"Wenn du im Job ein "No" hörst, sag einfach du hättest ein "Go" gehört - und mach dein Ding." Dieses Zitat aus der Abschluss-Keynote des Autors und Gründers Sam Conniff bringt nicht nur die knapp 250 Teilnehmer der diesjährigen #ubx Konferenz in den Münchner Räumen der Agentur virtual identity zum Lachen. Es spiegelt auch recht anschaulich wider, mit welchem Spirit Teilnehmer, Speaker und Macher der #ubx Konferenz einen spannenden und erkenntnisreichen Konferenztag gestalten konnten. In insgesamt acht Sessions und elf Breakouts durften sich die Teilnehmer im umgebauten Büro der gastgebenden Agentur rund um das Motto "Creating Digital Opportunities" austauschen, aufschlauen und vernetzen. Mit dabei: Eine Paneldiskussion mit Siegern und Finalisten des DIGITAL LEADER AWARD 2019, den IDG, das Medienhaus hinter der COMPUTERWOCHE, gemeinsam mit NTT Deutschland 2016 in Leben gerufen hat.
Bevor jedoch die Digital Leader*innen aus unserem Award diskutieren durften, eröffnete Tom de Bruyne, der sich mit seiner Amsterdamer Agentur SUE auf Behavioural Design spezialisiert hat, den Konferenztag. . Im Kern seines Vortrags "Psychological Innovation: The future of innovation is psychological, not technological" geht es de Bruyne darum, dass keine digitale Kundenerfahrung funktionieren kann, ohne das Verhalten der Kunden zu verstehen. Anhand einiger Beispiele aus der digitalen Realität veranschaulichte er das, am plakativsten vielleicht an einem Framing-Beispiel von Apple: Während Apple-Kunden mit ihren Hard- oder Software-Problemen an die Genius Bar gehen, laufen Kunden anderer Hersteller an den Helpdesk. Die Psychologie hinter diesem Frame ist simpel: Es muss schon ein gigantisches Problem sein, wenn es zu dessen Lösung ein Genie braucht, während Kunden am Helpdesk sprichwörtlich als "doof" dastehen, weil sie ihr Problem nicht selbst gelöst bekommen. Es gehe darum, welche Worte in den Köpfen der Menschen andere Worte aktivieren, sagt de Bruyne.
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"Überforderung ist kein Problem, sondern der Default-Modus unserer Zeit"
Die zweite Keynote des Tages drehte sich dann weniger um die Psychologie in der digitalen Kommunikation, sondern beschäftigt sich mit dem blanken Überleben im digitalen Zeitalter. SZ-Journalist und Autor Dirk von Gehlen teilte nämlich mit den Teilnehmern der #ubx auf charmante und unterhaltsame Art einige Erkenntnisse aus seinem Buch "Das Pragmatismus-Prinzip". Dessen Titelheld, der sog. Shruggie (das Emoticon für "Achselzucken"), ist für den Autor das primäre Instrument zur Bewältigung der digitalen Überforderung und steht als Personifikation der Ambiguitätstoleranz im Zentrum der Keynote.
"Überforderung ist kein Problem, sondern der Default-Modus unserer Zeit", erklärt Dirk von Gehlen den Teilnehmern dazu. Für ihn ist die Kompetenz, mit den stetig komplexer werdenden Zusammenhängen des Digitalen und der resultierenden Überforderung umzugehen, eine zentrale Fähigkeit im digitalen Zeitalter. Diese Fähigkeit, den vom Emoticon dargestellten Pragmatismus mit Leben zu füllen, bezeichnet von Gehlen als "Kulturpragmatismus" und meint damit einen spielerischen und von "Trial and Error" geprägten Umgang mit digitalen wie analogen Themen. Am Ende seines Vortrags gibt Dirk von Gehlen den Teilnehmern dafür eine Reihe von Handlungsempfehlungen mit auf den Weg, von denen uns zwei besonders im Gedächtnis geblieben sind:
1. "Übe das Vuja-de!" Anders als beim klassischen Deja-vu meint das Vuja-de die Fähigkeit, Neues im Bekannten zu entdecken.
2. "Tue etwas, das du hasst!" Darauf lässt sich ein bekanntes Zitat des amerikanischen Psychologen und Philosophen William James herunterbrechen. Er schrieb: "Die größte Revolution unserer Zeit dürfte die Entdeckung gewesen sein, daß die Menschen durch die Änderung ihrer Geisteshaltung die äußeren Umstände ihres Lebens ändern können. Und dafür sollte jeder jeden Tag zwei Dinge tun, die er hasst, zur Übung."
Speziell mit Blick auf Leadership und kulturellen Wandel im digitalen Zeitalter ging dann der letzte Keynoter des #ubx-Vormittags in die Vollen: Sudan Martin Jackson, der bei REWE Digital als Manager Organisational & Cultural Development dafür verantwortlich ist, den kollaborativen Rahmen dafür zu schaffen, den die digitalen Teams der REWE Digital für kundenzentrisches Arbeiten benötigen. Sein Credo: "Sei kein Boss, sondern Teil dessen, was um dich herum geschieht." Ein guter Rat, der nicht nur viel Zustimmung unter den Teilnehmern fand, sondern auch die dem Vortrag folgende Diskussionsrunde zu Digital Leadership vorbereitete.
Vom Zulassen und Loslassen
Moderiert von COMPUTERWOCHE-Redakteur Martin Bayer drehte sich vor der Mittagspause die erste Paneldiskussion des Tages um die vermeintlich simple Frage "Wie wird man Digital Leader?" Da es wenig bessere Experten für eine solche Diskussion als Gewinner und Finalisten des DIGITAL LEADER AWARD geben kann, haben Veranstalter und Medienpartner mit Sylvia List (NTT Deutschland und Jurorin des DIGITAL LEADER AWARD), Uwe Linck (Lorenz), Dr. Carsten Jacobsen (BVG), Dennis Maier (CAIRO) und Thomas Henzler (Piller) Protagonisten aus dem Award-Jahrgang 2019 eingeladen.
Dabei drehte sich die Diskussion nicht nur um den Weg zur Digital Leadership, sondern auch um die dafür nötigen Skills und Charaktereigenschaften. "Ein Digital Leader ist jemand, der eine klare Vision vor Augen hat, den exakten Weg dahin aber noch nicht kennt. Er empowert auf dem Weg seine Mitarbeiter und lässt sie einfach machen. Dabei versetzt er sein Team in die Lage, der digitalen Herausforderung entgegenzutreten", beschreibt Sylvia List die Eigenschaften von Digital Leadern. Uwe Linck von der Lorenz GmbH, der als Vertreter des Gewinners in der Award-Kategorie STRATEGY an der Diskussion teilnahm, unterstrich das. Er sagt ebenfalls, dass es primär einer Vision bedürfe - und Menschen, die an diese Vision glaubten. Für Thomas Henzler, der für den Hersteller von Industriventilatoren Piller den dritten Platz in derselben Kategorie erlangte, geht es vor allem um den Mindset: Mitarbeiter müssen von Digital Leadern animiert werden, neu zu denken und die entsprechenden Freiräume dafür bekommen. Und was für den immens wichtigen kulturellen Part gilt, ist auch für die praktische Arbeit in Digitalprojekten unerlässlich. Oder, wie es Henzler formuliert: "Man kann Probleme nicht mit demselben Mindset lösen, mit dem sie geschaffen wurden."
Dass das oftmals Mut erfordert, neue Wege zu gehen, sieht auch Dennis Maier, der bei der CAIRO AG als Software Engineer und AI Researcher an KI-Projekten arbeitet -eines davon, das Projekt "Blueception" mit dem Großkraftwerk Mannheim, gewann beim DIGITAL LEADER AWARD 2019 den ersten Preis in der Kategorie PROJECT. Er sagt, dass man als Digital Leader den Mut brauche, Fehler zu machen und sie auch offen zu kommunizieren. Das Ziel sei, durch "Fail fast" zu besseren Lösungen zu kommen. Durch Mut zu besseren Lösungen zu kommen ist etwas, womit sich auch Dr. Carsten Jacobsen, der bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) als Abteilungsleiter IT-Betrieb dafür sorgt, dass es zumindest IT-seitig nicht zu Verzögerungen im Fahrplanablauf kommt, gut auskennt. Denn auch die BVG beteiligte sich mit einem spannenden und auf mehr Nachhaltigkeit im ÖPNV der Hauptstadt ausgelegten Big-Data-Projekt am DIGITAL LEADER AWARD, das von der Jury mit dem zweiten Platz in der Kategorie SOCIETY belohnt wurde. Jacobsens Kernsatz im Rahmen der Diskussion ist eine einfach klingende, aber ungemein schwierig zu praktizierende Erkenntnis: "Digital Leader müssen zulassen und loslassen können" - eine fast perfekte Zusammenfassung der Diskussion.
Der DIGITAL LEADER AWARD ist im Übrigen in diesen Tagen in seinen fünften Jahrgang gestartet. Interessierte Digital Leader, die uns eine spannende Digital-Story aus ihrem Unternehmen erzählen können, finden auf der Website zum Award alle relevanten Informationen sowie den Link zu unserer Bewerbungsplattform.
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Alexa, höre weg!
Der #ubx-Nachmittag beginnt nach einer ausgiebigen Mittagspause bei bestem Münchner Herbstwetter rund um den alten Thalkirchner Bahnhof mit einem ausgesprochen spannenden Projekt, das auf den Namen "Alias" hört. Project Alias sorgt dafür, dass smarte Speaker wie Amazons Alexa oder Googles Home ihre Besitzer nicht unbemerkt belauschen. Die beiden Macher Tore Knudsen und Bjørn Karmann bedienten sich für ihre Idee eines Konzepts aus der Natur, genauer gesagt aus dem Reich der Pilze: Der Cordyceps ist ein parasitärer Pilz, der zuvorderst Insekten befällt und deren Verhalten beeinflussen kann.
Ähnlich verhält sich das Maker-Projekt Alias. Der smarte Lautsprecher bekommt "huckepack" ein Gerät, das man sich selbst mit einem Raspberry Pi, kleinen Lautsprechern, einem 3D-Drucker und einigen anderen Bauteilen zusammenbaut (die Anleitung gibt es hier). Der Clou: Alias ermöglicht es, die eingebauten Mikrofone der Sprachassistenten Alexa und Google Home so zu stören, dass diese nicht mehr heimlich lauschen können. Vielmehr sorgt Alias selbst mit trainierbaren Kommandos (dafür wird eine Kleines neutrales Netz verwendet) für die Aktivierung der Assistenten und ersetzt so das altbekannte "Hey Google"- oder "Alexa, tu dies und das"-Kommando - und gibt den Besitzern die volle Kontrolle darüber, wann der smarte Lautsprecher lauschen darf und soll.
Im Anschluss an diesen eindrucksvollen Maker-Case präsentierten noch drei weitere Unternehmen eine Lösung. Die Budget-Airline easyjet zeigte den Teilnehmern in Person von Dan Young die "Look & Book"-App, die es ermöglicht, beispielsweise ein auf Instagram gefundenes Urlaubsfoto via Screenshot und etwas maschinellem Lernen in eine Flugbuchung zu genau der auf dem Foto befindlichen Destination zu verwandeln. Ein spannender Use-Case, der zeigt, wie Bilderkennung und das Nutzungsverhalten jüngerer User zu einer gewinnbringenden User Experience zusammenkommen können. Den zweiten von drei Kurzvorträgen brachten Anne-Kathrin Bedoy und Linda Schreurs von La Roche-Posay mit auf die Bühne: MySkinTrackUV. Das System, das aus einer App und einem UV-Sensor besteht, soll dabei die UVA- und UVB-Belastung messen und für Pflegetipps auch andere Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung oder Luftfeuchtigkeit heranziehen.
Die letzte Case Study des #ubx-Tages ist ein besonderer Cases, der aus digitaler Innovation einen medizinischen Nutzen schafft - und der in diesem Fall Schaden von Neugeborenen abwenden kann. Die App des kanadisch-nigerianischen Startups Ubenwa hilft dabei, anhand des Schreis von Neugeborenen mit maschinellem Lernen Irregularitäten wie Asphyxie zu erkennen. Rechtzeitig erkannt kann durch die schnelle und korrekte Behandlung die Schwere der Folgeschäden massiv reduziert werden. Dieses beeindruckende Projekt brachte die Forschungsleiterin des Startups, Samantha Latremouille, auf die Bühne. Tiefere Einblicke in die drei vorgestellten Lösungen gibt es zudem hier.
KI-Angst und Regulierung
Nach einer kurzen Pause stand die zweite Paneldiskussion des Programms an. Der Titel der Diskussion "Because (A)I can" blieb dabei nicht einfach nur Wortspiel, sondern bereitete den Boden für ein interessantes Gespräch, dass die beiden im Titel angedeuteten Perspektiven - die ethische (Soll künstliche Intelligenz alles können dürfen?) und die persönliche (Welche Skills und Geisteshaltung braucht man, um mit künstlicher Intelligenz sinnvoll umzugehen?) - aufzeigte. Die Diskutanten, Dagmar Schuller (audEERING), Christian Greb (PRECIRE) und Cindy Ricarda Roberts (Lehrstuhl für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München) hielten sich in ihrer Runde nicht lange damit auf, Definitionen für künstliche Intelligenz zu finden oder Metaebenen zu abstrahieren.
Vielmehr geht es um die konkreten Herausforderungen, beispielsweise hinsichtlich der Gedankenwelt in der Gesellschaft. Wann immer der Begriff KI aufkomme, hätten - so sagt es Christian Greb - die Menschen ihre Trigger im Kopf, die Angst und das Unbekannte überwiegen. "Das Mindset ändert sich aber trotzdem, auch wenn wir nicht die mutigste Gesellschaft sind. Rahmen und Korridore, in denen wir AI einsetzten können werden definitiv vielfältiger", ergänzt er. Cindy Ricarda Roberts findet indes, dass Unternehmen mehr für eine "Corporate Digital Responsibility" tun müssten - der Umgang mit Daten und dem transparenten Einsatz maschinellen Lernens sind dafür sehr geeignete Themen zur Veranschaulichung. Dagmar Schuller, CEO von audEERING, einem Spinoff der TU München, spricht sich - ganz im Sinne der von Christian Greb angesprochenen größer werdenden Einsatzkorridore - für einen neuen KI-Optimismus aus.
Dieser kann gerade die junge Generation erfassen und durch Transparenz Ängste adressieren, damit aus Vorbehalten echtes und gelebtes Nerdtum wird - ohne dabei fest verankerte Spielregeln im Umgang mit Daten und der Arbeit von Maschinen zu vergessen. Dass es nämlich Regulierung und ethische Leitplanken braucht, steht für die Diskutanten außer Frage. Mehr zu dieser Diskussion gibt es in einem Blogbeitrag zur #ubx 2019.
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How to be more Pirate?
Bevor die #ubx 2019 auf die Zielgerade einbiegt, durften sich die Teilnehmer der Veranstaltung noch im Rahmen einer ganzen Reihe von so genannten "Doing Sessions" austoben, Kontakte vertiefen und etwas Neues lernen. Der Katalog umfasste elf Sessions, die verschiedener kaum sein konnten und die auf die unterschiedlichsten Ecken der Räumlichkeiten verteilt waren. Bevor es für die Teilnehmer in die Sessions ging, pitchten zunächst die Moderatoren um das Interesse und natürlich die Gunst der Teilnehmer. Die Bandbreite der Angebote reichte dabei vom "Professional Rule Breaking" über den Nutzen von Public APIs, kreativem Schreiben oder einem Spaziergang an der nicht weit entfernten Isar bei bestem Herbstwetter. Was folgte, war eine knappe Stunde des angeregten Austauschs zu all den Themen, die im besten Sinne des Mottos der Konferenz digitale Opportunities kreieren sollten.
Sam Conniff, britischer Gründer und Autor des Buches "Be more Pirate" wartete nach den Doing Sessions dann als krönender Abschluss des Konferenztages. In einem maschinengewehrsalvengleichen Stakkato von Worten konnte der Autor nicht nur einen sehr unterhaltsamen Auftritt hinlegen, sondern hatte für die Teilnehmer aus seiner eigenen Biografie und auch seinem Buch wertvolle Einblicke dabei. Die vielleicht wichtigste Botschaft: Wer etwas verändern will, muss auch bereit sein, Regeln zu brechen. Conniff formuliert das - während er ein Bild der Statue für Millicent Fawcett, der vielleicht bekanntesten Vertreterin der Frauenwahlrechtsbewegung, an die Wand warf - so: "Noch nie in der Geschichte haben wir für jene Statuen aufgestellt, die sich an die Regeln gehalten haben."
Takeaways
Was wir von dem Konferenztag der #ubx 2019 mitnehmen, sind nicht nur viele spannende Gespräche, wertvollen Input aus einer Agenda mit tollen Sprechern und einem gelungenen Panel zu Digital Leadership, sondern vor allem, dass Veränderung - egal, ob im digitalen oder im analogen Raum - im Kopf beginnt. Mit der richtigen Mentalität, einem offenen, ambiguitätstoleranten Mindset und der Bereitschaft, Regeln zu brechen. Die nächste Ausgabe der #ubx Konferenz findet am15. Oktober 2020 und erneut in den Räumen von virtual identity statt.