Nun wird es ernst für die digitalen Pioniere in den Corporate Labs, Inkubatoren und Acceleratoren. Die ersten Jahre der Investments in die Startups kommen auf den Prüfstand. Die Bilanz dürfte ernüchternd ausfallen. Und so gehen Experten von Airbus bis Plug & Play davon aus, dass es zu einer Konsolidierung auf dem Markt der Corporate Acceleratoren kommen wird. "Wir werden ganz neue Formen des Open Innovation bei der Digitalisierung erleben. Die bisherige Vorgehensweise ist nicht optimal."
Scheinbar ist der Geduldsfaden in den Geschäftsführungen bei einigen Großunternehmen schon gerissen. "Was habt Ihr Ertragreiches bisher auf die Straße gebracht?", ist eine Frage, die deutlich macht: Corporate Startups werden der alten Management-Logik unterworfen - Kurz- und Mittelfristplanung statt der Weitsicht von Netzwerkeffekten dominieren weiterhin die Denkmodelle. "Wir lernen daraus, man muss die 'jungen Heißsporne' von Anfang an ganz eng führen. Wir fühlen uns immer mehr als Erzieher ", so der Leiter der Digitalisierung eines deutschen Elektronikkonzerns. Das Einnorden in die "alte Welt" geht weiter.
Die Statements entstammen einer Expertendiskussion auf der Junge IKT 2017-Konferenz. Dort war dann auch von den Vertretern zweier Großunternehmen zu hören, dass der Impact auf Innovationen bislang kaum eine Rolle spiele und der eigentliche Mehrwert eher im "Cultural Change" liege. Bei einem Unternehmen ist der Accelerator daher bereits mit der Corporate Leadership-Academy verbunden. "Sie tun uns gut, weil wir uns an ihnen reiben können", so der Repräsentant des Elektrounternehmens. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Vertreter der Acceleratoren, Labs und Inkubatoren sind sich einig, dass die Beziehung zwischen ihren Einheiten und der Organisation neu erfunden werden muss. Das Kernproblem liege darin, dass man die Start-ups als Lernfelder betrachte, statt sie auf Augenhöhe zu behandeln. "Der CEO und das Management schauen zwar gerne mal vorbei, nehme neue Arbeitsmethoden und vielleicht ein paar Inspirationen mit, aber die Umsetzung von weitreichenden Innovationsvorhaben wird kaum unterstützt."
Hauptaufgabe kultureller Wandel?
Und so stecken die digitalen Initiativen vor Ort, in Berlin, St. Gallen, München, Tel Aviv, im Silicon Valley usw. in dem Dilemma, dass sie derzeit hinsichtlich ihrer Innovations-Performance evaluiert werden, aber eigentlich kaum etwas wirklich Anderes, abseits des Kerngeschäftsmodells der Corporate realisieren dürfen. Daher hat sich die Ansicht verbreitet: Der eigentliche Mehrwert liege im kulturellen Wandel, der von ihnen ausgehe. Dies hat auch zur Folge, dass man brancheninterne, inkrementelle Innovationen statt branchenkonvergente disruptive Erneuerungen erreicht. Das eigentliche Potenzial dieser radikalen Ausprägung des Open Innovation kann nicht gehoben werden. Sicherlich, kultureller Wandel ist auch eine Leistung, doch das ist nicht die Vision der angeheuerten Startups und dafür gibt es andere Formate, wie Learning Journeys oder Design Thinking-Workshops.
Eine Ausnahme bilden Acceleratoren, die selbst als Investmentgesellschaften aktiv sind. Diese achten per se auf den Revenue-Stream, sodass sie sich à priori der alten Performance-Denkweise der Corporate unterordnen. Brav.
Emanzipiert euch!
Die Digitalteams sollten aus meiner Sicht fünf Punkte beachten, um disruptive Innovationen umsetzen zu können:
1. Strategisches Akzeptanzmanagement
Digitale Innovatoren haben Projekte vor, die Tabubrüche mit Strukturen, Prozessen und Mindsets innerhalb der Organisation und deren Umfeld bedeuten. Diese gilt es zu analysieren und eine Roadmap zu entwickeln. Der Ansatz und die Toolbox "Innovation Meets Organization" hat sich für digitale Entrepreneure als erfolgreich erwiesen. Auf diese Weise wird für das konkrete Projekt ein "Change Impact Report (CIR)" verfasst, der den Entscheidern in der Corporate vorgelegt wird. Auf diese Weise entsteht nicht nur ein Bewusstsein für die Marktakzeptanz (Business Case), sondern auch für den Reifegrad der Organisation: Ist sie in der Lage, das aussichtsreiche Vorhaben der Startups zu unterstützen? Zielgerichtete Interventionen bei skeptischen Personengruppen und bei blockierenden Strukturen sind dem Vorstand möglich.
2. Cross-Industry-Co-Working statt branchenimmanente Acceleratoren
Es ist bereits in vielen Unternehmen die Regel, dass Mitarbeiter Gelegenheit erhalten, in den Acceleratoren, Labs und Inkubatoren eine Zeit an Projekten zu arbeiten. Dies sollte nicht ein Benefit, sondern die Regel sein. Und die Startups sollten nicht als Erkundungsfelder verstanden werden. Es bietet sich an, Co-Working-Space auch im Corporate-Kontext einzurichten. In diesen sitzen dann aber nicht nur Mitarbeiter und Start-ups des eigenen Unternehmens, sondern aus multiplen Branchen, um gemeinsam an disruptiven Innovationen zu arbeiten. Auf diese Weise kann eine Normalisierung der Arbeitsbeziehung zwischen "den jungen Wilden" und den "alten Hasen" entstehen sowie radikale Erneuerungsprojekte mit Branchenfremden der Regelfall werden.
3. Noch mehr Tabubrüche durch Vorstandssalär und Interimsmanagement
Die Leiter von digitalen Innovationseinheiten sind teilweise sehr angepasst. In der Regel sind sie jung und stark in der Selbstvermarktung, doch nicht sehr erfolgreich in der Durchsetzung von Paradigmenwechseln gegenüber gestanden Führungskräften. Es ist zu empfehlen, das Gehalt der Leiter der Acceleratoren auf Vorstandsniveau anzuheben, abhängig zu machen von der Umsetzung disruptiver Innovationen und im Gegenzug die Verträge auf maximal drei Jahre zu befristen, sodass Execution und Beschleunigung entstehen kann.
Das Gehalt ist dahingehend legitim, da die Verantwortlichen der Start-up-Einheiten nicht nur ein bestehendes Unternehmen verwalten, sondern die Rolle des umsetzungsorientierten Unternehmers haben.
4. KPIs für das Middle Management zur Unterstützung der Startup-Projekte
Ein Berg von Prototypen stapelt sich in vielen Acceleratoren. Der Grund: Sie sind an "Geht Nicht"-Haltungen des Middle Managements in der Corporate gescheitert. Dieser Personenkreis benötigt Performance-Indikatoren, welche die Unterstützungsbereitschaft für disruptive Erneuerungsprojekte darstellen. Da die Beharrungskräfte und Vorbehalte in den mittleren Managementebenen sehr hoch sind, wird man an harten Faktoren zur Visualisierung der persönlichen, tiefgreifenden Erneuerungsfähigkeit nicht vorbeikommen.
5. Interne Kommunikation verpflichten: Digitale Entrepreneure dauerhaft "beleuchten"
Wo ist eigentlich die interne Kommunikation, wenn es um die Unterstützung der Corporate Startups geht? Ein Automobilzulieferer hat beispielsweise ein Digital Innovation Lab bei St. Gallen. Ein dort aktiver Verantwortlichen ließ wissen: "Man hat manchmal das Gefühl, die in Stuttgart haben vergessen, dass es uns hier gibt."
Ähnlich geht es mir, wenn ich im betahaus in Berlin arbeite und den dort tätigen "Kollegen" aus den Großunternehmen zu höre. Es fehlt der Scheinwerfer, der diesen Akteuren unternehmerischer Erneuerung eine kontinuierliche Relevanz verleiht. Sicherlich, hier und da wird über die Teams berichtet. Doch insgesamt existiert in den Unternehmen keine Gesamtstory zur digitalen Transformation, in der die Acceleratoren, Labs und Inkubatoren relevante Symbole des Wandels bilden. Das bedeutet auch: Keine Ergebnis-, sondern Prozesskommunikation. Führungskräfte und Mitarbeiter in der Organisation sollten über ESN und weitere Channels kontinuierlich im Loop sein und die Entstehungsprozesse radikaler Innovationen "hautnah" erleben. Diese Leistung können die Entrepreneure nur bedingt selbst stemmen. Die interne Kommunikation muss sich verändern (dürfen!) und eine Enabler-Rolle aktiv spielen.
Fazit
Sowohl auf Seiten der Acceleratoren, Labs und Inkubatoren als auch auf der Seite der tradierten Organisation gibt es Handlungsbedarf, wenn man disruptive Innovationen wirklich will. Einig sind sich die Experten aus den Corporate Start-ups zumindest in dem Punkt: An dieser Form des Open Innovation wird kein Weg vorbeigehen. Wir werden neue Blüten erleben.