In meinen Führungskräftecoachings begegnen mir in letzter Zeit verstärkt frustrierte Leader. Vor Jahren haben sie ihre Karriere begonnen, waren und sind erfolgreich. Aufgebrochen mit modernen Führungsidealen beißen sie sich allerdings spätestens auf der oberen Führungsebene an der Realität die Zähne aus. Wer ihre Erzählungen hört, muss zu dem Schluss kommen: An der Spitze vieler Unternehmen sitzt ein Persönlichkeitstypus, der jede Entwicklung und damit auch jeden Fortschritt ablehnt und fürchtet.
Stellvertretend für viele andere Beispiele sind folgende Erfahrungen einer Klientin in der IT-Branche. Sie zeigen, dass moderne Lösungen selbst dort torpediert werden, wo sie sich schon erfolgreich in der Praxis bewiesen haben.
Ein internationales IT-Unternehmen klagte über eine hohe Mitarbeiterfluktuation und schlechte Zahlen. Eine Klientin von mir wurde zur Leiterin des Standorts Deutschlands berufen. Frau K. ist eine hochintelligente, sehr moderne Macherin. Althergebrachte Hierarchien und Prozesse warf sie kurzerhand über den Haufen. Stattdessen setzte sie auf ein Miteinander in selbstorganisierten Einheiten, kurze Kommunikationswege und Transparenz. Sie schaffte es so innerhalb eines Jahres den Umsatz um 20 Prozent zu steigern und den Mitarbeiterweggang auf null zurückzufahren.
Statt Lob folgt Bestrafung
Die normale Reaktion darauf wäre gewesen: "Toll! Wie haben Sie das gemacht? Vielleicht ist das auf alle unsere Standorte übertragbar."
Wissen Sie, was stattdessen passiert ist?
Die Frau wurde kaltgestellt. Man zahlte sie ein Jahr weiter, ohne dass sie ihren Arbeitsplatz betreten durfte. Am Ende wurde es so hingedreht, dass sich auch unter ihrer Leitung die Zahlen nicht wesentlich verbessert hätten - was nach der einjährigen Absenz auch nicht mehr der Fall war. Was ist hier passiert? Warum wurde eine Führungskraft entlassen, welche die viel zitierten modernen Führungsideale lebte und damit auch noch erfolgreich war?
Angst und Misstrauen
Ich bewege mich hier im Reich der Spekulation.
Zum einen denke ich, dass meine Klientin den anderen Standorten einen Spiegel vorgehalten hat: "Wenn die das schafft, dann müssten wir das auch schaffen können." Statt nun den Schritt in Richtung Veränderung zu gehen, wurde der Wandel in Person von Frau K. einfach kaltgestellt.
Ich vermute, dass der Antrieb hinter diesem Verhalten Angst ist. Angst vor dem Verlust der eigenen Position, vor der Zukunft, vor Veränderung. Sie nährt sich vom Misstrauen: Gegenüber den Mitarbeitern, gegenüber den Kollegen, möglicherweise auch gegenüber der eigenen Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen. Ich kann Unternehmenslenkern nur dringend raten, sich derartige Verhaltensmuster genau anzuschauen und sie Schritt für Schritt zu ändern. Sonst werden sie ihre besten Leistungsträger verlieren und den Anschluss an die Zukunft verpassen.
- Was IT-Führungskräfte 2016 verdienen
Wir haben aus der Gehaltsstudie von Compensation Partner für das IT-Management einige Beispiele herausgepickt, anhand derer sich exemplarisch zeigen lässt, was Führungskräfte heute verdienen. - Leiter Entwicklung IT Security (12 Mitarbeiter): 77.424 Euro
Alter: 51 Jahre. Ausbildung: Diplom FH. Branche: Finanzdienstleistung. Firmengröße:51 bis 100 Mitarbeiter. Region: Raum Kiel. Prämie: keine. - Teamleiter Systemadministration (zwei Mitarbeiter): 63.064 Euro.
Alter: 30 Jahre. Ausbildung: Meister/Fachwirt. Branche: Handwerk. Firmengröße: 101 bis 500 Mitarbeiter. Region: Raum Offenburg. Prämie: 4036 Euro. - Geschäftsbereichsleiterin (500 Mitarbeiter):241.022 Euro
Alter: 42 Jahre. Ausbildung: Master. Branche: IT-Systemhaus. Firmengröße: über 20.000 Mitarbeiter. Region: Raum Stuttgart. Prämie: 80.722 Euro. - Geschäftsbereichsleiter (12 Mitarbeiter): 227.581 Euro
Alter: 45 Jahre. Ausbildung: technische Berufsausbildung. Branche: Telekommunikation Firmengröße: über 20.000 Mitarbeiter. Region: Raum Frankfurt/Main. Prämie: 77.197 Euro - SAP-Projektleiter: 114.863 Euro.
Alter: 48 Jahre. Ausbildung: Diplom FH. Branche: Versicherung. Firmengröße:5001 bis 20.000 Mitarbeiter. Region: Neustadt/Bayern. Prämie: 10.090 Euro. - IT-Projektleiter: 83.479 Euro.
Alter: 48 Mitarbeiter. Ausbildung: technische Berufsausbildung. Branche: Medien Firmengröße:101 bis 500 Mitarbeiter. Region: Raum Stuttgart. Prämie: 5045 Euro. - Leiter IT Entwicklung (4 bis 8 Mitarbeiter): 123.606 Euro.
Alter: 49 Jahre. Ausbildung: Diplom FH. Branche: Großhandel Textil. Firmengröße: über 20.000 Mitarbeiter. Region: Raum Mittelfranken. Prämie: keine - Abteilungsleiter Softwareentwicklung (10 Mitarbeiter): 89.500 Euro
Alter: 50 Jahre. Ausbildung: Diplom FH. Branche: Softwarehaus. Firmengröße: 21 bis 50 Mitarbeitern. Region: Raum Bad Dürkeim. Prämie: 504 Euro. - IT Manager Prozesse (7 Mitarbeiter): 75.677 Euro.
Alter: 45 Jahre. Ausbildung: technische Berufsausbildung. Branche: Bekleidungsindustrie. Firmengröße: 101-500 Mitarbeiter. Region: Raum Chemnitz. Prämie: keine. - Chief Information Security Officer: 141.263 Euro.
Alter: 58 Jahre. Ausbildung: technischer Meister/Fachwirt. Branche: Elektrotechnik. Firmengröße: 5001-20.000 Mitarbeiter. Region: Raum Karlsruhe. Prämie: 10.090 Euro. - Teamleiter Systemadministration: 80.147 Euro
Alter: 37 Jahre. Ausbildung: technische Berufsausbildung. Branche: Telekommunikation. Firmengröße: 5001 bis 20.000 Mitarbeiter. Region: Raum Karlsruhe. Prämie: keine. - Bereichsleiter SAP: 203.732 Euro
Alter: 45 Jahre. Ausbildung: Master. Branche: Unternehmensberatung. Firmengröße: 1001 bis 5000 Euro. Region: Raum Esslingen. Prämie: 60.541 Euro. - CIO: 239.744 Euro
Alter: 56 Jahre. Ausbildung: Diplom Universität. Branche: Anlagenbau. Firmengröße: 501 bis 1000 Mitarbeiter. Region: Raum Gütersloh. Prämie: 121.013 Euro.
Was betroffene Leader tun können
Frau K. hat nach diesem Erlebnis beschlossen, sich selbstständig zu machen. Zunächst arbeitete sie eine Zeit als Beraterin, dann gründete sie ein eigenes Unternehmen. Und tatsächlich - auch hier funktioniert ihr moderner Ansatz, das Institut floriert.
Selbstständigkeit ist ein Weg, der für manche, sicher aber nicht für alle, richtig ist. Viele Führungskräfte fühlen sich ihrem Arbeitgeber allen Schwierigkeiten zum Trotz verbunden. Eine Möglichkeit ist es, sich innerhalb des Unternehmens mit Gleichgesinnten zu vernetzen, Allianzen zu schmieden, politisch zu taktieren und so Schritt für Schritt sozusagen eine "Revolution von innen" zu beginnen.
Ist dies nicht möglich, kann ein Arbeitgeberwechsel die einzige Alternative zur Anpassung sein. Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass in einem anderen Unternehmen nicht per se bessere Rahmenbedingungen herrschen. Also gilt es genau zu prüfen: Oft sind es die kleineren und mittelständischen Firmen, die Werte wie Vertrauen, Offenheit und Selbstorganisation nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis leben. (bw)