In dem Maße, in dem Unternehmen sich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt bewusster werden, wird es immer beliebter, Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit in die Betriebsabläufe einzubinden. Von Windturbinen über die Nutzung der Abwärme von Serverräumen bis hin zum CO2-Ausgleich via "Plant a tree"-Initiativen sind Unternehmen weltweit und auch in Deutschland zunehmend an der Verbesserung der Nachhaltigkeit ihrer Praktiken interessieren. Ob dieses Interesse rein finanzieller Natur (Greenwashing) ist oder tatsächlicher Überzeugung entspringt, kann dabei sicherlich in vielen Fällen trefflich debattiert werden.
Einer der neuesten Trends in dieser Hinsicht ist das Green Recruiting, das viele Diskussionen ausgelöst hat. Ist "grünes" Recruiting nur ein vorübergehender Trend oder wird es sich auch langfristig durchsetzen? In diesem Beitrag untersuchen wir das Konzept des Green Recruiting und beurteilen, ob es sich um einen dauerhaften Trend handelt oder nicht.
Was bedeutet Green Recruiting?
Einfach heruntergebrochen bezieht sich Green Recruiting darauf, umweltfreundliche und nachhaltige Praktiken in den Bewerbungs- und Einstellungsprozess beziehungsweise die HR-Abteilung im Generellen zu integrieren. Dies deckt eine Vielzahl an (je nach Anwendungsfall mal mehr mal weniger praktikablen) Möglichkeiten ab. Beispiele dafür sind:
Videokonferenzen anstelle von Vor-Ort-Gesprächen,
eine verstärkte Nutzung digitaler Kommunikation und Tools, um den Papierverbrauch zu verringern, oder
Kandidaten mit Erfahrung in Nachhaltigkeit und Umweltschutz priorisiert zu berücksichtigen.
Zusätzlich bedeutet es, Nachhaltigkeitsprojekte und Umweltschutzaspekte, die im Unternehmen verankert sind oder geplant sind, in die Bewerbungsprozesse zu integrieren, frei nach dem Motto "Tue Gutes und sprich darüber".
Welche Vorteile hat Green Recruiting?
Es gibt einige positive Aspekte, die eine Umstellung der Bewerbungsprozesse auf Nachhaltigkeit für Sie mit sich bringt. Der offensichtlichste Punkt ist, dass es dem Unternehmen hilft, Kosten und Ressourcen zu sparen und Treibhausgasemissionen zu verringern. Einsparungen, die mit der Umstellung von Papier auf digitale Unterlagen einhergehen, fallen ebenso unter diesen Aspekt wie entfallende Kosten für die Anreise von Bewerbenden.
Jenseits dieser direkten finanziellen Auswirkungen gibt es allerdings weitere Punkte, die aus meiner Sicht für die meisten Unternehmen hinsichtlich Recruiting um einiges relevanter sein dürften: Einerseits wäre das der Ruf und das "Brand Image" des Unternehmens, welche positiv konnotiert werden. Gerade in Zeiten, in denen Umweltschutz und ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln einen immer stärkeren Stellenwert erfahren, ist die Ausstrahlwirkung damit einhergehender Maßnahmen nicht zu unterschätzen.
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Andererseits bietet Green Recruiting die Möglichkeit, in Zeiten des Fachkräftemangels einen klaren USP für sich gegenüber Bewerbenden zu generieren, für die die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz einen wichtigen Stellenwert haben. Dies dürfte vor allem bei tendenziell jüngeren Personen der Fall sein, da die langfristige Sicherstellung einer möglichst intakten Umwelt für diese eine direkte Relevanz aufweist.
Darüber hinaus liegt die Vermutung nahe, dass an Nachhaltigkeit interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein verstärktes Interesse an Innovation und ein höheres Engagement aufweisen. Gerade vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfähigkeit sowie der Mitarbeiterbindung stellt dies einen nicht zu unterschätzenden Begleitaspekt dar.
Alles in allem kann Green Recruiting also Unternehmen helfen, ihre Bewerbungsprozesse an übergeordnete Nachhaltigkeitsziele anzupassen sowie eine umweltfreundlichere Umgebung für ihre Angestellten zu schaffen. Und dadurch letztendlich Talente anzusprechen und zu binden, für die diese Aspekte wichtig sind.
Herausforderungen des nachhaltigen Personalmanagements
Selbstverständlich gibt es auch bei der Umstellung auf nachhaltiges Recruitment einige Probleme und Themen, die wir nicht außen vor lassen sollten. Zum Einen ist die Umstellung in vielen Fällen mit einem nicht unbeträchtlichen initialen Aufwand und Kosten verbunden, die für manche Unternehmen prohibitiv sein könnten. Zum Beispiel wird die Umstellung von einer liebgewonnenen Zettelwirtschaft auf Tablets neben den reinen Hardwarekosten teils gravierende Änderungen für die Workflows mit sich bringen. Organisatorische und prozessuale Begleitthemen wie Trainings, die Erarbeitung neuer best practices und Richtlinien tragen zu einem beträchtlichen weiteren Aufwand bei, ganz zu Schweigen davon, dass auch der Datenschutz und die Regulierungen durch die DSGVO bedacht werden müssen.
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Je nach der individuellen Zielsetzung, die ein Unternehmen mit der Umsetzung von Green Recruiting verbindet, können die folgenden weiteren Punkte entweder irrelevant oder aber direkte Dealbreaker sein.
Zum Einen geht es um Glaubwürdigkeit: Wenn Firmen Green Recruiting rein propagieren, um Greenwashing zu betreiben, wird sich das am Markt schnell herumsprechen. Vor allem in Fällen, bei denen der Hauptfokus eines Unternehmens sich gerade nicht um Nachhaltigkeit dreht sondern um Prozesse, die diesem diametral entgegengesetzt sind, kann sich dies sogar negativ auf die Marke und das Arbeitgeberimage auswirken. Das Markenimage sollte zumindest in Ansätzen die Realität widerspiegeln, da im Zweifelsfall eine klare Kante erfahrungsgemäß besser ist als ein notdürftiges Feigenblatt.
Zum Anderen stellt sich die Frage, inwieweit Green Recruiting der Firma einen nennenswerten Vorteil beim Kampf um Talente verschafft. Da es sich dabei um ein relativ neues Thema handelt, gibt es diesbezüglich noch keine extensiven Studien.
Zudem ist bei der Suche nach an Nachhaltigkeit interessierten Kandidatinnen und Kandidaten die entsprechende Einschränkung des Pools wichtig. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels dürfte die Frage, ob ein Bewerber oder eine Bewerberin ein großes Interesse für Nachhaltigkeit zeigt, gegenüber Punkten wie Skills, Erfahrung und Gehaltswunsch zweitrangig sein.
Green Recruiting in der Praxis
Aus meiner persönlichen anekdotischen Erfahrung als SAP-Personalberater habe ich grünes Recruiting bis dato vorrangig als Goodie erlebt. Aktive Nachfragen seitens der Kandidatinnen und Kandidaten erlebe ich noch relativ selten und spreche das Thema daher im Einzelfall selbst an. Entsprechend sind in aller Regel andere Punkte deutlich stärker gewichtet: Das Gehalt vorweg, danach Punkte wie Remote Work, Unternehmenskultur, regionaler Standort, Karrieremöglichkeiten und die generelle Vereinbarung von Arbeit und Privatleben sind noch immer die must haves. Wobei ein E-Auto als Firmenwagen selbstverständlich ein wichtiges Kriterium darstellen kann. Wenn dann noch ein ökologisch zentriertes Handeln aufgezeigt wird, wird dies normalerweise als Kirsche on top wahrgenommen.
Welche Handlungsempfehlungen leite ich daraus ab? Einerseits bin ich mir sicher, dass Green Recruiting momentan noch am Anfang steht. Das bedeutet aus meiner Sicht, dass es auf jeden Fall Sinn macht, früh erste Anwendungsfälle zu identifizieren. Und als Testfall diejenigen davon zu realisieren, die das Unternehmen mit überschaubaren Kosten und geringem Aufwand umsetzen kann. So besteht die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und je nach Resultat weitere Punkte anzugehen. Gerade, da nachhaltiges Personalmanagement noch jung ist, haben Unternehmen damit ein zusätzliches Differenzierungsmerkmal.
Gleichzeitig empfehle ich entschieden, das Thema Green Recruiting gegenüber den Bewerberinnen und Bewerbern nicht als alleinigen Dreh- und Angelpunkt zu präsentieren, außer Ihr Unternehmen ist sehr stark und glaubhaft auf die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz fokussiert. Präsentieren Sie Nachhaltigkeit als spannende zusätzliche Facette neben den Benefits, die Ihr Unternehmen als modernen und zukunftsorientierten Arbeitgeber auszeichnet. (bw)