Der Alptraum vom Home office hat viele Gesichter. Für den Münchner IT-Manager Markus Mayer ist es "die Gefahr, statt eines Teams lauter Einzelkämpfer zu führen". Der Sales Manager bei der IT-Beratung Cancom vergleicht seine 30köpfige Mannschaft gern mit einem Sportteam. "Würde jeder nur für sich trainieren, könnte die Mannschaft einpacken." Andere befürchten mangelnde Selbstdisziplin, fehlende Konzentration, ständige Ablenkungen und keinen Zugriff auf die Heimarbeiter in Notsituationen. Kurzum: Verlotterung, Kreativitätsflauten und Produktivitätsverluste.
Die Skepsis ist nicht unberechtigt, wie eine Studie des Businesscenter-Anbieters Regus unter 24.000 Berufstätigen aus 90 Ländern belegt. 50 Prozent der Interviewten fällt es schwer, sich zu Hause dauerhaft zu konzentrieren. Jeder Vierte fühlt sich dort durch Lärm, schlechte Internetverbindungen oder fehlende Unterlagen abgelenkt. 59 Prozent sehen die Beeinträchtigung der Arbeit durch Kinder oder andere Familienangehörige als größte Herausforderung - in Deutschland fürchten dies sogar fast drei Viertel.
- Home Office mit Kindern - so klappt es
Wer von zuhause aus arbeitet, muss lernen, sich zu organisieren. Das gilt insbesondere für mobile Worker mit Kindern. - Tipps von Kristine Kupferschmidt
Kristine Kupferschmidt aus Freiburg i. Br. ist seit sieben Jahren Mutter und arbeitet viel im Home Office. Sie ist Trainerin für Akquise, Kundenkommunikation und Selbstmanagement. - Tipp: Der Arbeitsplatz muss Arbeitsplatz bleiben
Kupferschmidt sagt: "Verteidigen sie ihren Arbeitsplatz mit Hauen und Stechen!" Weder sollte der Home Worker seine Unterlagen in der ganzen Wohnung verteilen, noch dürfen die Kinder Präsentationen "verschönern" oder im elterlichen Arbeitsbereich spielen. - Tipp: Mit Kindern Büro spielen
Kinder ahmen gerne nach, was Mama oder Papa tun. Ein altes Handy, eine Pappschachtel mit aufgemalter Tastatur und Bildschirm geben ein "Kinderbüro" ab, in dem der Nachwuchs spielen kann - allein. - Tipp: Kinder müssen lernen, sich allein zu beschäftigen
Kupferschmidts Erfahrung: "Unsere Kinder haben schon als Kleinkinder gelernt, was ein Zeigefinger vor dem Mund bedeutet, wenn Papa gerade telefoniert, und die Hand Richtung Tür nichts anderes heißt als ,Umdrehen - geht gerade nicht'!" Hat sich das Kind richtig verhalten, sollte es nach dem Telefonat gelobt werden. So versteht es, dass weggeschickt zu werden keine Ablehnung bedeutet. - Tipp: Telefonat unterbrechen, wenn das Baby schreit
Hat sich ein Kind verletzt oder ist es noch im Babyalter und schreit während eines Telefonats, nützt alles nichts: man muss das Gespräch unterbrechen, das Kind versorgen, und dann zurückrufen. Kupferschmidt: "Bedanken sie sich beim Kunden, aber entschuldigen sie sich nicht dafür, dass sie im Home Office sitzen und Kinder haben." - Tipp: nicht die Veränderung der Arbeitswelt unterschätzen
Kupferschmidt verfügt nach sieben Jahren Mutterschaft und Home Office über ein Netzwerk von Menschen in ähnlicher Situation. Dort hat sie sich umgehört. Erfahrung vieler: die Arbeitswelt hat sich verändert, und es gibt für arbeitende Mütter und Väter mehr Verständnis und Wohlwollen, als mancher geglaubt hat.
Auch 78 Prozent der Personaler sehen es als eine Herausforderung an, Mitarbeiter im Home office zu führen, so eine Umfrage des Personaldienstleisters Robert Half unter 200 HR-Managern.
Home office ist ein Balanceakt für Chefs
Telearbeit ist vor allem für Chefs herausfordernd. Sie müssen den Interessenausgleich zwischen Betriebszielen und Mitarbeiterwünschen im Blick haben. "Gute Antennen in alle Richtungen sind hierfür wichtig", sagt Cancom-Manager Mayer. Eine offizielle Home-office-Regelung gibt es bei ihm in der Firma nicht. Die Verantwortung, wer wann zu Hause arbeiten darf, liegt bei den Vorgesetzten. "Lässt es das Aufgabenprofil des Mitarbeiters zu, stärkt die Erlaubnis zu einem Home-office-Tag die Firmenkultur", sagt Mayer. "Wenn nicht, würde sie ihr schaden."
Ein täglicher Balanceakt - auch innerhalb der Abteilung. "Nur einfach zu sagen ,Geh nach Hause und arbeite' reicht nicht", sagt Stefan Rief, Leiter des Competence Centers Workspace Innovation am Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Damit kein Neid aufkommt, braucht es transparente und nachvollziehbare Regeln. "Telearbeiter sollten nicht als Exoten gelten, die vom Chef eine Extrawurst bekommen", so Rief. Also: Nicht nur ein paar Vorzeige-Eltern ihre Home-office-Tage genehmigen, sondern auch anderen Mitarbeitern - "gern auch Singles, die sich durch Telearbeit das Pendeln sparen können", so der Wissenschaftler.
Der Goodwill darf jedoch nicht zu weit gehen. "Nicht jeder Beschäftigte ist für die Arbeit im Home Office geeignet," warnt Stephan Pfisterer, Personal- und Arbeitsmarktexperte des Bitkom in Berlin. Wer sich leicht ablenken lässt und wenig Selbstdisziplin mitbringt, ist im Büro besser aufgehoben als im heimischen Arbeitszimmer. "Flexible Arbeitsmodelle erfordern ein ausgeprägtes Selbstmanagement", unterstreicht Pfisterer. "Mitarbeiter sollten hier ehrlich zu sich sein und diese Faktoren kritisch prüfen." Dies gilt insbesondere, wenn daheim der Nachwuchs herumwuselt, wie Nicola Rodegra weiß. "Die Vorstellung, lieber von zu Hause aus zu arbeiten, wenn Kinder zu betreuen sind, hat manch Kollege schon revidieren müssen", sagt die Vertriebsleiterin für die Kommunikations- und Medienbranche bei Microsoft, die ein Team aus zwölf Leuten in Unterschleißheim und im Kölner Raum führt. Die betroffenen Eltern sind reumütig wieder ins Büro zurückgekehrt, um dort ungestört arbeiten zu können.
Monatliches Mittagsessen als Pflichttermin
Gefragt ist auch das Fingerspitzengefühl der Führungskräfte. "Sie sollten ihrem Team Leitplanken setzen, innerhalb derer sie eine freie Fahrt gestatten", empfiehlt Christoph Bauer, Berater der CIO Advisory Services bei Capgemini Consulting in München. Fehlt Chefs der direkte Zugriff auf ihre Leute, heißt es, Vertrauen in das eigene Team zu setzen. Kontrollettis alter Schule haben keine Chance. "Vorgesetzte müssen loslassen können, damit sich das Team selbst organisiert und koordiniert", so Bauer. "Zugleich müssen sie häufiger Feedback geben, um die Nähe zu ihren Mitarbeitern nicht zu verlieren."
Mit dem Balanceakt kennt sich auch Microsoft-Managerin Rodegra aus. Die größte Herausforderung beim Führen eines gemischten Präsenz- und Home-office-Teams liegt für sie darin, ein Feingefühl für die Stimmungen ihrer Mitarbeiter zu entwickeln. "Zudem muss ich mir mehr Zeit nehmen, um aktiv den Kontakt mit ihnen zu suchen", so Rodegra. Einmal im Monat setzt sie daher mit ihrem Unterschleißheimer Team einen Abstimmungs-Call auf. Zusätzlich findet alle acht Wochen mit jedem Mitarbeiter ein Jour fixe statt. Doch auch das Loslassen gehört für sie zum Job. Ihrem Kölner Team lässt sie freie Hand bei der Gestaltung der Zusammenarbeit. Als den Kollegen der gegenseitige Kontaktverlust drohte, richteten sie in Eigenregie ein monatliches Mittagessen als Pflichttermin ein. Rodegra ist es recht. "Sie sollen ihre Arbeitsorte selbst bestimmen und untereinander abstimmen - solange die Ergebnisse stimmen."
Viele IT-Manager fürchten die Heimarbeit als Produktivitätskiller. Damit Telearbeit nicht ins Desaster führt, müssen klare Regeln gelten – für Homeworker und für ihre Teams.- Regeln für Telearbeiter: 1. Routinen einhalten
Heimarbeit braucht feste Zeiten, um nicht in den Freizeitpark zu führen. Überlegen Sie, zu welchen Zeiten Sie für das Unternehmen erreichbar sein müssen, und legen Sie drum herum Ihre Arbeitszeiten je nach Biorhythmus. - 2. Arbeitsplatz einrichten
Heute hier, morgen dort arbeiten? Bloß nicht. Das Gehirn braucht einen festen Anker. Sobald es dann den Schreibtisch sieht, switcht es automatisch in den Arbeitsmodus. - 3. IT-Support sichern
Die technische Erreichbarkeit ist Grundvoraussetzung für den Heimarbeitsplatz. Daher unbedingt mit dem Arbeitgeber klären, wer bei auftretenden Problemen hilft. - 4. Nanny anstellen
Störende Kinder bei der Arbeit sind ein No-Go – im Büro genau wie im Home Office. Also für Betreuung sorgen, wenn es möglich ist. - 5. Grenzen ziehen
Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Soll heißen: Im Job arbeitet man diszipliniert und vorbildlich wie in der Firma. Nach Feierabend aber schaltet man genauso vorbildlich ab. Und lässt das Bürotelefon im Arbeitszimmer läuten, bis es schwarz wird. - 6. Flurfunk empfangen
Wer zu Hause arbeitet, bekommt weniger von den Schwingungen im Unternehmen mit. Dort stehen Homeworker in der Holschuld. Denkbar sind etwa regelmäßige Update-Telefonate mit einem Kollegen oder das tägliche Einloggen ins firmeneigene soziale Netzwerk. - Regeln fürs Team: 7. Leitplanken setzen
Ohne Vertrauen geht nichts. Der Chef sollte seiner Mannschaft feste Leitplanken setzen, innerhalb derer sie freie Fahrt gestatten. Die neue Denke: Hauptsache, die Arbeit wird erledigt. Egal wo. - 8.Transparenz schaffen
Jedes Teammitglied muss wissen, wie und wann die Kollegen erreichbar sind. Ein elektronischer Teamkalender verschafft Durchblick. - 9. Medien festlegen
Der digitale Büro-Austausch hat viele Gesichter: Telefon, E-Mail und Chat, WhatsApp Videokonferenz und Firmenwikis. Das Team sollte festlegen, was man wie mitteilt. - 10. Technik umarmen
Neue Techniken sind für Telearbeiter-Teams immer Freund und nicht Feind. Also bitte nicht die Kamera beim Videochat zukleben – das Gesicht sagt manchmal mehr als 1.000 Worte! - 11. Fair bleiben
Gleiches Recht für alle. Falls durch die veränderten Arbeitsorte Mehrarbeit entsteht, muss diese gleichmäßig auf den Schultern von Präsenz- und Telearbeitern verteilt werden. Chefsache. - 12. Jours fixes vereinbaren
Der altmodische Austausch von Angesicht zu Angesicht ist durch keine Webkonferenz der Welt zu ersetzen. Feste Termine für Teamtreffen festlegen, wenn es möglich ist. - zusammengestellt von Judith-Maria Gillies
freie Wirtschaftsjournalistin in Köln.
Loslassen, ohne ins Laisser-faire abzurutschen: Damit kennt sich auch Stephanie Zimmermann aus. Die Abteilungsleiterin bei der Datev in München hat für ihre 28 Mitarbeiter eine 30-Minuten-Regel eingeführt. Wer länger als eine halbe Stunde nicht am Arbeitsplatz erreichbar ist, soll dies in einem entsprechenden Statuseintrag bei Lync kenntlich machen. "Hier geht es nicht um Kontrolle, sondern um eine gut geölte Zusammenarbeit des Teams", so Zimmermann. Einer ihrer Grundsätze: Die Telearbeit einiger Kollegen darf die Zusammenarbeit der Abteilung nicht behindern. Dazu soll auch der "Anwesenheits-Mittwoch" beitragen, an dem sich alle Kollegen persönlich im Büro begegnen, um den Kontakt nicht zu verlieren - untereinander und zur Chefin.
Trotz Mehraufwand und zusätzlicher Regeln: Letztlich rechnet sich die Möglichkeit zur Heimarbeit, glaubt Zimmermann, vor allem für Wissensarbeiter. "Drei Stunden konzentrierter Heimarbeit am Stück sind wesentlich produktiver als sechs 30-minütige Besprechungspausen im Büro", so die Abteilungsleiterin.
Zuhause arbeiten die Mitarbeiter eher mehr
Auch Cancom-Führungskraft Mayer glaubt, dass sein Unternehmen letztlich von der Telearbeit profitiert. So arbeiteten viele seiner Mitarbeiter zu Hause eher mehr als weniger - zum Beispiel, weil der weggefallene Arbeitsweg kurzerhand in die Arbeit investiert wird. "Zudem gestalten sie ihre Arbeit mehr nach ihrem Rhythmus und arbeiten so produktiver und mit höherer Motivation", so Mayer.
Diese Beobachtung deckt sich auch mit wissenschaftlichen Untersuchungen - etwa mit einer Studie der Stanford University. In einer neun Monate dauernden Erhebung unter 255 Callcenter-Mitarbeitern wiesen die Forscher nach, dass die Home-office-Worker des Teams ihre Leistung um 13 Prozent steigern konnten, ein höheres Arbeitspensum erfüllten und weniger krank waren als die Kollegen im Büro.
Dennoch: Chefs sollten Kosten und Nutzen des Home office immer genau abwägen - auch für ihre eigene Abwesenheit von der Firma. Daher nutzt etwa Markus Mayer sein häusliches Arbeitszimmer nicht allzu oft. "Meine Mitarbeiter sind bei mir eine Kultur der offenen Tür gewohnt", sagt der Sales Manager. "Doch die nutzt ihnen nichts, wenn dahinter niemand am Schreibtisch sitzt."
- Klare Vereinbarungen treffen
Flexible Arbeitsmodelle erfordern klare Vereinbarungen. Nur wenn die Rahmenbedingungen transparent und Erwartungen eindeutig formuliert sind, kann daraus eine vertrauensvolle neue Arbeitskultur entstehen. - Nutzung freistellen
Nicht für jeden Mitarbeiter eignet sich Arbeiten im Home-Office: Jedem Mitarbeiter sollte freigestellt sein, diese Angebote im Unternehmen zu nutzen. - Mitarbeitern vertrauen
Als Arbeitgeber sollte man seinen Mitarbeitern vertrauen und "loslassen" können. - Mitarbeiterleistung messen
Die Leistung von Mitarbeitern muss objektiv definiert und gemessen werden. - Führung nicht vernachlässigen
Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn: Auch Mitarbeiter ohne permanente Anwesenheit brauchen Führung. - Fürsorgepflicht ernst nehmen
Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern. Diese gelten auch und insbesondere für flexible Arbeitsplatzmodelle. - Neue Meetingkulturen schaffen
Bei aller Flexibilität: Neue Meetingkulturen erleichtern effiziente und effektive Arbeitsprozesse innerhalb der Teams. - Gemeinschaftsgefühl stärken
Den direkten Austausch fördern, sich gegenseitig schätzen - und so die Zusammenarbeit und das Gemeinschaftsgefühl stärken. - Mitarbeiter willkommen heißen
Mitarbeiter müssen sich im Unternehmen willkommen fühlen und haben ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz. - Unternehmenskultur überprüfen
Neue Arbeitsstrukturen können nur erfolgreich sein, wenn sie mit der Unternehmenskultur, der Philosophie und den Unternehmenszielen vereinbar sind.