazugehörigen Arbeitsstände sind digital verfügbar.
Es gibt weltweit gültige Standards für Softwareentwicklung und Projekt-Management und einheitliche Verrechnungsmethoden. All diese Tools werden für den möglichst optimalen Einsatz von Personal genutzt. Projektverantwortliche in Deutschland müssen Kosten sparen, zum Beispiel indem sie Mitarbeiter aus anderen Ländern oder Freelancer engagieren, deren Arbeit zu niedrigeren Sätzen verrechnet wird - weil sie weniger verdienen. Sie müssen es häufig sogar dann, wenn die Voraussetzungen für deren Einsatz nicht passen. Sonst erreichen sie ihre Projektziele gar nicht.
- Crowdsourcing - gewusst wie
Wahid Rahim, Chef der Crowdsourcing-Plattform Ranksider.de, sagt, was man beachten muss, damit die Auslagerung von einzelnen Aufgaben an eine Masse von Nutzern funktioniert. - Klare Zieldefinition
Was soll mit dem Projekt erreicht werden? Welches Problem soll gelöst werden? Jeder muss sein Ziel für sich selbst und für die Community klar definieren. - Die richtige Crowd-Community auswählen
Abhängig von seinen eigenen Zielen, sollte man die richtige Community bzw. die richtige Plattform für sein Projekt auswählen. Nur so lässt sich das bestmögliche Ergebnis erzielen. - Respekt vor der Community
Damit ein Projekt erfolgreich wird, sollte man die Community als Partner betrachten und auch so behandeln. Machen Sie der Community klar, dass deren Input für Sie und für Ihr Unternehmen enorm wichtig ist. Definieren Sie faire Rahmenbedingungen und motivieren Sie die Community. - Verbreiten Sie Ihre Kampagnen
Nutzen Sie Ihre sozialen Kontakte, um Ihre Kampagne zu verbreiten. Dadurch gewinnen Sie mehr Teilnehmer und zeigen auch, dass Sie voll und ganz hinter Ihrer Crowdsourcing-Kampagne stehen. - Klären Sie die Rechtslage
Klären Sie im Voraus, dass bei einer Kampagne die Rechte Dritter nicht verletzt werden und dass Sie eventuell erforderliche Rechte am geistigen Eigentum übertragen bekommen
Herbert Rehm: Was stört den Betriebsrat daran? Und was hat er unternommen?
Monika Schäfer: Man steht zum einen permanent im Wettbewerb um Projekte, sowohl intern als auch mit externen Softwareentwicklern. Und man steht zum anderen permanent unter Beobachtung. Arbeitsergebnisse sollen mittels eines Punktesystems weltweit verglichen werden - sowohl über die Liquid-Wettbewerbe als auch mit den virtuellen Akkordzetteln Blue Sheets erhalten Mitarbeiter sogenannte Blue Points. Beim virtuellen Akkordzettel errechnen sich diese aus den im Voraus geschätzten Faktoren Termintreue, Aufwand, eingesetzte Assets sowie Qualität der Arbeitsergebnisse.
Die Blue Points fließen in die digitale Reputation der Kolleginnen und Kollegen ein. Die wiederum hat Auswirkungen auf ihre Auslastung und ihre Beschäftigungsaussichten. Wer mit seinen Punkten in der oberen Hälfte der globalen Rangliste landet, erhält den Status "Blue Select", alle anderen sind lediglich "Blue Player". Das alles lässt sich potenziell per Knopfdruck über Auswertungs-Tools einsehen.
Im Grunde wächst der Druck auf die Beschäftigten durch diese normative, komplexe und kompetitive Transparenz permanent. Als Maßnahmen dagegen haben wir zum Beispiel Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, damit diese Tools nicht für die Kontrolle und Beurteilung der Leistung der Beschäftigten genutzt werden. So haben wir verhindert, dass die Blue Points zur Leistungsbeurteilung der Kollegen herangezogen werden. Auch haben wir verhindert, dass in Deutschland die IBM-Kollegen an Liquid-Ausschreibungen als Auftragnehmer teilnehmen. Hierzulande müssen die Kollegen lediglich einen Teil ihrer Aufgaben als Liquid-Wettbewerbe über die IBM-interne Plattform ausschreiben.
Wir haben zudem in unseren Regelungen die Zugriffsrechte und die Auswertungsmöglichkeiten begrenzt. Zurzeit führen wir im Rahmen des Gesundheitsschutzes eine Gefährdungsbeurteilung durch, um belastende Faktoren zu erkennen und zu reduzieren. Wir verhandeln gerade mit der Geschäftsführung über ein neues Verfahren zur Leistungsbeurteilung und versuchen, mit den Beschäftigten eine Diskussion über Leistung und Wertschätzung anzustoßen.
Herbert Rehm: Wie sieht die Umsetzung im Arbeitsalltag der Kollegen aus?
Monika Schäfer: Interessant ist, dass die Konzepte im Arbeitsalltag oft anders als konzeptionell gedacht umgesetzt werden. Beim virtuellen Akkordzettel werden die Aufwände eigentlich kaum im Voraus geschätzt, sondern im Wesentlichen im Nachhinein dokumentiert. So hält sich der Aufwand bei der kleinteiligen Arbeitsteilung in Grenzen, und dem konzeptionellen Akkordsystem ist damit die Grundlage entzogen. Auch die Bezahlung der IBM-Kollegen orientiert sich nicht an den Blue Points, sondern an der zwar umstrittenen, aber etablierten Leistungsbeurteilung.
Auch bei der Vergabe von Arbeitsaufträgen mit Liquid haben sich spannende Unterschiede ergeben: Mittlerweile müssen die Verantwortlichen vor jeder Ausschreibung einen Fragebogen ausfüllen, um den expliziten Nutzen für die IBM erkennbar zu machen. Die Kollegen werden zur Einhaltung der Business Conduct Guidelines verpflichtet. Darüber hinaus ist das Wettbewerbsprinzip IBM-intern durch die Begrenzung der Teilnehmerzahl bei solchen Wettbewerben deutlich eingeschränkt. In der Regel dürfen sich maximal drei Kollegen bewerben, in der Praxis wird häufig aber nur ein Bewerber akzeptiert.
- 6 Wege zu besserer Zusammenarbeit
Mit einem Appell zu "Extreme Collaboration" rufen die Analysten zu intensiverer Kommunikation auf - etwa mittels Crowdsourcing und Social-Media-Analysen. - 1. Web-basierter Collaboration einen Platz verschaffen:
Der Einsatz virtueller und web-basierter Collaboration im Arbeitsalltag der Mitarbeiter sollte nach Gartner-Einschätzung aktiv befördert werden. Die Analysten raten dabei zum Experimentieren. Ein Ansatz sei die gezielte Auswahl einer bislang auf traditionellem Wege – also durch persönliche Meeting oder E-Mail – erledigten Aktivität. Die Mitarbeiter sollten dazu ermuntert werden, diese Tätigkeit künftig möglichst via web-basierter Collaboration zu erledigen. - 2. Near-Real-Time-Communication nutzen:
Stimuliert werden sollte laut Gartner auch die fast in Echtzeit verlaufende Kommunikation in den sozialen Netzwerken – also das Bloggen, Twittern oder Updaten von Facebook-Seiten. „Das Etablieren von Real-Time Communication-Gewohnheiten am Arbeitsplatz ermöglicht einen freieren Informationsfluss und proaktivere Mitteilungen, so dass die Leute schneller auf unerwartete Ereignisse und Störungen antworten können“, so die Analysten. - 3. Crowdsourcing und populäre Social-Media-Tools nutzen:
Als Trigger für einen dynamischen Gedankenaustausch zu einem aktuellen Problem empfiehlt Gartner, einen “Tweet Jam” ins Leben zu rufen. Man müsse nur einen Zeitrahmen und ein Thema festlegen und die Mitarbeiter zur Teilnahme am Brainstorming animieren. „Anders als bei Diskussionen im Meeting Room wird die Kommunikation festgehalten“, so Gartner. - 4. Belohnungssysteme verändern:
Statt alleine individuelle Leistungen und punktuelle Erfolge zu honorieren komme es bei XC darauf an, auch kollaboratives Handeln im Team zu belohnen, das zur Lösung komplexer Probleme beiträgt. „Der Einsatz von Collaboration-Technologien macht es auch einfacher, gemeinschaftliches Verhalten nachzuverfolgen und direkt mit den erreichten Resultaten zu verknüpfen“, so Gartner. - 5. Messungen mit Social Network Analysis:
Mit Social Network Analysis (SNA) und manchen Social-Media-Seiten lässt sich der Einfluss bestimmter Menschen in sozialen Netzwerken beobachten. Eine XC-Kultur basiere auf Offenheit, Vertrauen und gegenseitigem Respekt, erläutert Gartner. SNA sei eine Technik, die bei der Identifizierung starker sozialer Netzwerke mit dieser Grundlage helfe. - 6. Kick-Start durch Gruppen-Events:
Mit Hilfe weniger einfacher Schritte kann man laut Gartner Mitarbeiter aus der Komfortzone holen und zum Ausprobieren neuer Arten von Collaboration und Interaktion bewegen. Ein Beispiel sei es, interne Experten via mobiler Videos in Meetings zu holen. E-Mail könnte für eine bestimmte Zeitspanne intern abgeschaltet werden. Auch Gamification – also der Einsatz Computerspiel-basierter Techniken – sei eine Möglichkeit, alte Gewohnheiten aufzubrechen, so Gartner.
Die Arbeitswelt der Zukunft
Das Buch "Crowdwork - zurück in die Zukunft? Perspektiven digitaler Arbeit" beschäftigt sich aus verschiedenen Blickrichtungen mit der Zukunft der Arbeit in einer digitalisierten Welt. Die Autorinnen und Autoren widmen sich dem Phänomen einerseits aus wissenschaftlicher Sicht. Sie beschreiben ferner Erfahrungen, die etwa in der Automobilindustrie mit Crowdworking gemacht werden. Spamgirl wiederum ist eine digitale Arbeiterin, die auf der Amazon-Plattform Mechanical Turk beschäftigt ist.
Sie beschreibt im Interview, was "turken" ist und welche Probleme auch gesellschaftspolitischer Art bei dieser Beschäftigungsform noch zu beheben sind. Ein weiterer Aspekt widmet sich juristischen Fragen und Problemen, die im Zeitalter von Crowdworking für Unternehmen zu lösen sind. Auch die politisch-ethische Dimension, die mit Crowdworking einhergeht, fehlt in diesem Buch nicht. Es wird im Oktober 2014 im Bund-Verlag erscheinen.
Angaben zum Buch:
Christiane Benner (Hrsg.)
Crowdwork - zurück in die Zukunft? Perspektiven digitaler Arbeit.
Frankfurt am Main (Bund-Verlag) 2014
ca. 350 Seiten, gebunden, ca. 29 Euro
ISBN 978-3-7663-6395-4
lieferbar ab Oktober 2014