ERP - die Killerapplikation für GenAI?

24.06.2024
Von 
Grant Gross schreibt für die US-amerikanische IDG-Publikation CIO. Zuvor war er als Washington-Korrespondent und später als leitender Redakteur beim IDG News Service tätig.
Die Integration von generativer KI in ERP-Systeme kann Mitarbeitern Zeit sparen, Geschäftsprozesse optimieren und die Rechnungsstellung beschleunigen.
Solange die KI genauere Vorhersagen treffen kann als ein Mensch, wird sie akzeptiert - ein Fall für ERP?
Solange die KI genauere Vorhersagen treffen kann als ein Mensch, wird sie akzeptiert - ein Fall für ERP?
Foto: Eakrin Rasadonyindee - shutterstock.com

Auch wenn der Einsatz von generativer KI in ERP-Systemen noch in den Kinderschuhen steckt - kombiniert ergäben sich mehrere Vorteile, etwa die Möglichkeit, dass Mitarbeiter mithilfe von Code-Assistenten selbst spezifische ERP-Funktionen erstellten, schreibt Liz Herbert, Analystin bei Forrester, in einem Blogbeitrag. So setzten einige Unternehmen bereits seit Jahren traditionelle KI in ERP-Systemen ein, um beispielsweise Markttrends vorherzusagen oder Lieferketten zu optimieren. Neuere Funktionen der generativen KI werden jedoch auch Mitarbeiter von repetitiven Aufgaben in Kerngeschäftsprozessen befreien, so der Forrester-Report "How Generative AI Will Transform ERP".

"Generative KI wird Mitarbeiter in den Bereichen Finanzen und Operations von lästigen Aufgaben wie dem Erstellen von Berichten, dem Mahnen von Kunden und dem Zusammenfassen von Konten befreien", so Herbert. "Anstatt diese monotonen Aufgaben selbst manuell auszuführen, werden die Mitarbeiter als menschliche Prüfer der KI-generierten Arbeit fungieren." Durch die Entlastung von diesen Aufgaben hätten die Mitarbeiter mehr Zeit für andere Aufgaben, was zu einer höheren Produktivität führe, folgert Herbert. Gleichzeitig werde die Rechnungsstellung durch generative KI schneller und kostengünstiger, was die Profitmarge steigere, heißt es in dem Bericht.

Da der Einsatz von GenAI in ERP-Systemen noch in den Kinderschuhen stecke, versuchten IT-Manager noch herauszufinden, wie sie den ROI berechnen können, fügt die Forrester-Analystin hinzu. Einige entwickelten ihre eigenen KI-Systeme, andere arbeiteten mit KI-Entwicklern zusammen und viele nutzten eine Kombination aus interner Entwicklung und externer Unterstützung. Für die meisten Unternehmen sei es "ziemlich dumm, es selbst zu versuchen", konstatiert sie.

Eating your own dog food

Der Forrester-Bericht kommt bei Omar Kouhlani, CEO von Runmic, dem Entwickler einer KI-basierten Anwendung zur Analyse von Meetings und Verkaufsgesprächen, gut an. Das Unternehmen setzt KI nicht nur in seiner Plattform zur Gesprächsanalyse ein, sondern nutzt sie seit fast einem Jahr auch intern auf einige der im Forrester-Bericht beschriebenen Arten. So setzt Runmic KI beispielsweise ein, um Berichte zu erstellen, E-Mails zu verfassen und bei der Entwicklung und Überprüfung von Code zu helfen, wie Kouhlani berichtet.

Einige dieser Aufgaben hätten früher Stunden gedauert. "Jetzt müssen sie nur noch die KI-Inhalte überprüfen und können sich wieder strategischeren Aufgaben widmen", freut sich der CEO. "Die KI erledigt unsere alltäglichen Aufgaben und liefert genaue und zeitnahe Informationen, während wir uns auf die strategische Planung und Entscheidungsfindung konzentrieren."

Es sei jedoch schwierig, die Kosteneinsparungen bei Runmic zu beziffern, räumt Kouhlani ein, da das 2023 gegründete Startup KI schon früh eingeführt habe. Er schätzt jedoch, dass die Mitarbeiter mindestens 20 Prozent an Zeit einsparen: "Letzten Endes sind aber immer noch menschliche Augen nötig, um die Arbeit der KI zu überprüfen."

Kunden wollen KI

Die Manager von NILG.AI, einem Unternehmen für KI-Training und -Entwicklung, und VAI, einem Entwickler von ERP-Software, sehen eine steigende Nachfrage nach der Kombination von KI mit ERP-Systemen.

"NILG.AI hat Dutzenden von Kunden bei der Integration von KI in ERP- und CRM-Systeme geholfen", berichtet Kelwin Fernandes, CEO und Mitbegründer des Unternehmens. Zwar sei die Optimierung von CRM-Systemen, die sich auf die Customer Journey konzentrieren, ein häufiger Einstiegspunkt für KI - Fernandes sieht aber auch den Einsatz von KI in ERP-Systemen, um Nachfrageprognosen, Preisgestaltung, Extraktion unstrukturierter Daten, Planung, Ticketweiterleitung und andere betriebliche Prozesse zu unterstützen.

"Ich würde sagen, dass jeder Prozess, bei dem eine Entscheidung getroffen wird, ein potenzielles Ziel für KI ist. Der Schwerpunkt sollte jedoch auf Entscheidungen liegen, die einen Engpass für das Unternehmen darstellen und bei denen vorhandene Daten zu einem besseren Ergebnis führen können."

Laut Fernandes ist KI jedoch nicht für jeden Prozess die richtige Wahl. KI sollte in Prozessen eingesetzt werden, die keine eindeutige Antwort liefern und eine akzeptable Fehlerquote aufweisen. "Im Gegensatz zur traditionellen Softwareentwicklung kann man die Ergebnisse von KI nicht vollständig kontrollieren und verstehen", so Fernandes. "Man muss einen Notfallplan einbauen, um auch in solchen Fällen mit Fehlern umgehen zu können." Allerdings tolerierten Unternehmen Fehler in verschiedenen Geschäftsprozessen, etwa bei der Planung von Produktionskapazitäten auf der Grundlage von Nachfrageschätzungen. "Solange die KI genauere Vorhersagen treffen kann als ein Mensch, wird sie akzeptiert."

Wie Runmic setzt auch VAI, ein ERP-Entwickler mit Schwerpunkt auf kleine bis mittelgroße Unternehmen, KI intern ein, wie CIO Kevin Beasley erklärt. Durch eine Partnerschaft mit IBM habe das Unternehmen 2016 begonnen, traditionelle KI für Analysen zu nutzen, um Kunden die Leistungsfähigkeit der Technologie zu demonstrieren, so Beasley.

VAI nutzt KI auch in Kombination mit einer mobilen Anwendung, um die Lagerprozesse seiner Kunden zu optimieren. Beasley geht davon aus, dass die mittelständischen Kunden von VAI KI-gestützte Chatbots begrüßen werden, wenn diese mithilfe von RAG-Techniken (Retrieval-Augmented Generation) darauf trainiert werden können, unternehmens- oder branchenspezifische Informationen zu verstehen.

Erste Aufgabe: Ein Problem identifizieren

"Kleine und mittlere Unternehmen sind auf der Suche nach KI", sagt Beasley, "und KI kann kleinere Firnen dabei helfen, mit größeren Unternehmen zu konkurrieren. Aber zuerst sollten die Unternehmen ein Problem identifizieren, das KI lösen kann. Mittelständische Unternehmen haben nicht unendlich viele Ressourcen, um mit KI zu experimentieren. Sie brauchen das beste Preis-Leistungs-Verhältnis und Lösungen, die auf ihre spezifischen Herausforderungen zugeschnitten sind."

In diesem KI-Goldrausch sei die Versuchung für Unternehmen groß, mit KI zu experimentieren und sie dort einzusetzen, wo sie eigentlich nicht hingehöre: "Natürlich kann man mit Dingen experimentieren, und manchmal kann man etwas schaffen, von dem man gar nicht wusste, dass man es braucht." Beasley sieht die größten Chancen für KMU an der Schnittstelle von E-Commerce und KI. E-Commerce könne fast jeden Teil der Lieferkette eines Unternehmens betreffen, einschließlich Bestellung, Marketing und Lieferung.

Beasley und Kouhlani von Runmic raten Unternehmen, bei der Integration von KI in ERP-Systeme klein anzufangen. Man müsse mit Fehlern rechnen: "Findet zunächst heraus, was generative KI für euer ERP-System tun kann", sagt Kouhlani. "Dann könnt ihr der KI, wie bei der Einstellung eines Praktikanten, Aufgaben mit geringem Risiko wie Routineberichte oder Dateneingaben zuweisen, bei denen Fehler nur minimale Auswirkungen haben. Beobachtet die generische KI genau und erweitert ihre Rolle in eurem ERP-System schrittweise, wenn ihr zufrieden seid."

Obwohl der Einsatz von generativer KI in ERP-Systemen ein neues Phänomen ist, sieht der Runmic-CEO Potenzial für autonome ERP-Systeme, die sich automatisch an veränderte Geschäftsbedingungen anpassen und den Kurs in Echtzeit korrigieren: "Ich sehe auch, dass KI eine wichtigere Rolle in der strategischen Planung spielen wird, indem sie hilft, komplexe Geschäftsszenarien blitzschnell zu simulieren und mögliche Ergebnisse zu bewerten." (mb)