Aufstieg

Gestern IT-Profi, heute Chef

27.03.2014
Von Stefan Bald
In den ersten 100 Tagen nach dem Antritt einer Führungsposition legen Chefs die Basis für den künftigen Erfolg. Hier einige Tipps, die Führungskräfte bei der Übernahme einer neuen Abteilung beherzigen sollten.

Ein 33-jähriger Informatiker wird zum Leiter der IT-Abteilung ernannt. Voller Elan geht er ans Werk. Flugs gestaltet er in den ersten Tagen zentrale Arbeitsabläufe in der Abteilung um. Zudem streicht er die gewohnten Besprechungen am Wochenanfang, die er als Zeitverschwendung empfindet. Danach beschäftigt er sich wochenlang vor allem mit dem Austüfteln eines neuen Projekt-Management-Systems. Mit ihm möchte er Pluspunkte bei der Firmenleitung sammeln. Anfangs lassen sich die Mitarbeiter vom Elan ihres neuen Vorgesetzten inspirieren. Hoch motiviert arbeiten sie in den ersten drei, vier Wochen. Denn bei einem Führungswechsel werden oft auch die Karten neu gemischt. Folglich möchte jeder beim neuen Chef punkten. Doch dann fällt ihre Leistung spürbar ab. Was ist passiert?

Wer nach dem Aufstieg zum Chef weitgehend mit sich beschäftigt ist und nicht auf seine Mitarbeiter eingeht, kann schnell abstürzen.
Wer nach dem Aufstieg zum Chef weitgehend mit sich beschäftigt ist und nicht auf seine Mitarbeiter eingeht, kann schnell abstürzen.
Foto: Serg Nvns - Fotolia.com

Mitarbeiter als Mitstreiter gewinnen

Ein zentrales Versäumnis des neuen Chefs war, dass er seine Mitarbeiter nicht „ins Boot“ holte. Er informierte sie weder über seine Arbeit, noch nutzte er ihre Erfahrung. Deshalb fragten sich seine Mitarbeiter irgendwann: Womit beschäftigt der sich eigentlich den ganzen Tag? Der neue Leiter der IT-Abteilung vermittelte seinen Mitarbeitern auch keine Vision, wie sich die Zusammenarbeit künftig gestalten sollte. Er verständigte sich mit ihnen auch nicht auf Ziele, die es bei der gemeinsamen Arbeit zu erreichen gilt.

Also legten sich die Mitarbeiter zwar anfangs ins Zeug, um dem Neuen zu signalisieren: Ich bin ein guter Mann beziehungsweise eine gute Frau. Doch dann registrierten sie: Unser neuer Chef interessiert sich kaum für uns und unsere Arbeit; er ist weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Also schalteten sie ein, zwei Gänge herunter. Ihr anfänglicher Elan erlahmte – auch weil ihnen die nötige Orientierung im Arbeitsalltag fehlte. Wie können junge Manager so einen Start vermeiden? Eine Führungskraft sollte in der Startphase, bevor sie Dinge umkrempelt, in Gesprächen mit ihren Mitarbeitern zunächst Folgendes ermitteln:

  • Wie war die Arbeit bisher strukturiert und organisiert?

  • Von welchen Maximen ließen sich die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit leiten?

  • Welche Wünsche und Vorstellungen haben sie bezüglich der künftigen Zusammenarbeit?

Danach sollte der neue Chef seinen Mitarbeitern vermitteln,

  • inwieweit ihre Erwartungen realistisch sind,

  • welche (übergeordneten) Ziele es bei der Zusammenarbeit zu erreichen gilt und

  • welche Rolle sie selbst beim Erreichen der gemeinsamen Ziele spielen.

Die Führungskraft sollte zudem mit jedem Mitarbeiter im Vier-Augen-Gespräch klären: Wo stehen Sie? Wo wollen Sie hin? Und: Was brauchen Sie, um diese Ziele zu erreichen? Erst wenn sie diese Informationen hat, sollte sie Abläufe und Zuständigkeiten neu definieren – und zwar so, dass die Mitarbeiter danach ihren Beitrag zum Erreichen der übergeordneten Ziele leisten können. Dabei sollten sich Führungskräfte stets vor Augen führen: Ihre Leistung wird an der ihres Teams gemessen. Folglich sind ihr beruflicher Erfolg und ihr berufliches Fortkommen, so paradox es klingt, weitgehend abhängig von den Personen, die ihnen untergeben sind. Das ist vielen jungen Führungskräften nicht hinlänglich bewusst.

Auf Führungsaufgaben konzentrieren

Der neue Leiter der IT-Abteilung beging noch einen Fehler: Er verwendete (oder verschwendete) die meiste Energie für Fachaufgaben. Diese sollte er nur angehen, wenn außer ihm niemand dazu imstande ist. Sonst fehlt die Zeit für Führungs- und Steuerungsaufgaben. Hierzu zählen unter anderem alle Gespräche, die ein Chef mit den Mitarbeitern führt, damit diese ihren Beitrag zum Erreichen der Bereichs-/Unternehmensziele leisten (können). Die hierfür benötigte Zeit wird oft unterschätzt.

Arbeitsanalysen zeigen: Die meisten Führungskräfte verbringen 80 Prozent ihrer Zeit mit Fachaufgaben; nur zu jeweils zehn Prozent sind sie mit Management-Aktivitäten beschäftigt. Dabei sollte das Verhältnis nahezu umgekehrt sein. Als Kompass gilt: Führungskräfte sollten höchstens 20 Prozent ihrer Zeit für Fachaufgaben verwenden, 40 Prozent jeweils für Steuerungs- und Führungsaufgaben.

Chefs werden nicht dafür bezahlt, Fachaufgaben zu erfüllen. Leistung sicherstellen Hauptaufgabe einer Führungskraft ist, dafür zu sorgen, dass jeder Mitarbeiter seinen Beitrag dazu leistet, dass der Bereich beziehungsweise das Unternehmen seine Ziele erreicht. Doch wie lässt sich die hierfür nötige Leistung bei den Mitarbeitern erzeugen? Das wissen junge Führungskräfte oft nicht. Unabdingbar hierfür ist, dass sie mit ihren Mitarbeitern regelmäßig über ihre Erwartungen an sie sprechen. Vor diesen Gesprächen sollten sich Führungskräfte überlegen:

  • Wie kann ich dem Mitarbeiter die Ziele, die er bei seiner Arbeit erreichen soll, so vermitteln, dass er ihre Wichtigkeit erkennt? Wie motiviere ich ihn dazu, dass er die für das Erreichen der Ziele nötigen Dinge wirklich tut?

In diesen Gesprächen sollten Führungskräfte folgende Regel beherzigen: Stellen Sie nie das Ziel, das es zu erreichen gilt, zur Diskussion. Denn dieses ist nicht verhandelbar! Sprechen Sie mit den Mitarbeitern nur über den Weg, wie sie dieses Ziel erreichen möchten. Wenn ein Mitarbeiter mitentscheiden kann, wie er beim Erreichen der gesteckten Ziele vorgeht, ist er in der Regel motivierter, als wenn ihm jeder Arbeitsschritt vorgeschrieben wird. Außerdem entlastet es die Führungskraft, wenn ihre Mitarbeiter weitgehend selbständig entscheiden, wie sie ihre Aufgaben erfüllen.

Ziele und Kontrolle

Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Arbeitsanweisungen sinnvoller als Zielvorgaben sind – zum Beispiel bei extremem Zeitdruck. Wenn ein Schiff sinkt, kann der Kapitän nicht mit der Mannschaft darüber diskutieren, ob die Rettungsboote ins Wasser gelassen werden. Er muss knappe und präzise Befehle erteilen. Intelligente Mitarbeiter akzeptieren das. Eine Führungskraft sollte daher ihr Verhalten stets der jeweiligen Situation anpassen, aber auch dem jeweiligen Gegenüber. Wenn ein Mitarbeiter eigeninitiativ nicht die erforderliche Leistung bringt, dann muss sie ihn an der „kurzen Leine“ führen – also weitgehend mittels Arbeitsanweisungen.

„Ziele vereinbaren“ oder „Anweisen“ ist jedoch nur der erste Schritt als Chef. Denn wenn ein Mitarbeiter das Ziel kennt, muss er auch seine Aufgaben erfüllen. Dieses Umsetzen beziehungsweise das Erreichen von Teilzielen sollten Führungskräfte kontrollieren. Denn sonst können sie irgendwann nur noch registrieren: Die Ziele wurden nicht erreicht. Ein Gegensteuern ist dann nicht mehr möglich. „Kontrollieren und steuern“ lautet folglich der zweite Schritt. Die Kontrolle kann sich, je nach Mitarbeiter und Bedeutung der Aufgabe, auf das Erreichen bestimmter Teilziele oder das Umsetzen der hierfür nötigen Arbeitsschritte beziehen. Was der Situation und dem Mitarbeiter angemessen ist, müssen Führungskräfte jeweils neu entscheiden. Klar sollte ihnen aber sein: Ein Mitarbeiter, den sie an der kurzen Leine führen müssen, verursacht ihnen Mehrarbeit. Deshalb ist seine Arbeit weniger wert. Das sollten sie ihm, sofern nötig, auch sagen.

Führungskräftetrainer Stefan Bald, Kraus & Partner:"Wer alles anders machen will als sein Vorgänger, provoziert Widerspruch."
Führungskräftetrainer Stefan Bald, Kraus & Partner:"Wer alles anders machen will als sein Vorgänger, provoziert Widerspruch."
Foto: Kraus & Partner

Auf die Kontrolle folgt im Regelkreis des Führens das Anerkennen oder Kritisieren der Mitarbeiterleistung. Doch wie erkennt eine Führungskraft, ob die Leistung von Mitarbeitern angemessen ist? Und soll sie diese für alles Erreichte und Getane loben? Die Antwort lautet: Jein. Führungskräfte sollten zwischen Lob und Anerkennung sowie Tadel und Kritik unterscheiden. Lob und Tadel sind immer persönlich und allgemein. Anerkennung und Kritik hingegen beziehen sich auf eine bestimmte Leistung. Deshalb sollten sie stets sachlich und konkret sein. Anerkennung und Kritik sollten Führungskräfte in der Regel nur unter vier Augen äußern.

Keine vorschnelle Entscheidung

Ein letzter Tipp für frischgebackene Führungskräfte: Im Alltag führen meist viele Wege zum Erfolg. Nur einer nicht: Von Anfang an alles anders machen zu wollen als der Vorgänger. Wer so handelt, provoziert in der Regel Widerstand. Außerdem fehlen neuen Führungskräften in einer Abteilung dazu meist die erforderlichen Informationen.

Treffen Sie deshalb, wenn Sie eine neue Führungsposition antreten, in den ersten zwei, drei Wochen keine wegweisenden Entscheidungen. Bemühen Sie sich vielmehr, die Arbeitsweise und die Handlungsabläufe in Ihrer neuen Abteilung kennenzulernen. Und sagen Sie Ihren neuen Mitarbeitern das – selbst wenn diese Sie mit Anfragen wie „Chef, wie geht es weiter?“ bestürmen. Viele Führungskräfte haben sich schon ihr Grab geschaufelt, indem sie in der Startphase vorschnell weitreichende Entscheidungen getroffen oder ihren Mitarbeitern Versprechen gegeben gaben, die sie dann nicht einlösen konnten.