Optimistische Personaldienstleister

Freiberuflermarkt wächst ungebrochen

12.04.2016
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
Von der hohen Nachfrage nach Freiberuflern profitieren neben den Protagonisten auch Personaldienstleister, Vermittler, Agenturen und Portale. Diese können sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen – schließlich steigen auch die Anforderungen der Kunden stetig. Zudem öffnet sich die Schere zwischen Nachfrage und Angebot immer weiter, und es wird schwerer, die passenden Ressourcen zu finden.

Im schlechtesten Fall ist der Markt für IT-Freiberufler derzeit stabil, im besten Fall brummt er. Befragt man die einschlägigen Personaldienstleister und Portalbetreiber zur Lage, ist ein zweistelliges Wachstum der Anfragen und Angebote aktuell keine Ausnahme.

­Befragt man zudem die Einsatzunternehmen, werden IT-Freelancer immer wichtiger. Bereits 2015 hatte die COMPUTERWOCHE in einer Untersuchung diesen Trend belegt, der sich auch im laufenden Jahr fortsetzt. So lautet ein zentrales Ergebnis der "IT-Freiberufler-Studie 2016", die vor kurzem vorgestellt wurde. Darin haben rund 44 Prozent der befragten Einsatzunternehmen angegeben, dass die Bedeutung von Freiberuflern für ihre IT in zwei Jahren groß bis sehr groß sein wird. Zudem geht nur noch jeder Achte heute davon aus, dass Freiberufler in naher Zukunft keine oder eine eher geringe Bedeutung haben werden.

Gefragte Skills: SAP, Catia, Java und HTML5

"2015 ist die Zahl der bei uns ausgeschriebenen IT-Projekte um 16 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert gewachsen", berichtet Andreas Krawczyk, Chief Operating Officer der Online-Plattform "freelance.de". Bei den gesuchten Skills seien auf Anwendungsseite vor allem die Bereiche SAP, Catia, und Oracle gefragt, bei den Programmiersprachen würden in erster ­Linie Java, C#, C++ sowie VBA gesucht. "Auch die Modernisierung und Umstellung von Websites auf responsives Design mit HTML5 treibt die Nachfrage nach Freelancern an", so Krawczyk. Kein Wunder: Um Know-how-Lücken schnell zu überbrücken, sei der Weg über Freiberufler mit Spezialkenntnissen eben der Unkomplizierteste.

Durch die Entwicklung der IT zu einer branchenübergreifenden Querschnittstechnologie lässt sich der Kompetenzbedarf in vielen Unternehmen allein mit internen Experten nicht mehr befriedigen. "E-Commerce, Virtualisierung, SAP und IT-Security - in diesen höherwertigen Bereichen stellen wir immense Steigerungsraten fest", sagt Markus Reefschläger, Geschäftsführer der Geco Deutschland GmbH. Dies führe dazu, dass die weitere Verknappung der IT-Fachkräfte in einigen Regionen deutlich spürbar sei, die Projekte würden immer komplexer, und in stark standardisierten IT-Bereichen wie Testing und Scripting sei ein Trend Richtung Near- und Offshore festzustellen. "Zudem möchten viele Unternehmen das Know-how mittlerweile langfristig und nicht nur projektbezogen an sich binden, wodurch die Nachfrage nach direkten Personalvermittlungen steigt", so Reefschläger. Auch hierdurch werde die Kommunikation mit Kunden intensiver und von mehr Nachhaltigkeit geprägt.

Digitalisierung pusht Nachfrage

"Die Investitionsbereitschaft für IT-Projekte ist im Zuge der digitalen Transformation auf breiter Front angestiegen", stellt auch Michael ­Girke fest, Partner bei der IT-Beratungsgesellschaft Q_PERIOR AG. Er spricht von einem "Nachfrage-Sog", ausgelöst durch den Aufbau digitaler Geschäftsmodelle und den Ausbau von IT-gestützten Service-Angeboten. "Dazu zählen etwa Scrum-Projektteams für agile Entwicklungen, IT-Architekten, IT-Security-Experten bis hin zu klassischen Entwicklungs-Skills mit Web-Technologien."

Die Qualität der angebotenen Fachkräfte und Projektlösungen sei immer noch der wichtigste Faktor bei der Entscheidung des Kunden. Daher gelte es Girke zufolge, eine lupenreine Qualitätshistorie sicherzustellen: "Ziel ist ein überdurchschnittliches Abschneiden bei der Beurteilung der Einsatzkräfte und eine minimale 'Drop-Out'-Quote." Schlüssel zum Erfolg seien Standardprozesse sowie darauf abgestimmte und jederzeit messbare Qualitätsvorgaben wie die Lieferquote, die Kundenzufriedenheit bezüglich der Beraterleistung oder die Reaktionszeit bei Problemfällen.

Kunden erwarten hohe Qualität zu kleinem Preis

Dabei drehen beileibe nicht nur die Skills für die digitale Transformation an der Nachfrageschraube: "Auch die Notwendigkeit zur Migration von Altsystemen wird den Bedarf an Fachkräften weiter anheizen", ist sich Thomas Götzfried sicher, Vorstand der Goetzfried AG. Viele Unternehmen stelle die Modernisierung der IT-Systeme vor große Herausforderungen - sowohl beim Fachwissen als auch bei den vorhandenen Personalkapazitäten. "Um diese Lücken zu schließen, setzen immer mehr Kunden auf die externe Vergabe von kompletten IT-Projekten und die Auslagerung von Managed-Services-Paketen mit Ergebnisverantwortung an Dienstleister." Neben diesen "maßgeschneiderten Sourcing-Lösungen", die über die reine Personalbereitstellung hinausgehen, würden Einsatzunternehmen trotz des Fachkräftemangels eine gleichbleibend hohe Qualität erwarten - und das oft zu einem niedrigeren Preis. "Die Anforderungen werden immer komplexer", sagt Götzfried.

Thomas Götzfried, Goetzfried AG: "Trotz des Fachkräftemangels erwarten die Kunden gleichbleibend hohe Qualität."
Thomas Götzfried, Goetzfried AG: "Trotz des Fachkräftemangels erwarten die Kunden gleichbleibend hohe Qualität."
Foto: Goetzfried AG

Neben dem Blick auf die Skills der Experten richtet sich die Aufmerksamkeit derzeit vor allem auf den zwischenmenschlichen Fit. "Passen die Mitarbeiter zusammen, sind sowohl die Leistungen des Individuums als auch des Teams besser", argumentiert Hubert Staudt, Vorstand der top itservices AG. Heutzutage werden daher beide Qualitäten gleichermaßen angefragt und gefordert, weshalb der persönliche Kontakt zwischen Freiberufler, Vermittler und Auftraggeber für eine optimale Integration ins Team entscheidend ist. "Um in diesem Punkt den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden, setzen wir auf ein systematisches Hinterfragen der Motivationsstruktur des Freelancers.", so Staudt. Die Anforderungen des Einsatzunternehmens und die Motivationsstruktur des Experten würden dann in einem 120-Sekunden-Profil gegenübergestellt. "Beide Seiten können hiermit binnen kurzer Zeit entscheiden, ob sie zusammenpassen."

Damoklesschwert Scheinselbständigkeit

Ein Faktor lastet allerdings schwer auf dem Markt: "Die Unsicherheit in Bezug auf die Selbständigkeit und die Regeln zur Arbeitnehmerüberlassung schwebt wie ein Damoklesschwert über allen Beteiligten und lähmt Innovation", sagt einer der Manager. "Gerade die gestiegenen Compliance-Anforderungen beim Einsatz von externen IT-Spezialisten müssen von Personaldienstleistern umfassend erfüllt werden", fordert daher Christian Steeg, Director IT Contracting bei der Hays AG. In Anbetracht der gegenwärtigen Markt- und Politikentwicklungen habe das Unternehmen seine Aktivitäten auf zwei Ebenen verstärkt, berichtet Steeg: "Um die Anforderungen unserer Kunden abzudecken, haben wir intern die entsprechenden Strukturen, Positionen und Prozesse geschaffen, die wir unseren Kunden bereitstellen." Und zweitens sei der Politik in den vergangenen Monaten ein klares Bild vermittelt worden, welche hohe Relevanz die Wissensarbeiter für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland hätten.

Christian Steeg, Hays: Die Unsicherheit in Bezug auf die Selbständigkeit und die Regeln zur Arbeitnehmerüberlassung schwebt wie ein Damoklesschwert über allen Beteiligten und lähmt Innovation.
Christian Steeg, Hays: Die Unsicherheit in Bezug auf die Selbständigkeit und die Regeln zur Arbeitnehmerüberlassung schwebt wie ein Damoklesschwert über allen Beteiligten und lähmt Innovation.
Foto: Hays

Luuk Houtepen verweist ebenfalls auf die "Allianz für selbständige Wissensarbeit" (ADESW) in Berlin, die politischen Einfluss geltend machen will, um rechtliche Unsicherheiten in der Branche zu beseitigen: "Eine gesetzliche Änderung kann das gesamte Spielsystem verändern", warnt der Head of Business Development in der DACH-Region bei der Personalberatung SThree. Neben dem wichtigen Thema Compliance komme es immer aber auch auf die Profitabilität der Dienstleister an: "Sehr oft wird übersehen, was für ein Aufwand aus Back-Office, Systemen, Netzwerken und großen Unternehmensstrukturen hinter der Vorstellung des passenden Profils steckt." Als Vertreter eines internationalen Konzerns sind die Erwartungen von Houtepen bezüglich der Marktentwicklung klar: "Einerseits weniger kleine Personalberater - andererseits mehr Professionalisierung und Wachstum."

Unsichere Rechtssprechung

"Die persönliche Betreuung spielt eine elementare Rolle für den Erfolg, da wir es an jedem Punkt der Prozesskette mit Menschen zu tun haben", schneidet Maxim Probojcevic, Marketingleiter bei Solcom, ein weiteres Thema an. Aufgrund der aktiven Zielgruppenansprache und des hierfür unerlässlichen Prozess-Know-hows würden Projektdienstleister einen Vorsprung gegenüber anderweitigen Rekrutierungswegen genießen. "Die Stärken eines breit aufgestellten Dienstleisters liegen auf der Prozessseite und in der Methodenkompetenz, Anforderungen im Detail zu erfassen sowie präzise Lösungen zu erarbeiten", argumentiert Probojcevic. Veränderungsdruck gäbe es momentan hauptsächlich im juristischen Bereich. "Sollte der bereits unsicheren Rechtsprechung eine nicht zu Ende gedachte Gesetzesreform folgen, wird dies weitere Auswirkungen auf das Geschäftsmodell und den Standort Deutsch­land haben." Dennoch fällt das Fazit von Probojcevic versöhnlich aus: "Die etablierten Unternehmen haben bisher noch immer bewiesen, dass sie sich neuen Situationen flexibel anpassen können."

Daniela Kluge, Gulp: Einsatzunternehmen werden sehen, dass es schwieriger wird, bei steigendem Einsparungsdruck und gleichbleibend hohen Anforderungen an die Qualität der IT-Spezialisten Wunschkandidaten für sich zu gewinnen."
Daniela Kluge, Gulp: Einsatzunternehmen werden sehen, dass es schwieriger wird, bei steigendem Einsparungsdruck und gleichbleibend hohen Anforderungen an die Qualität der IT-Spezialisten Wunschkandidaten für sich zu gewinnen."
Foto: Gulp

Das ist auch notwendig, denn trotz der anhaltend hohen Nachfrage kann sich die Branche keinen Stillstand leisten. "Einsatzunternehmen werden sehen, dass es schwieriger wird, bei steigendem Einsparungsdruck und gleichbleibend hohen Anforderungen an die Qualität der IT-Spezialisten Wunschkandidaten für sich zu gewinnen.", prognostiziert Daniela Kluge, Bereichsleiterin Portal & Projekte bei Gulp. Dieser Trend zeigt sich in Erhebungen des Unternehmens, wonach für solche Projekte zunehmend mehr Anfragen durchgeführt werden mussten, bis ein Freiberufler erfolgreich gefunden wurde. "Für Unternehmen wird es angesichts der Zunahme von Projekten immer schwieriger, geeignete und zur Verfügung stehende IT- und Engineering-Selbstständige zu akquirieren", sagt Kluge. Gut ausgebildete Experten mit gesuchten Skills fänden demnach gute Projekte und ihr Auskommen - "sie profitieren davon, dass die Nachfrage gegenüber dem Angebot immer stärker zunimmt." Der Weg zum Erfolg führe für kleine wie große Einsatzunternehmen über die Professionalisierung bei Rekrutierungsprozessen sowie über die Bereitschaft, hochqualifizierte Arbeit auch entsprechend abzugelten.

Einkauf der Kunden ist oft unflexibel

"Hochqualifizierte Fachkräfte zu finden, wird aufwendiger", sagt auch Shahin Pour, Vorstand des Heidelberger IT- und Personaldienstleisters IPAXX AG. Dies gelte speziell bei anspruchsvollen Aufgaben und unflexiblen Einkaufsstrukturen der Einsatzunternehmen. "Es zeichnet sich ab, dass mit starren Kundenprozessen wie Single-Vendor-Strategien oder der Einkaufsbündelung qualitative Abstriche hingenommen werden müssen." Schließlich stünden Einsatzunternehmen immer öfter Kandidaten gegenüber, die auch bei anderen Kunden gefragt sein könnten. Pour zufolge empfiehlt sich daher "eine gut geplante und strukturierte Ausweitung des möglichen Lieferantenkreises".

Bestätigt wird dies von Sabrina Läpple, Vorstand Vertrieb der Etengo Deutschland AG. "Der größte Wettbewerbsdruck entsteht aktuell durch die kundenseitige Konsolidierung der Rekrutierungswege etwa über Preferred-Supplier-Ansätze oder Managed-Services." Allerdings würden sich zwei gegensätzliche Bewegungen abzeichnen: "Während ein Teil der Unternehmen die Konsolidierung gerade erst begonnen hat, sind andere mit diesem Thema bereits durch und ersetzen die vor Jahren gewählte MSP-Strategie durch ein Preferred-Supplier-Modell mit in der Regel drei bis vier gleichgestellten Dienstleistern."

In der Praxis entstehe häufig der Eindruck einer "Fisch oder Fleisch"-Mentalität mit den beiden Extremen, berichtet Läpple, wobei jede Variante spezifische Vor- und Nachteile habe. "Momentan lässt sich allerdings ein klarer Trend zur Rückabwicklung der strikten Konsolidierungsstrategie beobachten, da diese aus schmerzlicher Erfahrung der Kunden heraus den Wettbewerb behindert hat, worunter langfristig Qualität und Preis leiden." So zeigt sich, dass in einem funktionierenden Markt alle Parteien aufeinander angewiesen sind - damit die Flut im Idealfall alle Boote anheben kann.

Mehr zur großen IT-Freiberuflerstudie

Starke Nachfrage nach IT-Freiberuflern: Die Ergebnisse der IT-Freiberuflerstudie 2016 auf einen Blick

Die Studie kann im COMPUTERWOCHE-Online-Shop gekauft und als PDF heruntergeladen werden.