IT-Skills rechnen sich für Freelancer

Freiberufler sitzen am längeren Hebel

24.05.2017
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Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
IT-Fachleute sind eine knappe Ressource, IT-Freelancer folglich ein Bestseller. Daran ändert sich vorerst nichts. In den kommenden Jahren wird ihre Position jedoch von einem "Lückenbüßer" zu einem festen Bestandteil vieler Strategien aufgewertet - sowohl in Einsatzunternehmen als auch bei Personaldienstleistern.
  • Freiberufler haben ihr eigenes Unternehmertum viel stärker verinnerlicht.
  • Aufgrund der guten Marktlage zeigen sich Freelancer bei überregionalen Projekten zunehmend unflexibel.
  • Unternehmen müssen Kandidaten akzeptieren, die vielleicht nur zu 80 Prozent auf die Position passen.

In der IT-Branche ist der Trend zu freien Beschäftigungsverhältnissen ungebrochen. "Im vergangenen Jahr haben sich rund 20.000 Freelancer auf unserer Plattform registriert", berichtet Andreas Krawczyk, COO von Freelance.de. Dennoch ist der Manager davon überzeugt, dass mit dem bisher stärksten Wachstum in der zehnjährigen Firmengeschichte die Spitze noch nicht erreicht ist. Schließlich arbeite jede dritte Arbeitskraft in den USA laut "Forbes" als Freiberufler - Tendenz weiterhin steigend. So erwartet Krawczyk, dass sich diese Entwicklung mit einigen Jahren Verzögerung auch hierzulande niederschlägt: "Aus dieser Perspektive steckt der Markt noch in den Kinderschuhen."

IT-Freiberufler sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Professional Workforce. Personaldienstleister und Einsatzunternehmen legen Freelancern deshalb zunehmend den roten Teppich aus.
IT-Freiberufler sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Professional Workforce. Personaldienstleister und Einsatzunternehmen legen Freelancern deshalb zunehmend den roten Teppich aus.
Foto: gualtiero boffi - shutterstock.com

An den Einsatzunternehmen soll es nicht liegen, sie sind längst auf den Zug aufgesprungen. Laut der "IT-Freiberufler-Studie 2017" der COMPUTERWOCHE schätzen inzwischen über 50 Prozent der Unternehmen die Bedeutung von externen IT-Fachkräften in zwei Jahren als groß bis sehr groß ein. In den Vorjahren lag der Anteil noch bei 30 (2015) beziehungsweise 44 (2016) Prozent. Dabei hat die Nachfrage das Angebot zumindest bei den Spezialisten längst überholt: "Durch den anhaltenden Fachkräftemangel erhöht sich der Rekrutierungsaufwand für passende Kandidaten immer mehr", sagt Ulrich Wantia. Der Geschäftsführer des Personaldienstleisters Questax rechnet für die Zukunft mit einer weiteren Verknappung von IT-Skills bei gleichzeitig stetigem Bedarf: "Der starke Wettbewerb um die besten IT-Köpfe wird zu einem höheren Preisniveau führen."

Personaldienstleister wollen Freiberufler an sich binden

Allerdings gibt es auch Barrieren für die Entwicklung. "Seit Jahren sehen wir ein stetes, jedoch nicht ungebremstes Wachstum auf dem Markt für Freiberufler", berichtet Christian Steeg, Director bei Hays. Die sehr gute Marktlage für Freiberufler führe dazu, dass sie zunehmend inflexibler würden, wenn man ihnen überregionale Projekte anbiete. "In der Folge werden entsprechende Vor-Ort-Nachfragen an weniger attraktiven Standorten nicht immer gedeckt." Dieses Problem ließe sich beispielsweise über flexible Arbeitnehmerlösungen angehen: "Elementar ist allerdings in jedem Fall, dass Freiberufler verinnerlicht haben, Unternehmer zu sein." Dazu zähle auch, dass sie sich für einen Dienstleister entscheiden, mit dem sie für die Zukunft richtig aufgestellt sind: "Hier stehen die Themen Sicherheit, Professionalität und Marktzugang an den ersten Stellen."

Das bestätigt auch Sonja Pierer, Geschäftsführerin von Experis Deutschland: "Die Herausforderung für Personaldienstleister besteht in der langfristigen Bindung von Freelancern an ihr Unternehmen." Durch den Aufbau einer strategischen Partnerschaft könnten schließlich beide Seiten profitieren. Neben transparenten Prozessen und Konzepten zur Weiterqualifizierung sowie -entwicklung des Freiberuflers, sagt Pierer, beinhaltet dies auch exklusive Projekte: "Die Anziehungskraft von ‚Sexy Brands‘ in der Kundenlandschaft auf Freelancer ist nach wie vor sehr hoch." Die größte Barriere sei heute vielfach das "fehlende Bewusstsein, wie man eine Win-win-Situation für alle Beteiligten schafft und dadurch maximale Erfolge erbringt", ergänzt Luuk Houtepen, Director Business Development in der DACH-Region bei der Personalberatung SThree. Bis zum Jahr 2020 laute daher für die Branche die Devise: "Partnerschaften!" Auch die Personaldienstleister müssten in diesem Zusammenhang lernen, hochkarätige IT-Freiberufler noch stärker als Partner und Kunden zu sehen, denn der Erfolg stelle sich nur gemeinsam ein.

Spagat zwischen Freelancer- und Kundenwünschen

Keine leichte Aufgabe angesichts der aktuellen Situation. "Da es derzeit zu viele Agenturen gibt und oftmals Anfragen mehrfach im Markt unterwegs sind, werden einige Freiberufler sprichwörtlich mit Anfragen bombardiert", berichtet Christian Neuerburg, Country Transformation Director der DIS AG, aus dem Tagesgeschäft. Somit werde es für die Vermittler zunehmend schwierig, Freiberufler zu adressieren und Gehör zu finden. "Das Suchen ist hierbei nicht die größte Herausforderung, sondern der Kontakt nach dem Finden." Zudem seien Freiberufler Konsumenten geworden, die sich durch den hohen Nachfragedruck treiben lassen können. "Daher müssen wir als Vermittler den Markt aktiv gestalten und uns anpassen, aber auch rechtskonforme Lösungen bieten und die herausfordernden Preisvorstellungen unserer Kunden wie auch die gestiegenen Einkommenserwartungen der Freelancer erfüllen."

Wenig Projekt-Feedback der Einsatzunternehmen

Gefragte IT-Experten können sich derzeit die Rosinen aus dem Kuchen picken: "Die Erwartung der Freelancer an Personaldienstleister steigt, mit Direktkunden zu arbeiten, und sie fragen immer häufiger nach Offenlegung der Margen", sagt Markus Reefschläger. Für den Geschäftsführer der Geco Deutschland GmbH gibt es einen überzeugenden Köder: eine konkrete Projektanfrage mit interessanten Inhalten in großen Kundenumgebungen. Hinzu komme ein zuverlässiges Feedback während des gesamten Angebotsprozesses. Dabei hapert es laut aktueller Freiberufler-Studie vor allem an unzureichenden Rückmeldungen nach Abschluss eines Projekts. Reefschläger verweist in diesem Punkt, wie einige seiner Wettbewerber auch, auf ausbleibendes Feedback der Einsatzunternehmen. "Dies sollte aber keine Entschuldigung sein - wir werten diesen Punkt als konstruktive Kritik und werden ihn zur Verbesserung unserer Dienstleistung nutzen."

Rechtsunsicherheit bedroht die Branche

Maxim Probojcevic, Marketing-Leiter der Solcom Unternehmensberatung GmbH, verweist noch auf einen anderen Aspekt, der wie eine dunkle Wolke über der Branche schwebt: "Gerade die Rechtssicherheit ist in den nächsten Jahren sowohl für Freiberufler als auch Kunden ein zentrales Thema." So werde die Gesetzgebung weitere strukturelle Anpassungen in den betroffenen Organisationen nach sich ziehen. "Für professionelle Marktteilnehmer endet der Prozess nicht mit der Unterschrift des Kunden und Freiberuflers auf dem Vertrag, sondern er erfordert eine kontinuierliche und proaktive Begleitung aller Beteiligten." In diesem Zuge entwickelt sich der Freelancer als einstiger "Lückenbüßer" zu einer strategischen Ressource vieler Unternehmen.

Stefan Symanek, Marketing-Leiter der Gulp Information Services GmbH, bezeichnet die Diskussionen auf dem Weg zum neuen Gesetzesentwurf zur Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, AÜG) als "Unsicherheitsfaktor". Seiner Einschätzung nach "wären die vor etwa einem Jahr vorgeschlagenen Kriterien in der ursprünglichen Fassung für viele Freiberufler problematisch geworden". Auch wenn diese schließlich zurückgenommen wurden, müssten IT-Freelancer weiterhin mit einer Restunsicherheit leben, "verursacht durch einen nicht nachvollziehbaren Prüfungsprozess auf Seiten der Deutschen Rentenversicherung". Als Personaldienstleister mit dem notwendigen Gewicht setzt sich daher auch Gulp in politischen Belangen ein, etwa im Rahmen der Allianz für Selbstständige Wissensarbeit (ADESW). "So fordern wir zum Beispiel mehr Rechtssicherheit in Sachen Feststellung der Scheinselbstständigkeit."

Freiberufler - wichtiger Teil der Professional Workforce

Klarere gesetzliche Regelungen, die den modernen Projektorganisationsformen und der Rolle der Freelancer hierin Rechnung tragen, fordert auch Bernd Sauer, Vorstand der Goetzfried AG. Derzeit fällt es der Gesetzgebung schwer, mit der rasanten Veränderung der Arbeitswelt Schritt zu halten. Folge ist eine in Teilen unübersichtliche Rechtslage, in der es für Personaldienstleister schlicht nicht mehr ausreiche, sich auf die Vermittlung von Freiberuflern zu fokussieren: "Viele große Unternehmen haben damit begonnen, ihre Lieferanten gezielt zu konsolidieren - sie setzen bei der Auftragsvergabe verstärkt auf integrierte Dienstleister und nachgewiesene Lösungskompetenz." Allerdings zweifelt auch Sauer nicht daran, dass die Nachfrage nach Freelancern hoch bleibt: "Freiberufler werden in naher Zukunft ein wichtiger Bestandteil der ‚Professional Workforce‘ aus internen und externen Mitarbeitern bleiben."

Unternehmen und Dienstleister müssen Abstriche machen

Selbst wenn die Flut alle Boote hebt - dadurch schwimmen nicht automatisch mehr Fische ins Netz. Weil die Strömung derzeit den IT-Freiberuflern nutzt, müssen sich die anderen Marktteilnehmer - weiter - anpassen. "Der Freelancer als Ware ist in unseren Augen ein Auslaufmodell", bestätigt Freelance.de-COO Krawczyk. Dienstleister, die ihren Fokus auf ein besseres Beziehungsmanagement legen, würden den Zeitgeist treffen und damit zu Recht punkten. Experis-Geschäftsführerin Pierer hofft zudem auf Einsicht bei den Einsatzunternehmen, dass das Angebot an spezialisierten IT-Experten endlich ist und diese gegenwärtig am längeren Hebel sitzen: "Unternehmen müssen die Bereitschaft entwickeln, Kandidaten zu akzeptieren, die vielleicht nur zu 80 Prozent auf die Position passen, oder zeitlich noch vorausschauender planen und den gewünschten IT-Experten unter Einbeziehung des Personaldienstleisters frühzeitig reservieren." Die gelebte Realität im Markt: Während die eine Seite Abstriche machen muss, kann die andere Seite Zuschläge fordern. (pg)

"IT-Freiberufler-Studie 2017"

Die Studie basiert auf einer Online-Befragung, in deren Rahmen von 14. Dezember 2016 bis 17. Januar 2017 insgesamt 917 qualifizierte Interviews geführt wurden. Grundgesamtheit sind zum einen die IT-Freiberufler selbst sowie zum anderen IT-Projektverantwortliche und IT/TK-Entscheider aus Einsatzunternehmen der DACH-Region, darunter CIOs/IT-Vorstände, IT-Leiter, IT-Projektleiter, Fachbereichsleiter, Einkäufer und vergleichbare Funktionen. Hierzu wurden zwei Stichproben gezogen und zwei unterschiedliche Fragebögen entwickelt. Den Ergebnissen der Studien liegen 578 Interviews mit IT-Freiberuflern sowie 339 Interviews in den Einsatzunternehmen zugrunde. Sie finden diese und andere Studien in unserem Studienshop.