Die Bundesregierung hat am 21. Oktober 2020 einen Gesetzentwurf zur Reform des Verfassungsschutzrechts beschlossen, der nicht überall gut ankommt. Das Kabinett stimmte einem Vorschlag des Bundesinnenministeriums zu, wonach Bundesverfassungsschutz, alle 16 Landesämter für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) - sanktioniert durch das TKÜ - Dienste wie Facebook Messenger oder WhatsApp via Staatstrojaner überwachen dürfen.
Der Gesetzentwurf war im Juni 2020 in zweiter Auflage von Bundesinnenminister Horst Seehofer vorgelegt worden, nachdem der Koalitionspartner SPD den ersten Entwurf vom März 2019 nicht mittragen wollte. Da die Quellen-TKÜ aber nur nach einer richterlichen Anordnung in die Wege geleitet werden kann und die Kontrolle einer Überwachungsmaßnahme durch zusätzliche Mitglieder in der zuständigen G10-Kommission des Bundestages stattfinden wird, hat nun auch die SPD eingelenkt. Die Kommission bekommt zudem einen technischen Berater an ihre Seite gestellt.
Seehofer geht gegen "extremistische Geschwüre" vor
Seehofer zeigt sich in einer Mitteilung hochzufrieden: "Ich kann nicht akzeptieren, dass unsere Sicherheitsbehörden den Feinden unserer Demokratie wegen mangelnder Befugnisse hinterherlaufen." Das Gesetz sei ein überfälliger "Schritt im Kampf gegen Terroristen und militante Extremisten". Deutschland brauche einen Verfassungsschutz, der auch im digitalen Zeitalter "sehen und hören" könne. Nur so könne man den "extremistischen Geschwüren in unserer Gesellschaft" etwas entgegensetzen.
Wie Netzpolitik.org kritisch anmerkt, findet sich allerdings im Gesetzentwurf nirgends die zuvor diskutierte mögliche Beschränkung auf Fälle, in denen Gefahr im Verzug sei, beispielsweise wenn ein terroristischer Anschlag erwartet werde. Die Landesämter könnten nun theoretisch alle Personen und Organisationen ausspionieren, die sie derzeit beobachten.
"Rückschritt für Digitalisierungsprozesse"
Auch der Internet-Verband eco ist alles andere als andere als glücklich - vor allem hinsichtlich der neuen Verpflichtungen für Internet-Provider. Sie müssen die Ermittlungsbehörden bei der Installation des Staatstrojaners unterstützen. "Bei allem Verständnis für die Aufgaben und Belange der deutschen Nachrichtendienste: Dieses Gesetz wird zu einer Gefährdung der IT-Sicherheit im Internet, wenn nicht gar zu einem Vertrauensverlust und klarem Rückschritt für alle Digitalisierungsprozesse in Gesellschaft und Wirtschaft führen", orakelt eco-Vorstand Klaus Landefeld.
Das gelte insbesondere, wenn sich der Staat sogenannter Zero-Day-Exploits bediene, um die Staatstrojaner zu platzieren. Das Ausnutzen solcher Sicherheitslücken bedeute ein hohes Risiko sowohl für Unternehmen als auch für Bürgerinnen und Bürger. Es dürfe nicht zur gängigen Praxis in der nachrichtendienstlichen Arbeit werden. "Die Anwender werden durch die ausgeweiteten Mitwirkungs- und Zusammenarbeitsverpflichtungen der Provider mit erheblichen Verlusten der Vertraulichkeit und Integrität Ihrer digitalen Kommunikation konfrontiert", mahnt Landefeld.
...nichts anderes als eine Online-Durchsuchung
Auch wenn sie zeitlich begrenzt vorgenommen werde, stelle die Überwachung per Staatstrojaner - auch "Quellen-TKÜ Plus" genannt - eine Online-Durchsuchung von Geräten mit einem Zugriff auf die gespeicherten Daten der Nutzerinnen und Nutzer dar, warnt der eco-Vertreter. Alle technisch notwendigen Module und Methoden zum umfassenden Datenzugriff würden dabei auf die betroffenen Geräte installiert. Als rechtsstaatliche Schranke diene lediglich ein Verwertungsverbot von aufgefundenen Daten, die älter als das Datum der Anordnung sind.
"Das ist sowohl rechtsstaatlich als auch verfassungsrechtlich betrachtet in höchstem Maße unzureichend", mahnt Landefeld. "Ob diese Gesetzesänderung, bei der Grundrechte extrem eingeschränkt, eine Quellen-TKÜ verankert und nun auch noch die Durchsuchung gespeicherter Daten via Staatstrojaner eingeführt werden sollen, überhaupt verfassungsgemäß ist, werden bedauerlicherweise wieder einmal die Gerichte entscheiden müssen", fürchtet der eco-Sprecher. (hv)