Change Management

Hört digitale Transformation jemals auf?

27.08.2020
Von  und
Mary K. Pratt ist freiberufliche Journalistin in Massachusetts.


Florian Maier beschäftigt sich mit diversen Themen rund um Technologie und Management.
Die digitale Reise ist gepflastert mit Timelines und Launch Dates – das übergeordnete Ziel ist jedoch weitaus weniger greifbar: Eine Organisationsform zu erreichen, die jederzeit flexibel auf Veränderungen reagieren kann.

Zu Beginn des Jahres 2020 brachte es das gemeinnützige Unternehmen Sentara Healthcare auf circa 20 Telehealth-Visiten pro Woche. Drei Monate später ließ die Coronavirus-Pandemie diese Zahl auf mehr als 14.000 ansteigen. Die IT war auf diesen Ansturm bestens vorbereitet - allerdings nicht, weil neue Lösungen im Schnellverfahren implementiert wurden, sondern weil die digitale Transformation von Sentara Healthcare bereits so weit fortgeschritten war, dass das Unternehmen in der Lage war, mit seinen Kunden auf digitalen Wegen zu interagieren.

Deswegen ist CTO und Co-CIO Jeff Thomas auch davon überzeugt, dass die Reaktionsfähigkeit, die sein Unternehmen in der COVID-19-Krise bewiesen hat, nicht als Test des digitalen Reifegrades, sondern als Beweis dafür zu sehen ist. Doch trotz der positiven Performance weiß der Manager, dass die digitale Transformation auch für Sentara Healthcare noch nicht abgeschlossen ist: "Ich glaube auch nicht, dass diese Reise jemals endet", so Thomas.

Digitale Transformation als einmaliges Ereignis mit festem Start- und Enddatum zu betrachten, ist nicht zielführend. Lesen Sie, warum.
Digitale Transformation als einmaliges Ereignis mit festem Start- und Enddatum zu betrachten, ist nicht zielführend. Lesen Sie, warum.
Foto: StunningArt - shutterstock.com

Wie weit ist es noch?

In der Frühzeit des Internet wurde die Grundlage für das dominierende Thema des letzten Jahrzehnts gelegt: die digitale Transformation. Dennoch zeigen diverse Studien, dass die meisten Organisationen längst nicht die digitalen Entitäten sind, die sie gerne wären. Diese Unternehmen sind immer noch nicht in der Lage, sich schnell an dynamische Märkte anzupassen und können weder ausdifferenzierte Produkte und Services liefern noch eine zufriedenstellende Customer Experience erzeugen. Und sogar die IT-Entscheider der Unternehmen, die auf einem guten Weg zu all den genannten Zielen sind, sind davon überzeugt, dass ihre Transformations-Arbeit längst noch nicht getan ist. Das wirft verschiedene Fragen auf:

  • Wann wissen Entscheidungsträger im Unternehmen eigentlich, wann die digitale Transformation der Organisation abgeschlossen ist?

  • Wie ermittelt die Führungsebene, ob eine digitale Transformation erfolgreich verlaufen ist - insbesondere, wenn diese Transformation tatsächlich niemals endet?

  • Und: Wie lässt sich dieser niemals enden wollende Wandel überhaupt stemmen?

Die Antworten auf diese Fragen liegen nach Einschätzung von Branchenexperten in der Art und Weise, wie Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter digitale Transformation denken und definieren. Demnach müssten Unternehmen und ihre Fachabteilungen die Transformation nicht als Programm oder Projekt mit Start- und Enddatum betrachten, sondern vielmehr als neues Betriebsmodell.

"In meinen Augen ist digitale Transformation ein Buzzword, das völlig falsch ausgelegt wurde", meint Trent Mayberry, CDO bei UST Global. "Viele Führungskräfte reden davon, an der digitalen Transformation zu partizipieren - was grundsätzlich ein guter Gedanke ist. Ich bin aber der Überzeugung, dass digitale Transformation ein weit höheres Ziel verfolgt, nämlich, mehr Agilität zu erlangen und sich möglichst rasch an Veränderungen anpassen zu können. Das digitale Element bilden dabei die Tools, die hierzu zum Einsatz kommen."

Stolperfalle digitale Transformation

Eine Studie des Softwarehauses Globant aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass 87 Prozent der befragten Unternehmen eine Initiative zur digitalen Transformation verfolgen. Allerdings schätzen nur 28 Prozent dieser Befragten ihre Organisation auch als innovativ ein und sagen von sich selbst, sie hätten den nötigen digitalen Reifegrad erreicht. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten (51 Prozent) sieht sich bereits auf einem guten Weg, im Vergleich mit der Konkurrenz aber abgeschlagen. 21 Prozent sind sich hingegen ihrer mangelnden digitalen Reife bewusst.

Andere Studie, ähnliche Ergebnisse: Laut dem "State of Digital Transformation 2020"-Report von TEKsystems gaben 90 Prozent der befragten C-Level-Entscheider an, ihr Unternehmen habe sich voll und ganz der digitalen Transformation verschrieben. Allerdings sind auch rund 40 Prozent der Befragten nicht damit zufrieden, wie ihre Organisation derzeit auf digitale Trends reagiert.

Auch laut der aktuellen "State of Enterprise Digital Transformation"-Umfrage des Cloud Providers Ahead geben 93 Prozent der befragten IT-Entscheider an, ihr Unternehmen befinde sich gerade in der digitalen Transformation. 42 Prozent tun sich aber derzeit schwer, Erfolg einzufahren und fallen hinter ihrem Plan zurück oder würden auf der Stelle treten.

Kein Ende in Sicht

Laut einer aktuellen Umfrage von PwC versuchen aber auch nur rund fünf Prozent aller Firmen, das Maximum aus ihren Transformationsbemühungen herauszuholen. Von den rund 2.400 befragten Entscheidern aus aller Welt vermelden nur ganze fünf Prozent regelmäßige Return on Investments aus digitalen Investitionen oder die Erzeugung von Mehrwert in anderen Bereichen wie Wachstum oder Customer Experience.

Diesen fünf Prozent ist laut PwC gemein, dass sie die digitale Transformation nicht als einmaliges Ereignis, sondern als fortlaufende Alltagsrealität begreifen. "Die Unternehmen, die hierbei gut abschneiden sind diejenigen, die sich dem konstanten Wandel unterworfen haben", weiß David Clarke, Global Cheif Experience Officer bei PwC. "Es geht hierbei um die Erlangung eines neuen Mindsets: bei der digitalen Transformation kommt es vor allem auf Abläufe an und auf das Verständnis, dass dieser Prozess niemals vollständig abgeschlossen sein kann, weil es immer wieder eine neue, noch bessere Idee oder Technologie gibt."

Bei Sentara teilt man nach eigener Aussage diese Überzeugung. Das Unternehmen hat seine digitale Transformation bereits vor einigen Jahren gestartet - wie CTO Thomas erzählt, in erster Linie, um den Kunden eine ähnliche Erfahrung wie bei den Branchenführern Apple oder Amazon bieten zu können. Ein weiteres Ziel war es, die Kunden möglichst nahtlos mit der Organisation zu verknüpfen, egal ob diese sich in einem Krankenhaus oder zuhause befinden.

Um möglichst schnell auf verändernde Marktbedingungen reagieren zu können, wurde sowohl an der IT-Infrastruktur als auch am Mindset gefeilt. Auf technischer Seite kommt beispielsweise eine Hybrid-Cloud-Infrastruktur mit Anbindung an die Equinix-Plattform zum Einsatz, die alle Daten in die Cloud überträgt, wo sie rund um die Uhr sicher und verfügbar sind.

Das half Sentara ganz wesentlich dabei, den Telehealth-Ansturm im Zuge der Coronavirus-Pandemie bewältigen zu können, wie Thomas erzählt: "Hätten wir nicht zuvor für diese Konnektivität in Form der Pipeline zwischen den Cloud-Betreibern gesorgt, wären wir nicht in der Lage gewesen, zu skalieren."

Transformationsmüdigkeit verhindern

Vorgenannte PwC-Studie ermittelte mehrere Erfolgsfaktoren digitaler Unternehmen, darunter etwa ein klares Change-Bekenntnis, sinnvolle Investitionen die die digitale Transformation unterstützen und Initiativen zur Schaffung einer innovationsgetriebenen Unternehmenskultur und Belegschaft. Die Ahead-Umfrage kommt zu ganz ähnlichen Erkenntnissen: Hier sehen die Macher neben einem intelligenten und automatisierten IT-Betrieb vor allem motivierte C-Level-Entscheider, eine gut ausdefinierte Roadmap, DevOps und IT Infrastructure as a Platform als Erfolgstreiber.

"Der Erfolg der digitalen Transformation bemisst sich danach, wie Sie Ihr Business betreiben", meint Arthur M. Langer, Buchautor und Akademischer Direktor an der Columbia University. "Um Erfolg zu haben, müssen Veränderungen auf breiter Basis akzeptiert werden - eine Aufgabe, für die der CIO prädestiniert sein sollte. Erfolgreiche CIOs konzentrieren sich nicht nur auf die Technologie, sondern behalten auch die Strategie im Blick und werden nicht müde, neue Wege aufzuzeigen, wie Prozesse besser laufen, Technologien effizienter genutzt und die Produkt-Obsoleszenz besser vorhergesagt werden kann."

Um zu unterstreichen, wie agil Unternehmen heute agieren müssen, führt Langer das Beispiel Pokémon Go an: Das Smartphone Game habe 19 Tage gebraucht, um 50 Millionen User zu erreichen. Das Radio habe als Medium ganze 38 Jahre gebraucht, um diese Benutzermarke zu erreichen. Zahlen wie diese belegten auch, so Langer, dass CIOs und ihre Organisationen gut daran tun, sich nicht an der Konkurrenz zu orientieren, sondern danach streben sollten, selbst das Feld anzuführen. Um das in die Tat umzusetzen, müssen CIOs laut Langer auf Prozesse setzen,

  • die mit deutlich kürzeren technologischen Lebenszyklen kompatibel sind,

  • die in der Lage sind, aufstrebende Technologien schneller abzubilden,

  • und die es ermöglichen, veränderte Kundenerwartungen genauso wie unternehmerische Risiken schneller zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren;

Dieses Tempo der digitalen Transformation zu halten, stellt diverse Unternehmen vor Herausforderungen - wenn sie digitale Transformation als Aneinanderreihung großangelegter Iniativen begreifen: "Es ist ermüdend von einem Programm zum nächsten zu hetzen, mit der Aussicht, dass das niemals endet", weiß CDO Mayberry. "Das Ziel ist vielmehr, eine Organisation aufzubauen, die sich jeden Tag ein kleines Stück verändert und jeden Tag ein kleines Stück besser wird. Die Transformation sollte eine konstante Veränderung in kleinen Schritten darstellen - nur so lassen sich Ermüdungserscheinungen vermeiden."

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.