Digitale Transformation

Erst nachdenken, dann aktiv werden

23.09.2016
Von Thomas Schott und


Peter Holzer studierte BWL in Oestrich-Winkel, Auckland und Chicago. Bereits mit 24 Jahren verantwortete Holzer den Vertrieb eines Private Equity Fonds. Nach einer plötzlichen Erkrankung fasste er den Mut, einen beruflichen Neustart zu wagen. Davon handelt auch sein Buch "Mut braucht eine Stimme". Heute begleitet er Unternehmen, Veränderungsvorhaben in die Praxis umzusetzen.
Man mag die Schlagwörter IoT, Industrie 4.0 und Digitalisierung kaum noch hören. Weghören ist aber auch keine Lösung, steigt doch der Handlungsdruck für mittelständische Betriebe immer stärker. Oft bleiben Unternehmen hinter ihren Potenzialen zurück, weil sie in Aktionismus verfallen, anstatt sorgfältig eine Digitalstrategie zu erarbeiten.
  • Wenn das Tagesgeschäft einem Tornado gleicht, bleibt für die digitale Transformation kaum Zeit
  • Betriebe setzen "Projektchen" auf, anstatt wirklich umzudenken
  • Angst ist ein schlechter Ratgeber

Deutschland kann auf seine Hidden Champions und Weltmarktführer stolz sein. Doch irgendwie scheint der digitale Zug gerade an uns vorbeizufahren. Silicon Valley, Silicon Wadi und diverse High-Tech-Schmieden in China geben den Ton an. In den deutschen Unternehmen herrscht eine Mischung aus Sorge und Hoffnung. Sorge davor, den Anschluss zu verlieren. Und Hoffnung, Märkte und Branchen weiter federführend zu gestalten. Doch wo hakt es?

Hindernisse der digitalen Transformation

Wenn Veränderungen nur langsam voranschreiten, dann hat das meist einen Grund: das turbulente Tagesgeschäft. Meetings, E-Mails, Telefonate, Anfragen, Beschwerden, Projekte, ToDos, Konferenzen und vieles mehr prasseln in unglaublicher Geschwindigkeit auf die Mitarbeiter ein. Das Tagesgeschäft gleicht einem Tornado. Er wütet so schnell und heftig, dass er die volle Aufmerksamkeit der Betroffenen erfordert. Veränderungen müssen inmitten dieses Tornados umgesetzt werden - das bringt viele Menschen an ihre physischen und mentalen Grenzen.

Nicht die Digitalisierung, sondern das Tagesgeschäft gleicht einem Tornado, der den Mitarbeitern in den Betrieben keine Zeit für die Strategieentwicklung lässt.
Nicht die Digitalisierung, sondern das Tagesgeschäft gleicht einem Tornado, der den Mitarbeitern in den Betrieben keine Zeit für die Strategieentwicklung lässt.
Foto: Minerva Studio - Shutterstock.com

An der Unruhe in unseren Unternehmen sind wir oft selbst schuld. Anstatt ein gemeinsames Verständnis vom Ziel zu erarbeiten und uns die Frage zu stellen, wie wir möglichst schnell, einfach und günstig dort hinkommen, legen wir oft aktionistisch und wenig planvoll los. Die Aktivitäten nehmen uns so in Beschlag, dass wir das Ziel aus den Augen verlieren.

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Die treibende Kraft dahinter mögen die meisten nicht beim Namen nennen: Es ist die Angst! Die Angst davor, technische Innovationssprünge zu verpassen oder aufs falsche Pferd zu setzen. Manchmal auch die Angst vor internen Machtkämpfen: Um kritische Auseinandersetzungen mit Inhaber, Aufsichtsrat oder Vorgesetztem zu vermeiden, weist man lieber anhand unzähliger Aktivitäten nach, dass man ja alles versucht hat, um erfolgreich zu sein. Die Praxis zeigt: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Der Umweg des Nachdenkens führt ans Ziel.

Einfallslose IT-Silos

In den vergangenen 15 Jahren wurde die IT-Welt in den Unternehmen immer komplexer. Die Funktionsvielfalt wuchs, die Zahl der Sub-Systeme explodierte und die Systemlandschaften verschachtelten sich immer mehr. Um aufzubauen, zu administrieren und zu betreiben mussten sich die IT-Mitarbeiter spezialisieren. So entstanden innerhalb der IT eine ganze Menge Silos. Generalisten mit übergreifendem Verständnis wurden zu einer seltenen Spezies.

Die Komplexität wuchs auch durch die steigende Zahl von Angriffen und Spionageattacken. Deshalb gehören heute IT-Security-Systeme und organisatorische Reglementierungen zum Firmenalltag. Das führt zu teilweise abstrusen Situationen. Zum Beispiel erlauben die IT-Sicherheitsverantwortlichen oft nicht die Nutzung von Cloud Services - häufig auch zu Recht. Andererseits definieren sie häufig keine klaren Standards, was dazu führt, dass Public-Cloud-Services trotzdem genutzt werden und die Schatten-IT zu einem immer größeren Problem wird.

Reibungsverluste, Silo-Spezialisierungen, Schnittstellen-Diskussionen führen dazu, dass die IT eher als Verhinderer und nicht als Enabler wahrgenommen wird. Das hat mehrere Ursachen, unter anderem in der Projekt-Umsetzung: Für viele Projekte ist das Wasserfallmodell zu träge, und aktuelle Entwicklungen können nicht zeitnah berücksichtigt werden. Agile Ansätze wie Scrum oder DevOps sind längst bekannt, haben sich aber bei weitem noch nicht durchgesetzt.

Außerdem läuft die Zusammenarbeit von Business und IT in vielen Unternehmen immer noch nicht rund. In produzierenden Unternehmen etwa lässt sich beobachten, dass die Classic- und die Produktions-IT getrennt arbeiten. Für die Classic IT stehen die Themen Sicherstellung des Betriebs, Lifecycle-Themen, Standardisierung und IT Security im Vordergrund. Für neue Themen und Projekte fehlen die Ressourcen. Hinzu kommt, dass die Business-Kollegen es versäumen, qualifizierte Lastenhefte zu liefern. So haftet der Classic IT oft der Ruf an, wenig innovativ und kooperationsbereit zu sein.

Zukunftssichere Geschäftsmodelle

Um ein Unternehmen vor dem Hintergrund der Digitalisierung zukunftssicher zu machen, braucht es Fortschritte in drei Bereichen:

1. Phantasie

Bevor irgendetwas von Zustand A in Zustand B transformiert werden kann, muss Zustand B klar beschrieben sein. Die Beteiligten brauchen ein klares Bild davon, wohin die Reise überhaupt gehen soll. Zwar haben die meisten Mittelständler schon Digitalisierungsprojekte umgesetzt, doch handelt es sich meist eher um "Projektchen" und keine grundlegenden Initiativen, um Geschäftsmodelle zu veredeln oder gar neue zu entwickeln. Es bedarf also der Phantasie und des Mutes, auch mal ein Wagnis einzugehen und Dinge zu durchdenken, die zunächst als absurd erscheinen. Und wenn aus einer Business-Perspektive heraus die Zukunft neu gedacht wird, lässt sich auch der Nutzen von IT klarer erkennen. Denn die IT ist dann der wesentliche Möglichmacher in einer durchdachten Digitalisierungs-Strategie.

2. Pragmatismus

Unternehmen brauchen eine neue, unternehmensweit einheitliche agile Vorgehensweise in Projekten. Doch agil reicht nicht. Sie muss auch integrativ sein. Das heißt, Teams setzen sich sowohl aus der Entwicklung, der Administration und dem Betrieb als auch aus dem Business und den internen Kunden zusammen. Die Silos innerhalb der IT müssen aufgebrochen werden. Das Betriebsmodell des Software Defined Data Centers zeigt die Blaupause für die Organisation der Zukunft.

Im Bereich Industrie 4.0 müssen die Silos Classic- und Produktions-IT zusammenwachsen, um identische Themen standardisiert zu bearbeiten. Standard IT-Prozesse wie etwa Inventory, Incident und Change Management müssen auf derselben Plattform abgebildet werden. Standardisiert werden müssen auch vermeintlich profane Aufgaben von der IP-Adress-Vergabe über Verkabelung, LAN und WLAN bis hin zur Security. Andererseits müssen alle Beteiligten akzeptieren, dass bestimmte Themen (etwa Lifecycle) in der Produktions-IT anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen als in der Classic-IT. Hier gilt es adaptierte Lösungen zu implementieren, beispielsweise "Goldene Käfige".

Produktions und Classic IT müssen dieselben Geschäftsziele verfolgen und für die permanent steigenden Security-Anforderungen sichere und beherrschbare Standards definieren. Letztendlich müssen auch die Organisationsstruktur, Kommunikationsplattform und -kultur den aktuellen Anforderungen aus Industrie 4.0 und Digitalisierung angepasst werden.

All das erfordert einen gewissen Mut, Dinge zu wagen. So kann es auch sein, dass Projekte scheitern. In Deutschland ist der Umgang mit gescheiterten Projekten immer noch ein Tabuthema. Deshalb riskieren viele Führungskräfte nichts, nach dem Motto: "Wenn man nichts tut, kann man auch nichts verkehrt machen". Diese Einstellung wird keinesfalls den nachhaltigen Unternehmenserfolg sichern. Es braucht ein Umdenken.

3. Führung

All das zuvor Beschriebene funktioniert nur, wenn es verantwortungsbewusste, wirkungsvolle Führungskräfte gibt. Die Herausforderung ist, dass sich Zukunftssicherheit nur in übergreifender Zusammenarbeit erreichen lässt. IT und Business müssen gemeinsam an der Lösung arbeiten. Dafür sind Führungspersönlichkeiten gefragt, die mit allen Beteiligten gut kommunizieren und flexibel die jeweilige Perspektive einnehmen können. Es gilt, eine Klammer um IT-, Kunden- und Marketing-/Vertriebssicht zu bilden, um daraus ein gemeinsames Verständnis vom Ziel und dem Weg dorthin zu erarbeiten. Nur dann gelingt es, die nötige Schlagkraft im Markt zu entwickeln.

Manager auf Zeit können Umbau beschleunigen

In den meisten Unternehmen vollziehen sich grundlegende Veränderungen in drei Phasen: Zunächst wollen die Mitarbeiter nicht. Dann müssen sie - und am Ende wollen sie, was sie müssen. Um schnell und sicher ans Ziel zu gelangen, sollten Unternehmen nicht immer nur Beratung und Coaching einkaufen. Besser ist es, für eine Übergangszeit einen Interims-Manager einzusetzen, der die Verantwortung übernimmt und abhängig vom Projekterfolg bezahlt wird. Das ist mittelstandstauglich und sorgt für Interessensgleichheit. So ein Manager auf Zeit, der in Phasen des Übergangs die Verantwortung übernimmt, ist zudem nicht in die politischen Strukturen oder emotionalen Befindlichkeiten eines Unternehmens verstrickt. Er kann frei agieren und sich auf das konzentrieren, worauf es wirklich ankommt: ein zukunftssicheres Geschäftsmodell.