Kreatives Arbeiten in Co-Working-Spaces, die zwanglose Kultur von Startups oder sich selbst organisierende Teams: Wo man hinblickt, ist derzeit Freiheit groß in Mode. Auch Konzerne springen mittlerweile auf den Zug auf: Daimler veranstaltet einen Leadership 2020 Summit, dessen Ergebnis offen ist. Dieter Zetsche wünscht sich, dass die Corporate Culture viral werde: 282.000 Mitarbeiter sollen und dürfen dabei mitmachen, Daimler neu zu erfinden und die zukünftige Unternehmenskultur zu definieren. Der Vorschlag mit der größten Zustimmung gilt im Vorhinein als angenommen. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.
Doch wie verhält es sich mit Freiheit in Führung und Kultur? Können Unternehmen wirklich wie soziale Netzwerke funktionieren? Und wie kann so Effektivität garantiert werden?
Ja, Menschen arbeiten dann besser, wenn sie etwas freiwillig tun. Wenn sie aus einer inneren Motivation heraus agieren und wenn sie sich weiter entwickeln können. Das Tüpfelchen auf dem "i" der Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist dann noch das Gefühl, einen Beitrag zu einem übergeordneten Zweck leisten zu können. Und nein, die Freiheit in Unternehmen darf nicht grenzenlos sein. Warum nicht?
Was der gesunde Menschenverstand rät
Verlassen wir uns einfach einmal auf den gesunden Menschenverstand: Jeder von uns, der Kinder groß gezogen hat, weiß, wie sehr Kinder Freiheit lieben. Es gibt nichts Schöneres als abends noch weiter zu spielen oder an einem heißen Sommertag fünf statt nur einer Kugel Eis zu verspeisen.
Und jeder von uns kennt diesen Moment, in dem wir als Eltern "Nein" sagen und gleichzeitig weiter Lego bauen oder einen Schritt auf die nächste Eisdiele zu machen. Die Moral von der Geschichte? Kinder brauchen Rahmen wie das Bäumchen den Stock, um selbst stehen zu können.
Genau dasselbe gilt auch für eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam wachsen und voran kommen wollen. Sie benötigen Rahmen. Genau den definieren diejenigen Unternehmen, die momentan unter deutschen Arbeitnehmern am beliebtesten sind.
Wie sieht der Rahmen zum Beispiel bei der Google-Mutter Alphabet aus? 20 Prozent der Arbeitszeit dürfen alle Mitarbeiter frei nutzen. Hieraus entstehen häufig wertvolle Innovationen. Was macht Zalando? Um Mitsprache zu garantieren, lautet die Regel "speak up": Jeder darf zu jeder Zeit seine Meinung äußern, unabhängig von Hierarchien. Worauf setzt Salesforce? Auf "ohana", hawaiianisch für einen engen und verantwortungsvollen Zusammenhalt zwischen Menschen, die nicht miteinander verwandt sein müssen.
- Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle. - Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen. - Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf. - Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle". - Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen. - Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung. - Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise. - Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein. - Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.
Georg F. W. Hegel definierte Freiheit als "Einsicht in die Notwendigkeit". Diese Einsicht bewirke, dass eine Sache nicht mehr als Zwang, sondern als Bedürfnis empfunden werde. Und genau diesen Effekt haben die Rahmenbedingungen, die Unternehmen setzen können.
Welche Rahmenbedingungen sind notwendig?
Neulich sagte ein Unternehmer zu mir: "Wir brauchen nicht noch ein Modell oder wieder einen neuen Ansatz für Leadership, Management oder unsere Kultur. Es muss wieder einfacher werden." Wie Recht er hat! Im vergangenen Jahrzehnt sind immer neue Labels an Führungs- und Unternehmenskultur geheftet worden: Situatives Führen, transaktionales Führen und neuerdings agiles Führen oder eben virale Kultur.
Aus meiner Sicht wird hier alter Wein aus neuen Schläuchen angeboten. Ich empfehle vielmehr, sich auf sich selbst zu verlassen und auf die eigene Intuition zu hören. Die Faustregeln für den Rahmen, der wirkliche Freiheit ermöglicht, sind simpel:
Einfachheit, Nachvollziehbarkeit und Ausgewogenheit
Orientierung an Werten, die die jeweilige Gemeinschaft teilt
Konsequenz in der Umsetzung
Freiheit in Verantwortung
Die Auswahl von passenden Rahmenbedingungen ist ein Akt der Freiheit. Diese dann konsequent umzusetzen, hat mit Verantwortung zu tun. Hierbei ist Einsicht in die Notwendigkeit gefragt. Es gibt nichts Schlimmeres als den CEO, der vor versammelter Mannschaft von Kreativität und Querdenken schwärmt, nur um im nächsten Moment das Controlling so engmaschig zu gestalten, dass genau dies im Keim erstickt wird.
Wir sind also als Menschen gefordert. Nur wenn wir Sagen und Tun in ehrliche Übereinstimmung bringen, entstehen Reputation und natürliche Autorität. Auch das ist eine Erkenntnis des gesunden Menschenverstandes. Sie bei uns selbst umzusetzen, hat übrigens mit Verantwortung uns selbst und Anderen gegenüber zu tun.