Kommentar zu Digitalisierung

Firmen müssen an die Zukunft denken bevor die Gegenwart zum Problem wird

04.02.2015
Von 
Axel Oppermann beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Social Enterprise, Cloud Computing und Microsoft hineinfällt. Axel schreibt auf Computerwoche als Experte zu den Themen Enterprise Cloud, Digital Enterprise und dem IT-Lieferanten Microsoft. Als IT-Analyst berät er Anwender bei der Planung und Umsetzung ihrer IT-Strategien. Axel ist Geschäftsführer des Beratungs- und Analystenhaus Avispador aus Kassel. Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE
Die umfassende digitale Neugestaltung nahezu aller Lebensbereiche, Branchen und Industrien nimmt seit einiger Zeit weltweit an Geschwindigkeit zu. Manche Unternehmen spüren diesen Wandel bereits; manche ignorieren ihn noch und wiederum andere sind einfach nicht auf der Höhe ihrer eigenen Probleme.
Blickt ein Unternehmen zu lange und zu weit in die Zukunft, kann es an aktuellen Marktveränderungen vorbeischauen.
Blickt ein Unternehmen zu lange und zu weit in die Zukunft, kann es an aktuellen Marktveränderungen vorbeischauen.
Foto: Kurhan - Fotolia.com

Grundsätzlich ist zu erkennen, dass viele Unternehmenslenker erst dann auf Chancen - aber auch Risiken - neuer Technologien und gesellschaftlicher Strömungen reagieren, wenn es fast schon zu spät ist. Nämlich dann, wenn die eigene Wettbewerbsfähigkeit gefährdet ist. Sie verkennen, dass die Zeitdiebe nicht mehr "die Männer in grauen Anzügen" sind.

Neue Geschäftsmodelle im Minutentakt

Am Reißbrett und auf Basis digitaler Technologien sowie günstigem Risikokapital entwickelte Geschäftsmodelle - auch wenn erst nach mehreren Iterationen tragfähig - verändern die etablierten Gegebenheiten am Markt. Schmerzhaft müssen das gerade die Taxiunternehmer feststellen, die erst den Wink mit dem Zaunpfahl von Apps wie MyTaxi nicht verstanden haben und jetzt von Uber überrumpelt werden und dabei völlig überfordert sind. Oder die "großen" Telekommunikationsanbieter, die sich, limitiert durch ihre eigene Vorstellungskraft, von WhatsApp, Line & Co. den margenträchtigen Milliardenmarkt "SMS" abnehmen und vernichten ließen. Das Ergebnis: Heute braucht niemand mehr Telekommunikationsanbieter, um kommunizieren zu können. Ein Internetzugang reicht. Den stellen die Provider zwar bereit, allerdings als Standarddienstleistung und nicht als wertschöpfenden Bestandteil.

Die nächste große gesellschaftlich relevante, digitale Transformation steht bei Finanzdienstleistungen bevor. Private Kreditvermittlungen sind der Anfang. Das Geschäftsmodell nachhaltig verändern wird jedoch die flächendeckende Adaption von grundlegenden Funktionen des Geldtransfers und des privaten bargeldlosen Zahlungsverkehrs über mobile Endgeräte. So dominiert zum Beispiel der Bezahldienst M-Pesa, hinter dem Vodafone steht, den privaten Geldverkehr in Afrika und räumt in Osteuropa gerade kräftig ab. In den saturierten Märkten dringen Anbieter wie Apple (Apple Pay) oder Google (Google Wallet) auf den Markt.

All diese Beispiele haben eines gemeinsam: Die unfassbar kurze Zeit, in der die Märkte umfassend neu gestaltet wurden. Binnen weniger Monate werden Millionen potenzieller Kunden erreicht und an Gesetz, Moral und Ethik vorbei neue Quasi-Standards für ganze Branchen gesetzt. Dieser Herausforderung müssen sich Unternehmen jetzt, schnell und unmittelbar stellen.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit

Viele Unternehmen in Deutschland versuchen, der digitalen Transformation durch das Erreichen zweier Ziele zu begegnen: Ziel eins ist das Sichern des bisherigen Kerngeschäfts. Ziel zwei ist das Erschließen neuer Geschäftsfelder. Dabei wird es oftmals schon - und dies fälschlicherweise - als Erfolg gesehen, wenn "papierbasierte auf papierlose Prozesse" umgestellt werden. Die doppelte Zielsetzung - diese Herausforderung - soll durch CIOs und CMOs getrieben, getragen und geführt werden. Der Aufbau einer "Organisation einer IT der zwei Geschwindigkeiten" wird für die Unternehmens-IT als neue Strategie propagiert.

Doch weit gefehlt! Weder die genannten Ziele, noch das "doppelte Lottchen" aus CIO und CMO, noch das Zwei-Geschwindigkeiten-Konstrukt führen zum benötigten Ergebnis. Vielmehr gilt es, alle Anstrengungen auf die "Erneuerung" (des Kerngeschäfts) und auf "das Neue" zu legen. Hiervon sind sowohl Geschäftsmodell als auch Betriebsprozesse betroffen. Diese Aufgabe ist für CMOs und CIOs mindestens eine Nummer zu groß, zu anspruchsvoll.

Und Los!

Wollen Unternehmen unter den neuen Bedingungen bestehen, müssen sie ihr Selbstverständnis überdenken. Dabei gehen die Anforderungen, die die digitale Transformation an das Unternehmen stellt, über klassisches Change-Management hinaus. Dies ist Aufgabe aller Organisationseinheiten, die nur in einem gemeinsamen Dialog zu einem gemeinsamen Ziel kommen können.

Die Kombination von Technik und Werten - quasi eine Leitkultur für das Unternehmen - wird Grundlage im Spannungsdreieck aus Wettbewerb, Gesellschaft und Mensch sein. Hierauf muss sich das einzelne Unternehmen - aber auch die IT-Abteilung - einstellen. Die Analyse der Bedürfnisse und Bedarfe, das technische Design und die eigentliche Transformation - also "die Erneuerung" und "das Neue" - dürfen nur synchron erfolgen.

Der CIO und seine Mannschaft sind hierfür nicht verantwortlich, beziehungsweise sollten diese Verantwortung nicht übernehmen. Die Effekte einer digitalen Transformation sind für diese Rolle zu komplex. Aufgabe des CIO ist es, die technischen Rahmenparameter schnell und umfassend bereitzustellen. Hierzu zählen insbesondere eine Architektur für schnelle und stabile Services, skalierbare Cloud-Dienste und eine agile Entwicklung. Dabei kann die IT nicht einfach die aktuellen oder veralteten Systeme entfernen, die das operative Tagesgeschäft unterstützen. (bw)