Metaverse für CIOs

Große Business-Chance oder Hype?

Kommentar  24.06.2022
Von 
Martin Hofmann ist Advisor Strategic Customers bei Salesforce und berät dort seit August 2020 strategisch wichtige Großkunden bei ihrer digitalen Transformation. Zuvor führte er seit Dezember 2011 die Enterprise-IT im Volkswagen-Konzern, wo er seine Karriere 2001 als Leiter des Prozess- und Informationsmanagements in der Konzernbeschaffung begann. Vor seiner Zeit bei VW arbeitete er bei Electronic Data Systems Corporation (EDS). Hofmann absolvierte das Advanced Management Programm der Harvard Business School, hat einen Doktortitel in Ingenieurswissenschaften der ETH Zürich und einen Abschluss in Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre der Universität Mannheim.
Die Prognosen zum Potenzial des Metaverse sind vielversprechend und zeigen enorme Möglichkeiten auf, Produkte und Services auf das nächste Level zu heben.
Unternehmen sollten die neue Welt des Metaverse nicht isoliert betrachten, sondern ganzheitliche Lösungen entwickeln - hier bietet sich auch eine große Chance für CIOs.
Unternehmen sollten die neue Welt des Metaverse nicht isoliert betrachten, sondern ganzheitliche Lösungen entwickeln - hier bietet sich auch eine große Chance für CIOs.
Foto: thinkhubstudio - shutterstock.com

Das Metaverse wird als wichtiger Teil der nächsten Generation des Internet gehandelt, des sogenannten Web3. Menschen kommen mit ihren digitalen Avataren in dreidimensionalen Welten zusammen, um einzukaufen, zu spielen oder ein Konzert zu besuchen. Im Grunde sind Mixed- oder Virtual-Reality-Konzepte nichts Neues: So stellte Microsoft mit der HoloLens bereits ab 2016 interaktive 3D-Projektionen in der direkten Umgebung dar und die HoloLens wurde beispielsweise in der Automobilindustrie auch in verschiedenen Bereichen ausprobiert. Doch bis heute gelang beim kommerziellen Einsatz immersiver Erlebnisse noch nicht der Durchbruch. Kann sich das mit dem Metaverse ändern? Und was sollten Unternehmen dabei beachten?

Schicke Strandvilla, einzigartige Markenkleidung und ein schnelles Cabrio in der Garage – virtuelle Möglichkeiten versprechen Luxus, der den realen Alltag versüßt. Doch die Aussicht auf beständigen Erfolg versprechen Metaverse-Konzepte insbesondere dann, wenn sie sich nicht von der analogen Realität abkoppeln, sondern als ihre Erweiterung fungieren und den Kunden ins Zentrum stellen.

Ohne Realitätsbezug geht es nicht

Welches Potenzial die Kombination aus virtuellen und realen Kundenerlebnissen bietet, zeigt ein Beispiel aus der Automobilbranche. So kann beim Autokauf eine virtuelle Probefahrt weit größere Möglichkeiten eröffnen als die klassische vor Ort. Die Konfiguration des gewünschten Modells, die Fahrstrecke, sogar das Wetter können flexibel bestimmt werden, zudem ist die virtuelle Tour sicherer und umweltschonender. Dennoch werden potenzielle Käuferinnen und Käufer an einem bestimmten Punkt das Produkt persönlich begutachten wollen. Schließlich geht es um viel Geld. Kurz gesagt: Bei Themen von materieller oder emotionaler Relevanz wünscht sich der Mensch an einem bestimmten Punkt der Customer Journey den Bezug zur Realität. Es gibt zwar bereits heute ein immer größer werdendes Segment an Kunden, das ein Auto online kauft und bereit ist, die komplette Customer Journey nur virtuell zu erleben. Aber eben nur ein Segment.

Das ist nur ein Beispiel dafür, warum Unternehmen Kundenerlebnisse ganzheitlich weiterentwickeln sollten. Die reale Wahrnehmung eines Kunden kann dabei um einen virtuellen Aspekt erweitert werden, ohne zu versuchen, sich langfristig von der Wirklichkeit abzutrennen. Beispielsweise lässt sich bei einem physischen Produkt in einer virtuellen Umgebung beliebig Farbe oder Form ändern – so hat die virtuelle Anprobe bereits bei vielen Online-Shops Einzug gehalten, etwa im Optiker-Bereich. Eine virtuelle Brille ist jedoch kein Ersatz für eine echte. Unternehmen sollten kreativ je nach Geschäftsmodell nach Wegen suchen, wie sie das Beste aus beiden Welten sinnvoll verbinden können.

CIOs als proaktive Moderatoren

Bei der Entwicklung von Visionen und Piloten rund um die neuen Möglichkeiten des Metaverse kann und sollte die IT-Abteilung eine proaktive Position einnehmen. Denn wer beispielsweise ein Wunschfahrzeug für eine Probefahrt konfigurieren möchte, braucht Daten aus unterschiedlichsten IT-Systemen und Abteilungen im Unternehmen, von der Entwicklung und Produktion bis gegebenenfalls in den Handel. Produktdaten müssen in die virtuelle Welt überführt, verändert und zurückgespielt werden – und nicht zuletzt mit den Daten der potenziellen Käufer:innen verknüpft sein. Diese große Chance sollten CIOs nutzen und eine aktive Position einnehmen: Hier gilt es, mit dem Verständnis der Komplexität eines solchen Vorhabens proaktiv Vorschläge zu erarbeiten, und nicht nur auf Impulse aus den Geschäftsbereichen ihrer Unternehmen oder von externen Akteuren zu warten.

Anders formuliert sieht es leider in vielen Unternehmen so aus: Marketingfachkräfte und Vertriebsleiter:innen durchkämmen das Silicon Valley auf der Suche nach Inspiration dazu, wie sie die nächste große Innovation umsetzen können. Sie treffen auf Visionäre und Tech Companies, mit Ideen und Produkten. Aber bei der Definition und Umsetzung einer Strategie für das Metaverse, die tatsächlichen Mehrwert generiert, kommt die Schlüsselrolle modernen CIOs zu.

Insofern sollten CIOs jetzt aktiv werden, auf ihre Kolleg:innen in Marketing und Vertrieb zugehen und gemeinsam mit Technologie-Partnern Ideen als Proof of Concept aufbereiten. Bestenfalls fungieren sie als Moderator zwischen Business-Opportunity und Hype und als Treiber von konkreten Maßnahmen. Sie initiieren den Dialog zwischen Fachabteilungen und Anbietern im Markt. Mit fundiertem Wissen über IT-Architekturen und anhand von Anwendungsbeispielen können sie ihre Unternehmen an die Hand nehmen, informieren und aufzeigen, welche Möglichkeiten das Metaverse und Web3 tatsächlich bieten und wie ein erster Produkt- oder Service-Entwurf aussehen könnte.

Im nächsten Schritt sollten dann die passende Integrations-Architektur entwickelt und neue virtuelle Kunden-Kontaktpunkte in einer Datenplattform mit 360-Grad-Sicht verknüpft werden, um die Entwicklung dieser Produkte und Services zu gewährleisten. Außerdem können bestehende Strukturen und Angebote wie Entwicklungsabläufe oder Verkaufsprozesse durch eine mehrdimensionale Erweiterung die Customer Experience abrunden und den Kunden perfekt individualisierte Produkte anbieten. Dabei wird jede Präferenz dem Kundenprofil hinzugefügt, um ihn besser zu verstehen und ihm individuelle Angebote machen zu können, die ihn begeistern. Wie gut es einem Unternehmen zukünftig gelingt, die virtuelle und die reale Welt in einer durchgängigen, auf den Kunden zugeschnittenen Customer Experience zu vereinen, ist erfolgsentscheidend und differenzierend.

Unternehmen und insbesondere CIOs sollten die Chance ergreifen, ein virtuelles Rundum-Erlebnis für ihre Kunden zu generieren, welches das virtuelle Metaverse mit der realen Welt verknüpft, mit einer Kundendatenplattform im Zentrum. Es empfiehlt sich, nicht abzuwarten, sondern jetzt zu handeln, denn noch steckt das Metaverse in den Kinderschuhen – gemeinsam können IT- und Fachabteilungen ihr Unternehmen als Vorreiter positionieren. (fm)