Grundsätzlich ist zu erkennen, dass viele Unternehmenslenker erst dann auf Chancen - aber auch Risiken - neuer Technologien und gesellschaftlicher Strömungen reagieren, wenn es fast schon zu spät ist. Nämlich dann, wenn die eigene Wettbewerbsfähigkeit gefährdet ist. Sie verkennen, dass die Zeitdiebe nicht mehr "die Männer in grauen Anzügen" sind.
Neue Geschäftsmodelle im Minutentakt
Am Reißbrett und auf Basis digitaler Technologien sowie günstigem Risikokapital entwickelte Geschäftsmodelle - auch wenn erst nach mehreren Iterationen tragfähig - verändern die etablierten Gegebenheiten am Markt. Schmerzhaft müssen das gerade die Taxiunternehmer feststellen, die erst den Wink mit dem Zaunpfahl von Apps wie MyTaxi nicht verstanden haben und jetzt von Uber überrumpelt werden und dabei völlig überfordert sind. Oder die "großen" Telekommunikationsanbieter, die sich, limitiert durch ihre eigene Vorstellungskraft, von WhatsApp, Line & Co. den margenträchtigen Milliardenmarkt "SMS" abnehmen und vernichten ließen. Das Ergebnis: Heute braucht niemand mehr Telekommunikationsanbieter, um kommunizieren zu können. Ein Internetzugang reicht. Den stellen die Provider zwar bereit, allerdings als Standarddienstleistung und nicht als wertschöpfenden Bestandteil.
Die nächste große gesellschaftlich relevante, digitale Transformation steht bei Finanzdienstleistungen bevor. Private Kreditvermittlungen sind der Anfang. Das Geschäftsmodell nachhaltig verändern wird jedoch die flächendeckende Adaption von grundlegenden Funktionen des Geldtransfers und des privaten bargeldlosen Zahlungsverkehrs über mobile Endgeräte. So dominiert zum Beispiel der Bezahldienst M-Pesa, hinter dem Vodafone steht, den privaten Geldverkehr in Afrika und räumt in Osteuropa gerade kräftig ab. In den saturierten Märkten dringen Anbieter wie Apple (Apple Pay) oder Google (Google Wallet) auf den Markt.
All diese Beispiele haben eines gemeinsam: Die unfassbar kurze Zeit, in der die Märkte umfassend neu gestaltet wurden. Binnen weniger Monate werden Millionen potenzieller Kunden erreicht und an Gesetz, Moral und Ethik vorbei neue Quasi-Standards für ganze Branchen gesetzt. Dieser Herausforderung müssen sich Unternehmen jetzt, schnell und unmittelbar stellen.
- 8 neue Mitarbeiter-Rollen
Laut Forrester brauchen IT-Abteilungen Beratungsfähigkeiten und übergreifende Zusammenarbeit. Das erfordert politisches Fingerspitzengefühl und Methodenkompetenz. - 1. Beziehungsmanager
Die IT stellt Partnerschaft und Austausch zwischen Informationstechnologie und Business sicher. Sie übersetzt zwischen den beiden Seiten und bildet die Unternehmensziele technologisch ab. Im Zeitalter des Kunden bedeutet das vor allem mehr Beschäftigung mit Daten über die Verbraucher. - 2. Architekt
In der Rolle des Architekten geht es konkret um das Entwickeln von Standards für Daten, Anwendungen und mobile Endgeräte. Das beinhaltet die Beobachtung der Konkurrenz und das Aufdecken neuer Kundengruppen. - 3. Projekt- und Programm-Manager
Immer mehr Projekte starten von vornherein als abteilungsübergreifende Vorhaben. Hier ist nicht selten politisches Gespür gefragt. - 6. Daten-Experte
Daten sind über das ganze Unternehmen verstreut. Der Daten-Experte wahrt dennoch die Kontrolle und erklärt jeder einzelnen Anwender-Gruppe, was sie mit welchen Daten tun darf und was nicht. Das beinhaltet Expertise in Daten-Tools, Methoden, dem Status jeder einzelnen Datenquelle und Einblick in die Geschäftsprozesse. - 7. Geschäftsprozess-Designer
Unternehmen kaufen Anwendungen und setzen sie an allen Standorten ein. Geschäftsprozess-Designer sorgen für die Balance zwischen der Anpassung der Systeme und der Anpassung der Prozesse. - 8. Sicherheitsexperte
Sicherheit ist nicht nur ein Thema von Regeln und Überwachung, sondern auch von Soft Skills. Security-Experten verdeutlichen der Belegschaft, warum sie nicht an der IT vorbeiarbeiten dürfen. - 4. Vendor Manager
Der Vendor Manager entwickelt sich zunehmend zum Berater. Fachabteilungen interessieren sich üblicherweise nur für Funktionalitäten und kaum für Sicherheit. Der Vendor Manager schon. - 5. Experte für Nutzer-Erfahrung
Die IT muss durch die Brille des Endverbrauchers beziehungsweise Unternehmenskunden sehen können. Das erfordert enge Zusammenarbeit mit den Kollegen im direkten Kundenkontakt.
Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit
Viele Unternehmen in Deutschland versuchen, der digitalen Transformation durch das Erreichen zweier Ziele zu begegnen: Ziel eins ist das Sichern des bisherigen Kerngeschäfts. Ziel zwei ist das Erschließen neuer Geschäftsfelder. Dabei wird es oftmals schon - und dies fälschlicherweise - als Erfolg gesehen, wenn "papierbasierte auf papierlose Prozesse" umgestellt werden. Die doppelte Zielsetzung - diese Herausforderung - soll durch CIOs und CMOs getrieben, getragen und geführt werden. Der Aufbau einer "Organisation einer IT der zwei Geschwindigkeiten" wird für die Unternehmens-IT als neue Strategie propagiert.
Doch weit gefehlt! Weder die genannten Ziele, noch das "doppelte Lottchen" aus CIO und CMO, noch das Zwei-Geschwindigkeiten-Konstrukt führen zum benötigten Ergebnis. Vielmehr gilt es, alle Anstrengungen auf die "Erneuerung" (des Kerngeschäfts) und auf "das Neue" zu legen. Hiervon sind sowohl Geschäftsmodell als auch Betriebsprozesse betroffen. Diese Aufgabe ist für CMOs und CIOs mindestens eine Nummer zu groß, zu anspruchsvoll.
Und Los!
Wollen Unternehmen unter den neuen Bedingungen bestehen, müssen sie ihr Selbstverständnis überdenken. Dabei gehen die Anforderungen, die die digitale Transformation an das Unternehmen stellt, über klassisches Change-Management hinaus. Dies ist Aufgabe aller Organisationseinheiten, die nur in einem gemeinsamen Dialog zu einem gemeinsamen Ziel kommen können.
Die Kombination von Technik und Werten - quasi eine Leitkultur für das Unternehmen - wird Grundlage im Spannungsdreieck aus Wettbewerb, Gesellschaft und Mensch sein. Hierauf muss sich das einzelne Unternehmen - aber auch die IT-Abteilung - einstellen. Die Analyse der Bedürfnisse und Bedarfe, das technische Design und die eigentliche Transformation - also "die Erneuerung" und "das Neue" - dürfen nur synchron erfolgen.
Der CIO und seine Mannschaft sind hierfür nicht verantwortlich, beziehungsweise sollten diese Verantwortung nicht übernehmen. Die Effekte einer digitalen Transformation sind für diese Rolle zu komplex. Aufgabe des CIO ist es, die technischen Rahmenparameter schnell und umfassend bereitzustellen. Hierzu zählen insbesondere eine Architektur für schnelle und stabile Services, skalierbare Cloud-Dienste und eine agile Entwicklung. Dabei kann die IT nicht einfach die aktuellen oder veralteten Systeme entfernen, die das operative Tagesgeschäft unterstützen. (bw)